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© Lukas David Beck / @_lukasdbeck

Presse © Lukas David Beck / @_lukasdbeck

Polizeigewalt bei Klimademo: Amnesty fordert unabhängige Untersuchungsbehörde in Österreich

4. Dezember 2019

Zusammenfassung

  • Amnesty International analysierte die Vorfälle bei der Klimademo am 31. Mai 2019 in Wien aus menschenrechtlicher Sicht
  • Recherchen zeigen: Die Gewalt- & Zwangsmaßnahmen der Polizei waren unverhältnismäßig; Amnesty fordert umfassende interne Evaluierung des Polizeieinsatzes
  • Betroffene stehen vor großen Hürden, wenn sie Polizeigewalt melden möchten; Amnesty fordert unabhängige Untersuchungsbehörde, die künftig Misshandlungsvorwürfe durch Polizeikräfte untersucht

Amnesty International Österreich veröffentlicht heute einen Kurzbericht zu den Vorfällen bei der Klimademo am 31. Mai 2019 in Wien: Die Menschenrechtsorganisation dokumentierte unverhältnismäßige Zwangsmaßnahmen und Polizeigewalt gegen mehrere Menschen bei der Protestkundgebung – darunter Prellungen, eine Rissquetschwunde an der Stirn und ein Bruch des Mittelhandknochens. Drei Demonstrierende wurden zum Teil schwer verletzt, ein unbeteiligter Zuschauer der Demo wurde von Polizist*innen in Gefahr gebracht. Zum Teil haben die Betroffenen die Ereignisse als traumatisierend wahrgenommen.

„An diesem Tag im Mai wurde das Menschenrecht auf friedliche Versammlung in Österreich missachtet: Unsere Recherchen haben gezeigt, dass es bei der Demo keine rechtfertigenden Gründe für die Polizeigewalt gegeben hat, die wir während der Proteste dokumentiert haben“, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, und sagt weiter:

 

Dass die Menschen in Österreich frei und ohne Risiko demonstrieren können, ist ein wichtiger Grundstein unserer freien Gesellschaft und ein hart erkämpftes Menschenrecht. Die schockierenden Bilder – etwa von einem jungen Mann, der auf dem Boden fixiert unter einem Polizeiauto lag und beinahe überfahren wurde – haben viele Fragen aufgeworfen. Daher haben wir uns die Vorfälle bei der Demonstration im Detail angesehen und analysiert.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich

Die Recherchen von Amnesty zeigen, dass Betroffene oft vor großen Hürden stehen, wenn sie Polizeigewalt melden und etwas dagegen tun möchten. Anzeigen wegen Polizeigewalt müssen bei der Polizei eingebracht werden. Das hält Betroffene von Polizeigewalt unter anderem davon ab, überhaupt Anzeigen zu erheben. So sagte auch ein Betroffener im Gespräch mit Amnesty International: „Das Schwierige ist, dass man diesem Apparat ausgesetzt ist und es wenig Möglichkeiten gibt, dagegen vorzugehen.“

Amnesty fordert, dass eine vollkommen unabhängige Untersuchungsbehörde eingerichtet wird. Diese soll künftig Ermittlungen und Beweissicherungsmaßnahmen in Bezug auf Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeikräfte durchführen. Außerdem fordert Amnesty, dass die interne Evaluierung des Polizeieinsatzes sofort weiter und umfassend zu Ende geführt wird.

Schmerzen & Verletzungen: Unverhältnismäßige Gewalt

Polizeitechniken, die zu Schmerzen bzw. Verletzungen führen können – wie beispielsweise die Handfesselsperre –, dürfen nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen. Das war beim Polizeieinsatz während der Klimademo allerdings nicht der Fall, wie das Beispiel von Y. zeigt:

Y., ein junger Mann, beteiligte sich an der Sitzblockade vor der Aspernbrücke bzw. Urania. Nach Auflösung der Versammlung wurde er von zwei Polizeikräften gefragt, ob er seinen Platz freiwillig räumen werde. Seinen Angaben zufolge verneinte er dies ruhig – d.h. ohne verbal oder in der Gestik aggressiv zu sein. Plötzlich und für Y. vollkommen unerwartet packten die beiden Polizeikräfte seine beiden Handgelenke, brachten Schmerzgriffe zur Anwendung und führten ihn in Richtung Identitätsfeststellungszone ab. Sein linkes Handgelenk schmerzte so stark, dass er vor Schmerzen schrie. „Der Schmerzgriff war verdammt schmerzhaft und überraschend. Ich habe einfach nicht damit gerechnet“, sagte Y. im Gespräch mit Amnesty.

