Julian Assange: ein Rückblick
Julian Assanges Geschichte von der Gründung von Wikileaks bis zu Botschaftsasyl, Haft und der Auslieferungsanhörung in London.
2006
WikiLeaks wird von Assange gegründet.
2007
WikiLeaks veröffentlicht das Verfahrenshandbuch für Camp Delta, das US-Gefangenenlager in Guantanamo Bay.
2010
Am 5. April 2010 veröffentlicht WikiLeaks ein Video, das einen US-Militärhubschrauber zeigt, der 2007 zwei Journalisten und mehrere irakische Zivilisten beschoss und tötete. Von Juli bis Oktober veröffentlicht die Enthüllungsplattform Wikileaks rund 470.000 als geheim eingestufte Dokumente, die mit diplomatischen Aktivitäten der USA und mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak zu tun haben. Weitere 250.000 Dokumente kommen später hinzu.
Im November erwirkt die schwedische Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen Assange. Ihm werden Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gegen zwei Frauen vorgeworfen. Assange weist die Anschuldigungen zurück und stellt sich kurz darauf der Polizei in London. Bis zur Entscheidung über einen Auslieferungsantrag Schwedens kommt er gegen Kaution auf freien Fuss.
2011
Im Februar gibt ein britisches Gericht dem schwedischen Auslieferungsantrag statt. Assange äußert sich besorgt: Er fürchtet, dass Schweden ihn an die USA ausliefern könnte, wo ihm wegen der geleakten Dokumente ein Prozess und womöglich sogar die Todesstrafe droht. Im April beginnt WikiLeaks mit der Veröffentlichung von geheimen Militärdokumenten, die Einzelheiten über die Behandlung von Gefangenen im Gefangenenlager der US-Marine in Guantanamo Bay enthalten.
2012
Der britische Oberste Gerichtshof lehnt im Mai Assanges Berufung gegen die Auslieferung an Schweden ab, gewährt ihm aber zwei Wochen, um eine Berufung einzureichen. Julian Assange flieht im Juni in die Botschaft Ecuadors in London und beantragt erfolgreich politisches Asyl. Ecuador bittet die britische Regierung vergeblich um die Erlaubnis, Assange nach Quito auszufliegen.
2016
Schwedische Ermittler scheitern mit ihrem Anliegen, Assange in der Londoner Botschaft zu vernehmen. Eine Expertengruppe des UN-Menschenrechtsrates kommt zu dem Schluss, dass Assange im Botschaftsgebäude „willkürlich inhaftiert“ sei. Beide Länder weisen die nicht bindende Entscheidung zurück.
Im Juli mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf veröffentlicht Wikileaks rund 20.000 E-Mails aus dem Parteiapparat der Demokraten. Sie stammen aus dem Wahlkampfteam der Kandidatin und früheren Außenministerin Hillary Clinton. Wahlbeobachter*innen vermuten, dass die Veröffentlichung dieser Emails wahrscheinlich den Wahlausgang zugunsten von Donald Trump beeinflussten.
2017
Nach der Begnadigung von Chelsea Manning, einer Hauptquelle von Wikileaks,
erklärt Wikileaks, Assange könne sich Ermittlungen in den USA stellen, wenn seine Rechte garantiert würden. Unterdessen stellt die Staatsanwaltschaft in Schweden die Ermittlungen gegen Assange ein. Die britische Polizei will ihn allerdings weiterhin festnehmen, weil er seine Kautionsauflagen verletzt hat. Assange bekommt die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, allerdings scheitert die Regierung in Quito mit ihrem Anliegen, bei den britischen Behörden Diplomatenstatus für Assange anzumelden. Das hätte ihm ermöglicht, das Botschaftsgebäude zu verlassen, ohne festgenommen zu werden.
2018
Ecuador erklärt, es sei auf der Suche nach einem Vermittler, um Assanges „unhaltbare“ Situation zu beenden. Ein Antrag, den Haftbefehl aus gesundheitlichen Gründen zurückzuziehen, scheitert. Im März kappt das Botschaftspersonal Assanges Kommunikationszugänge, weil er sich in die Angelegenheiten anderer Länder eingemischt habe. Ein Wikileaks-Anwalt beschreibt Assanges Lebensumstände als «unmenschlich». Im Oktober erlegt Ecuador Assange neue Verhaltensregeln auf und warnt, eine Verletzung der Vorgaben könne zum Entzug des Asyls führen. Unterdessen taucht in den USA ein Dokument auf, wonach gegen Assange offenbar heimlich Anklage erhoben wurde.
