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Roma-Zwangsräumungen in Rumänian

Amnesty Journal 2/2012

Editorial von Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich

Polizei macht Menschenrechte?

Peng peng peng – peng peng peng peng – peng peng, oder doch pengpengpengpengpengpengpengpengpeng? Immer wieder verblüffend, wie sich die Aussagen von Augenzeugen unterscheiden können, aber angesichts  der Hektik, Unüber sichtlichkeit und Dramatik der Einsatzsituation auch nicht unglaubwürdig.

Am Ende dieses nächtlichen Polizeieinsatzes liegen eine von neun Schüssen aus einer Polizeiwaffe schwerstverletzte Frau, zwei große Küchenmesser und ein – glücklicherweise nur leichtverletzter – Polizist am überfluteten Küchenboden der kleinen, engen Wohnung. Voraus gegangen ist einer jener ganz besonders schwierigen, herausfordernden Polizeieinsätze, die keiner haben will und trotzdem irgend jemand durchführen muss: Ein nächtlicher Notruf in eine angeblich brennende Wohnung, eine schreiende Stimme, statt Feuer ein überflutetes Küchenvorzimmer, plötzlich Stille, Unklarheit, ob und wo ein Täter und das Opfer sind, eine versperrte Tür wird aufgebrochen, eine offensichtlich zu keiner rationalen Handlung oder Verständigung fähige junge Frau, ein Häufchen Elend kauert nass in einer Duschkabine – dann plötzlich wieder Schreie, die Frau springt auf, zwei Küchenmesser werden sichtbar, ein Polizist stolpert zu Boden, neun Schüsse fallen, Stille und Entsetzen.

Vorgestern saß die junge Frau im Rollstuhl vor ihrem Richter, dass sie überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Die leise ruhige Sachlichkeit, mit der sie den Vorfall schildert, präzise zwischen Fakten und subjektivem Erleben in ihrer damaligen Verwirrtheit und Angst unter scheidend, macht auch für Gericht und Sachverständige klar, dass sie in ein neues, besseres Leben finden wird.

Höchst irritierend aber jene staatsanwaltliche Nachhilfestunde während der Zeugen(!)-Befragung des am Daumen leichtverletzten Polizisten:

Gleich nach dem Vorfall beschrieb er die Situation als ein „Herumfuchteln mit den Messern“, nach immer drängenderen Nachfragen der Staatsanwältin werden daraus Stichbewegungen gegen sein Gesicht, dem ungläubig staunenden Verteidiger erklärt er, dass er mit „Herumfuchteln“ ein Zustechen beschreiben wollte. Die Anklägerin fasst das schlussendlich als „wuchtige Stichbewegungen“ zusammen. Ob das wohl etwas mit der überfälligen Entscheidung über das menschenrechtlich dringend gebotene Gerichtsverfahren zum polizeilichen Handeln zu tun hat?

Solche penetranten Wahrheitsoptimierungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft sind unnötig, unverständlich und unerträglich!

Mit aller menschenrechtlichen Klarheit, kein Polizist muss sich mit Messern bedrohen lassen, da besteht zweifelsfrei Lebensgefahr, ganz gleich wie unnötig so eine Situation herbeigeführt wurde. Selbstschutz kommt vor Fremdschutz, alles andere wäre völlig unzumutbar.

Aber warum – WARUM! – war hier kein älterer, erfahrener Polizist am Einsatzort, warum wurde nicht auf die dafür viel besser ausgebildete WEGA gewartet, warum ist Innehalten keine Option, wenn offensichtlich kein Straftäter am „Tatort“ ist, warum muss so was immer um jeden Preis durchgezogen werden, warum wurde wieder einmal jemandem fast „zu Tode geholfen“, warum, warum, warum?

Wenn unsere Polizei einst wirklich Menschenrechte machen will – wie das höchst begrüßenswerte Projekt POLIZEI.MACHT. MENSCHENRECHTE in Aussicht stellt – braucht es mehr, viel mehr: Zu allererst eine aktive, engagierte Fehler- und Lernkultur statt das sattsam bekannten „Mauern, Tarnen, Täuschen“, und dann wird es notwendig sein, Ressourcen, Einstellungen und Handlungsoptionen weit über das unterste strafrechtliche Minimum hinaus zu schaffen – sonst bleibt das einfach nur ein hochtrabender PR-Begriff.

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