Loading...

Nigerdelta: Die vergessene Ölpest

Amnesty Journal 2/2012

Editorial von Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich

Schöne neue Menschenrechtswelt

Der Handyclip ging um die Welt und war an Brutalität und Demütigung kaum zu überbieten: Eine schwarz gekleidete Frau wird von maskierten Sicherheitskräften zu Boden geworfen, ihr Umhang rutscht hoch und sie liegt, nur noch mit ihrem blauen BH bekleidet, am Boden. Einer der staatlichen Schläger in Lederstiefeln springt auf ihren Oberkörper, tritt noch zweimal brutal zu, hält inne und beugt sich zu Boden, um den Umhang am leblosen Körper mit einer absurd zart wirkenden Geste wieder zurechtzurücken. Ob er spontan die Widersprüchlichkeit seines Handelns in Relation zu seinem Alltagsjob erkennt, in dem er Frauen dazu zwingt, sich züchtig bis zur Unkenntlichkeit zu verhüllen, oder er auch nur gemerkt hat, dass jemand die Szene mitfilmt, bleibt offen.

Im Nahen Osten bleibt gerade kein Stein auf dem anderen. Jahrhundertelang mundtot gemachte Frauen stehen an der Spitze des Umbruchs und lassen sich ihre Revolutionserrungenschaften nicht mehr wegnehmen: Sei es als Demonstrantinnen, als todesmutige Bloggerinnen oder als Campaignerinnen für das „Recht aufs Autolenken“ – kein Scherz, sondern mutige Realität im an fundamentalistischem Religions-Konservativismus kaum zu überbietenden Saudi-Arabien.

Einen halben Kontinent weiter westlich schöpfen die Menschen im nigerianischen Ogoniland erstmals vorsichtig Hoffnung, ihre von Ölfirmen zerstörte Heimat vielleicht doch noch irgendwann gesäubert zurückzubekommen. Bis zu 250 Millionen Pfund sollen Unternehmen im Umfeld von Shell nach einem UNO-Bericht zur Beseitigung der Umweltschäden im Ausmaß der Exxon-Valdez-Katastrophe 17 Jahre nach der sinnlosen staatlichen Ermordung des Dichters und Ogoniaktivisten Ken Saro-Wiwa zahlen. Noch gibt es letzte Tarnen Täuschen-und-Leugnen-Versuche lokaler Manager, aber das Blatt hat sich auch dort gewendet.

Und der aktuelle europäische Beitrag zur Menschenrechtsagenda 2012?

Neben dem aus dem Vorjahr bereits sattsam bekannten Wegschauen, wenn manche Mitstreiter*innen des arabischen Frühlings, denen wir aus der sicheren Ferne noch applaudiert haben, plötzlich hilfsbedürftig an der Schengengrenze stehen, beschäftigen sich die Staaten des Europarates mit der brennenden Frage: Wie kann man den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, eine der wirklich herausragenden regionalen menschenrechtlichen Errungenschaften, schnellstmöglich wieder seiner enormen Bedeutung und Wirkung für die Unterdrückten und Gefolterten unseres Kontinentes berauben?

Eine der jüngsten Gerichtshofentscheidungen ist die scharfe Verurteilung Italiens und damit auch der EU-Frontex-Ziele für das Abfangen von Bootsflüchtlingen vor Lampedusa und deren ungeprüfte Rückverfrachtung nach Libyen – ein Schelm, wer hier böse Zusammenhänge denkt!