2019
Ecuadors Präsident Lenin Moreno erklärt, Assange habe die Auflagen für sein Botschaftsasyl „wiederholt verletzt“. Am 11. April nimmt die britische Polizei Assange fest, nachdem ihm das Asyl entzogen worden war.
2020
Am 24. Februar 2020 startet die Auslieferungsanhörung Assanges in London. Amnesty beobachtet die Anhörung zur Auslieferung von Julian Assange genau.
Jänner 2021
Am 4. Jänner kommt eine Richterin in London zu dem Schluss, dass Julian Assanges Auslieferung rechtswidrig wäre. Sie verweist auf die schlechte psychische Verfassung von Assange sowie auf die Gefahr für seine Gesundheit durch die in Großbritannien besonders schlimm grassierende COVID-19-Pandemie.
Amnesty International begrüßt die Tatsache, dass Julian Assange nicht in die USA ausgeliefert wird und dass das Gericht anerkennt, dass er aufgrund seines Gesundheitszustands im US-Gefängnissystem Gefahr laufen würde, misshandelt zu werden. Doch die Anklagen gegen ihn hätten erst gar nicht erhoben werden dürfen. Die Vorwürfe waren politisch motiviert und die britische Regierung hätte die US-Regierung nicht so bereitwillig bei der unerbittlichen Verfolgung von Assange unterstützen dürfen.
Am 6. Jänner entscheidet das zuständige Gericht, Julian Assange nicht gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen. Assange wird in seine Einzelzelle in einem Hochsicherheitsgefängnis zurückgebracht.
Dezember 2021
Im Dezember 2021 entschied der Londoner High Court, dass Julian Assange ausgeliefert werden könne. Dies geschah auf Grundlage vorgebrachter Zusagen der US-Behörden für Assanges Schutz im Gefängnis, wenn er ausgeliefert werden würde. Die USA hatten schriftlich versichert, dass Assange nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht oder Sondermaßnahmen („Special Administrative Measures“) unterworfen werden würde. Dazu gehört auch die verlängerte Einzelhaft, welche nach dem Völkerrecht als Folter gelten kann. Außerdem versicherten sie, dass er angemessene medizinische Versorgung erhalten würde. Doch die USA haben in den schriftlichen Versicherungen einen Vorbehalt eingefügt: Sollte Assange in Zukunft irgendetwas tun, das erfordern würde, ihn doch Sondermaßnahmen zu unterwerfen oder ihn in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen, behielten sie sich das Recht vor, dies zu tun.
Jänner 2022
Der Londoner High Court hat entschieden, eine der von Assange aufgeworfenen Rechtsfragen als „von allgemeinem öffentlichen Interesse“ zu bewerten. Amnesty International begrüßt die Entscheidung des Londoner High Court, einen Aspekt der Zusicherungen der USA als von ‚allgemeinem öffentlichen Interesse‘ zu bewerten. Das gibt dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit, die Berufung zuzulassen.
Gleichzeitig ist es besorgniserregend, dass der High Court sich seiner Verantwortung entzogen hat, dass Angelegenheiten von öffentlichem Interesse umfassend von der Justiz geprüft werden. Die Gerichte müssen sicherstellen, dass niemand dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt wird. Dies war der Kern zweier weiterer Rechtsfragen, deren mögliche Prüfung durch den Obersten Gerichtshof der High Court mit seiner Entscheidung verhindert hat.
Der einzige Aspekt, zu dem der Oberste Gerichtshof nun eine Zulassung erteilen könnte, betrifft die Frage, in welchem Stadium des Auslieferungsverfahrens der ersuchende Staat Zusicherungen geben sollte.
Juni 2022
Im Juni 2022 hat die britische Innenministerin Priti Patel die Auslieferung von Julian Assange an die USA genehmigt. Die Auslieferung von Julian Assange an die USA zuzulassen, setzt ihn einer großen Gefahr aus und sendet ein abschreckendes Signal an Journalist*innen in aller Welt. Amnesty International fordert die britischen Entscheidungsträger*innen auf, Julian Assange nicht auszuliefern.