Einer der beiden Polizisten soll seine Schreie damit kommentiert haben, dass er sich „nicht so anstellen“ und – sinngemäß – nicht „so eine Show für die Presse“ abziehen solle. Bei einer späteren ärztlichen Behandlung in einem Krankenhaus wurde festgestellt, dass der Mittelhandknochen der linken Hand gebrochen war.

Amnesty fordert, dass sich die Polizei menschenrechtskonform verhält. Das bedeutet auch, dass die Einsatzleitung bei jedem Einsatz für eine angemessene Anzahl an eingesetzten Polizeikräften sorgen muss – damit Polizeikräfte sich nicht aus Erschöpfung und/oder Überforderung gezwungen sehen, auf Maßnahmen zurückzugreifen, die zu Schmerzen und Verletzungen der betroffenen Personen führen können.

Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt

Die Polizei kommt bei der Wahrung des Menschenrechts auf friedliche Versammlung eine wichtige Rolle zu: Sie hat die Aufgabe, friedliche Proteste zu ermöglichen und alle Beteiligten zu schützen, damit sie dieses Recht in Anspruch nehmen können. Diese Aufgabe müssen Polizeikräfte auch bei Spontandemos wahrnehmen bzw. wenn Unvorhergesehenes passiert. Bei der Demo Ende Mai haben die Polizeikräfte jedoch – aufgrund der vorzeitigen Auflösung der Protestkundgebung – die Versammlungsfreiheit der Teilnehmenden verletzt:

„Statt von Respekt und Verhältnismäßigkeit in Taktik und Vorgehen war das Verhalten der Einsatzkräfte bei dieser Demo von Abwehr, Gewaltanwendung und rigoroser Machtdurchsetzung bestimmt“, sagt Heinz Patzelt. „Das widerspricht der wichtigen Rolle, die der Polizei bei Demonstrationen zukommt.“

Das oberösterreichische Verwaltungsgericht hat soeben richtungsweisend festgestellt, dass die Verletzung von Verwaltungsnormen wie der StVO im Rahmen einer Demonstration auch zulässig sein kann, wenn diese spontan und unangemeldet geschieht. „Wir fordern die Einsatzleiter der Wiener Polizei dringlich auf, sich mit diesem Urteil intensiv auseinander zu setzen“, sagt Heinz Patzelt.

„Chilling Effect“ auf Versammlungsfreiheit

Unverhältnismäßige Gewalt- und Zwangsmaßnahmen durch Behörden können einen „chilling effect“ auf die Versammlungsfreiheit haben: Menschen könnten aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen – d. h. zum Beispiel von Gewalt bei der Auflösung einer Versammlung, über Inhaftierung bis hin zu Verurteilungen von Teilnehmer*innen – davon abgehalten werden, an Demonstrationen teilzunehmen.

„Setz‘ dich für nichts ein, dann kann dir nichts passieren – das ist die Botschaft, die einem vermittelt wird“, sagte eine der von Polizeigewalt betroffenen Personen Amnesty International.

Eine weitere betroffene Person teilte Amnesty mit: „Danach [nach den Vorfällen bei der Demo Ende Mai, Anm.] war die Schwierigkeit da, dass ich ein bis zwei Wochen lang Angst hatte, rumzulaufen, dass einem wieder was passiert, wenn man Polizei sieht.“

„Wir bei Amnesty International sehen weltweit, wie sich Polizeigewalt negativ auf friedliche Demonstrationen auswirken kann“, sagt Heinz Patzelt, und sagt weiter: „Von einer Situation wie in Hongkong, Chile oder im Iran sind wir in Österreich zum Glück weit entfernt."

Polizeieinsätze bei Demonstrationen verlaufen hierzulande in vielerlei Hinsicht meist ordnungsgemäß und reibungslos. Umso unverständlicher sind die – zum Teil äußerst gravierenden – gewaltsamen Vorfälle bei der Demo Ende Mai.

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich

"Gerade deswegen ist es so wichtig, dass diese Vorfälle aufgearbeitet und die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden, um solche Vorfälle zukünftig zu vermeiden", sagt Heinz Patzelt.

Über den Bericht

Amnesty hat Interviews mit vier Betroffenen sowie Anwält*innen geführt, Video- und Fotomaterial und Dokumente gesichtet; dem Innenministerium wurden in einem Brief einige Fragen gestellt – der Brief wurde innerhalb kürzester Zeit beantwortet, wobei konkrete Fragen, insbesondere zu den Einzelfällen, unter Verweis auf laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen unbeantwortet blieben.