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Presse © Lukas David Beck / @_lukasdbeck

Polizeigewalt in Österreich weiter ohne Folgen: Unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle muss Priorität haben

2. Dezember 2020

Zusammenfassung

  • Betroffene der Polizeigewalt während einer Klimademo in Wien 2019 warten nach wie vor auf Aufklärung der Vorfälle 
  • Amnesty International fordert die Regierung in Österreich mit Nachdruck auf, eine wirksame unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeigewalt zu schaffen  
  • Vertrauen zwischen Bevölkerung und Polizei wichtig: Die Stelle muss  menschenrechtskonform und unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Expertise konzipiert und umgesetzt werden 

Nach über eineinhalb Jahren warten die Betroffenen der Polizeigewalt während einer Klimademo in Wien noch immer darauf, dass die schockierenden Vorfälle strafrechtlich aufgeklärt werden. Das zeigt, dass die Polizei in Österreich dringend reformiert werden muss: Amnesty International fordert mit Nachdruck die Regierung in Österreich auf, eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeigewalt zu schaffen. 

„Wie wichtig ein Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung ist, zeigen die aktuellen Entwicklungen in Frankreich. Die Regierung in Österreich muss daher alles tun, um die Voraussetzung für ein Vertrauensverhältnis zu sichern – dazu gehören Mechanismen wie eine unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeigewalt, die Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen rasch, unabhängig und umfassend aufklären kann”, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. 

Wir fordern daher die Regierung in Österreich mit Nachdruck auf, eine wirksame unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeigewalt zu schaffen. Dieser Schritt wurde im Regierungsprogramm angekündigt und ist längst überfällig!

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Für die Schaffung einer wirksamen Stelle ist die Einbindung zivilgesellschaftlicher Expertise besonders wichtig. So können verschiedene Perspektiven, insbesondere die von Betroffenen, eingebunden werden. Damit wird garantiert, dass diese Ermittlungs- und Beschwerdestelle von Beginn an auf eine breite Basis gestellt wird und das Vertrauen der Bevölkerung hat”, sagt Annemarie Schlack. 

Bei der Klimademo in Wien im Mai 2019 wurden drei Demonstrierende von Polizeibeamt*innen zum Teil schwer verletzt. Ein Bericht, den Amnesty International vor genau einem Jahr dazu veröffentlichte, löste eine breite öffentliche Diskussion über Polizeigewalt in Österreich aus. Unter anderem zeigten die Amnesty-Recherchen, dass viele der Gewalt- & Zwangsmaßnahmen der Polizei bei der Klimademo unverhältnismäßig waren.  

In einem Fall soll ein Verfahren gegen einen Beamten diversionell erledigt werden. In keinem der Fälle kam es bis jetzt zu einer strafrechtlichen Anklage. Das zeigt, dass es noch immer keine ausreichenden Mittel in Österreich gibt, damit Polizeigewalt konsequent und rasch aufgeklärt wird, sagt Annemarie Schlack, und sagt weiter: 

Dass Misshandlungsvorwürfe gegen Polizist*innen folgenlos bleiben, ist in Österreich keine Ausnahme, sondern leider die Regel. Diese Folgenlosigkeit ist nicht nur eine Belastung für Betroffene von Polizeigewalt, auch Beamt*innen haben ein Interesse daran, dass Misshandlungsvorwürfe rasch und unabhängig aufgeklärt werden – denn sie könnten auch vom Vorwurf eines Fehlverhaltens freigesprochen werden. 

Erfolgreiche Maßnahmenbeschwerden von Betroffenen 

Während nach den Vorfällen laut Justizministerin Alma Zadić gegen insgesamt acht Polizeibedienstete Strafverfahren eingeleitet wurden, läuft bis heute – mehr als eineinhalb Jahre nach den Vorfällen – ein Großteil der strafrechtlichen Verfahren 

Fünf Betroffene brachten Maßnahmenbeschwerden beim Verwaltungsgericht Wien ein, der einige Amtshandlungen der Polizist*innen für rechtswidrig erklärteDie – zumindest teilweise – erfolgreichen Maßnahmenbeschwerden wurden durch eine gute Beweislage, darunter das vorhandene Videomaterial, begünstigt. In einem Fall erkannte das Gericht eine Verletzung der Polizei gegen die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde – und damit gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.   

Hintergrund 

Vor einem Jahr veröffentlichte Amnesty International Österreich einen Bericht über die Polizeigewalt bei der Klimademo im Mai 2019. Amnesty forderte eine umfassende interne Evaluierung des Polizeieinsatzes und die Schaffung einer unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeigewaltum die Polizei in Österreich zu modernisieren und menschenrechtsfreundlicher zu gestalten.  

Im Regierungsprogramm 2020-2024 wurde daraufhin die konsequente und unabhängige Ermittlung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen bzw. Polizeibeamte in einer eigenen Behörde angekündigtLaut einer parlamentarischen Anfrage an Innenminister Nehammer sei die Einbindung externer Expertise angedacht; ein umsetzungsfähiges Konzept” sei bis Herbst 2020 beauftragt worden 

Amnesty International begrüßt dieses Vorhaben – doch bis heute wurde weder die Zivilgesellschaft in den Prozess der Errichtung eingebunden, noch liegen Informationen über die Pläne der Regierung vor.  

Diesen Umstand kritisierte Amnesty International gemeinsam mit 39 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen und Expert*innen in einem offenen Brief u. a. an Innenminister Nehammer sowie Justizministerin Zadić. Die Organisationen fordern, dass bei der geplanten Polizeireform internationale Standards als Mindestvorgaben eingehalten werden, umfassende Funktionen der unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle sichergestellt werden, die Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen eingeführt wird und die Zivilgesellschaft für eine breite Unterstützung der Reform eingebunden wird. 

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