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Presse © Amnesty International

Jemen: Offensive vertreibt Zehntausende

17. Mai 2018

Gefahr, dass sich Kämpfe weiter in dicht besiedelte Gebiete ausbreiten

Zivilist*innen kämpfen inmitten heftiger Boden- und Luftangriffe in westlichen Küstenregionen Jemens ums Überleben. Doch das Schlimmste könnte noch bevorstehen, warnt Amnesty International nach intensiven Recherchen im Süden des Landes.

Bei einer Krisenmission interviewten Mitarbeiter*innen von Amnesty International 34 Zivilist*innen, die zwischen Jänner und Anfang Mai aus mehreren Dörfern und Städten im Gouvernement Hodeidah vertrieben worden waren und sich nun im Süden des Landes befinden.

Die Betroffenen erzählten von schrecklichen Mörserangriffen, Luftangriffen, Landminen und anderen Gefahren, denen sie aufgrund einer neuer Offensive ausgeliefert waren. Bei dieser Offensive versuchen Koalitionstruppen der international anerkannten jemenitischen Regierung sowie Bodentruppen und die Luftwaffe der saudi-arabischen Koalition die bewaffnete Gruppe der Huthi zurückzudrängen. "Die menschlichen Folgen dieser neuen Militäroffensive an der Westküste Jemens werden deutlich, wenn man die besorgniserregenden Erzählungen von Zivilist*innen hört, die durch diesen Konflikt vertrieben wurden", sagt Rawya Rageh, Leiterin der Recherchen für Amnesty International im Jemen.

Die Erzählungen von Zivilist*innen lassen erahnen, was noch auf dem Spiel steht, sollten sich die Kämpfe auf die dichter besiedelte Hafenstadt Hodeidah ausbreiten.

Rawya Rageh, Leiterin der Recherchen für Amnesty International im Jemen

„Wir sind sehr besorgt über willkürliche Attacken und andere Menschenrechtsverletzungen, die offenbar derzeit im Jemen stattfinden. Alle Konfliktparteien haben eine Verpflichtung, Zivilist*innen zu schützen. Die Konfliktparteien riskieren das Leben und die Existenzgrundlage von Tausenden”, sagt Rageh.

Nach Angaben der Vereinten Nationen haben aktuelle Zusammenstöße entlang der Westküste Jemens in den letzten Monaten rund 100.000 Menschen vertrieben – die meisten von ihnen aus dem Gouvernement Hodeidah.

Zivilist*innen tragen Hauptlast der Offensive

Seit Beginn der Offensive im Dezember 2017 sind Zivilist*innen eine Reihe von Menschen- und Völkerrechtsverletzungen beider Konfliktparteien ausgeliefert:

Überlebende erzählen, dass Huthi-Kämpfer*innen mit Mörsern wiederholt in bewohnte zivile Gebiete gefeuert hätten. Laut einem Augenzeugen aus Hays schlug eine Mörsergranate am 25. März in einen Krankenhaushof ein, verletzte seinen 13-jährigen Sohn und tötete einen Apotheker und eine Krankenschwester. Der Einsatz von Mörsern in der Nähe von zivilen Einrichtungen verstößt gegen das Verbot wahlloser Angriffe.

Huthi-Truppen gefährden die Zivilbevölkerung weiter, indem sie Truppen und Fahrzeuge in zivilen Wohnvierteln stationieren. Überlebende erzählten, dass sie Straßen vermint und Zivilist*innen daran gehindert hätten, das Gebiet zu verlassen. In anderen Fällen hätten sie Menschen aus ihren Häusern in Gebiete vertrieben, über die die Regierung kürzlich die Kontrolle verloren hatte.

Überlebende erzählten, dass Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition Zivilist*innen getötet hätten und sie ständig Angst um ihr Leben gehabt hätten. Vertriebene beschrieben, wie drei Zivilist*innen bei zwei Luftangriffen in Zabid und al-Jarrahi im Jänner getötet wurden.

„Alle Konfliktparteien müssen sich an das humanitäre Völkerrecht halten und Vorkehrungen treffen, um die Zahl ziviler Opfer und die Zerstörung von Häusern und ziviler Infrastruktur zu minimieren", sagt Rawya Rageh.

Es sind Zivilist*innen, die am stärksten gefährdet sind und die Hauptlast dieser neuen Offensive im Jemen-Krieg tragen müssen.

Rawya Rageh, Leiterin der Recherchen für Amnesty International im Jemen

Massenflucht von der Westküste

Verminte Straßen, Kontrollpunkte der Huthi und andere Gefahren auf dem Weg machten für einige die Flucht in den Süden des Landes zur schrecklichen Prüfung: Für eine Fahrt nach Aden – die im Durchschnitt sechs Stunden dauert – benötigte man nun bis zu drei Tage.

Eine Frau sagte, sie habe eine Fehlgeburt erlitten, sobald sie in Aden angekommen sei. Sie schrieb das der Angst und Erschöpfung, die die Reise verursacht habe, zu.

Andere erzählten von Bussen fliehender Zivilist*innen, die von Landminen und anderen Sprengkörpern zerfetzt worden waren. Die Sprengkörper waren angeblich von Huthis gestreut worden, um den Vormarsch der Regierungstruppen zu verhindern.

Zwei Menschen sagten, sie hätten abgetrennte Körperteile entlang der Route gesehen. Ein Bauer, der in einem Krankenhaus interviewt wurde, in dem seine Tochter auf der Intensivstation liegt, sagte, dass er in der ersten Maiwoche mit seinen acht Kindern und anderen Familienmitgliedern geflüchtet und über eine Landmine gefahren sei. Sie habe seine 13-jährige Tochter schwer verletzt und die Großmutter seiner Frau getötet.

Der Einsatz von Landminen ist immer wahllos und nach dem Völkerrecht verboten.

Hintergrund

Laut dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sind nach dem Stand vom Februar 2018 seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts im März 2015 mehr als 5.974 Zivilist*innen ums Leben gekommen und mehr als 9.493 Zivilist*innen verletzt worden.

Amnesty fordert, dass alle Konfliktparteien sich an ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht halten und ruft Staatengemeinschaft auf, endlich ein umfassendes Waffenembargo zu verhängen und sämtliche Waffenlieferungen an alle im Jemen-Konflikt beteiligten Parteien unverzüglich zu stoppen.