© Alessio Mamo
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EU schweigt zu schrecklichen Szenen an der kroatischen Grenze

29. Juni 2020

Ein Kommentar von Amnesty International EU, Danish Refugee Council und Save the Children

All jene, die mit Asylsuchenden und Migrant*innen in Bosnien und Herzegowina, nahe der Grenze zu Kroatien, arbeiten, sind mittlerweile an die schrecklichen Szenen gewöhnt: Immer wieder werden Menschen zwangsweise zurück über die Grenze geschickt, geschlagen und ausgeraubt. Ihre Dokumente werden verbrannt, man hetzt Hunde auf sie.

Aktuelle Meldungen stellen nun einen neuen, düsteren Tiefpunkt dar: Zurückkehrende Männer wurden mit oranger Farbe Kreuze auf den Kopf gesprüht, brutal verprügelt und mit Essen beschmiert.

Die Vorfälle wurden ursprünglich von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Amnesty International dokumentiert. Vor Kurzem berichteten auch der Guardian und der EUobserver darüber. Die Berichte wurden auch von verschiedenen internationalen humanitären Organisationen bestätigt, die Asylsuchende und Migrant*innen in den Lagern in Una-Sana Canton in der Nähe der kroatischen Grenze unterstützen.

Die Bilder sind schaurig, doch um nichts weniger schaurig ist die fehlende Reaktion der EU.

Straffreiheit ist an der Grenze Normalität. Berichte über Gewalt durch die kroatische Polizei werden auch weiterhin nicht überprüft.

Menschen zu demütigen, die in Europa Sicherheit suchen, indem man ihnen Kreuze auf den Kopf malt, ist nur der jüngste in einer langen Liste von Vorfällen, und symptomatisch für eine umfassendere Entwicklung von gewalttätigen Abschiebungen und anderen Menschrechtsverletzungen, die an den Außengrenzen der EU stattfinden – und die wir auch in Bulgarien, Ungarn und Griechenland beobachten.

Das Versagen der EU-Institutionen, einzelne Mitgliedsstaaten für ihr rechtswidriges Verhalten zur Rede zu stellen, hat dazu geführt, dass diese Praktiken immer weitere Verbreitung fanden, und weitere plumpe Abschreckungstaktiken einiger anderer Länder nach sich gezogen.

Trotz des durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Lockdowns in Europa fanden auch Anfang 2020 erneut Abschiebungen von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina statt. Beobachter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen verzeichneten alleine im April mehr als 1600 Vorfälle von Abschiebungen von Migrant*innen.

Männer, Frauen, Teenager und ganze Familien wurden angegriffen, körperlich misshandelt und willkürlicher Verhaftung unterworfen; ihre Habseligkeiten wurden zerstört.

Asylsuchende und Migrant*innen haben immer wieder berichtet, wie Polizeibeamt*innen sie ihrer Kleidung und ihrer Schuhe beraubt und sie gezwungen hätten, in schlechtem Wetter kilometerweit zurück an die bosnische Grenze zu gehen.

„Systematisch und vorsätzlich“

Dabei handelt es sich nicht um isolierte Ereignisse. Die schiere Zahl an Fällen und die Übereinstimmung der Vorwürfe lassen auf eine systematische und vorsätzliche Politik von Seiten der kroatischen Behörden schließen.

Gleichzeitig wurden auch Fälle von Hassreden und Intoleranz gegenüber Asylsuchenden und Migrant*innen in der gesamten Region verzeichnet – darunter auch Versuche, diese als Hauptverbreiter*innen des Corona-Virus und als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu diffamieren.

Etliche Länder haben Asyl- und Migrant*innenlager unter verpflichtende Quarantäne gestellt, ohne den darin eingesperrten Menschen die grundlegendste Unterstützung oder die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, um sich selbst gegen eine Infektion zu schützen.

In ihren öffentlichen Erklärungen wiederholten sowohl der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, als auch die Kommissarin für Inneres, Ylva Johannson, beständig ihr Bekenntnis zu den Grundrechten, zum Recht auf Asyl und zur Notwendigkeit Extremismus und Fremdenhass zu bekämpfen.

Während seiner Anhörung vor den Europaabgeordneten, ehe er als Kommissionsmitglied bestätigt wurde, definierte Schinas „unsere europäische Lebensweise“ als „offen der Welt gegenüber, Herz und Heimat jenen gegenüber ausgebreitet, die weniger Glück haben“.

„Im Kern“, so meinte er, „bedeutet Europäer zu sein, die Verletzlichsten in unserer Gesellschaft zu schützen“.

Auch Europäische Verträge und Gesetze betonen den Respekt gegenüber den Grundrechten, darunter das Recht auf Asyl und Respekt gegenüber den Prinzipien der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement).

Ohrenbetäubendes Schweigen in Brüssel

Der Schengener Grenzkodex, der die Regeln zur Kontrolle der EU-Grenzen aufführt, hält ausdrücklich fest, dass Grenzkontrollen mit höchstem Respekt für Menschenwürde durchgeführt werden sollen.

Dennoch ist das Schweigen der Kommission zu den besorgniserregenden Vorkommnissen an der kroatischen Grenze geradezu ohrenbetäubend.

Es gab keinerlei öffentliche Verurteilung, keine Aufforderung an die Regierung Kroatiens, den Sachverhalt zu untersuchen oder ernsthafte Bestrebungen, eine unabhängige Überwachung einzusetzen.

Wiederholte Aufforderungen des Europäischen Parlaments, die Verstöße zu untersuchen, hatten nur zögerliche Reaktionen zur Folge, wobei unbestimmt auf Schwierigkeiten bei der Überprüfung von Behauptungen verwiesen wurde sowie auf die unvermeidliche Leugnung jeglicher Verfehlungen durch die kroatischen Behörden.

Wie wir jetzt auf diese Menschenrechtsverletzungen reagieren, definiert wer wir sind und zu wem wir, als Europäer*innen, werden.

Wo zieht die EU die Grenze, wenn diese weitverbreiteten Verstöße weiterhin strafflos stattfinden können?

Glaubwürdige Berichte über hunderte von Zwischenfällen, die rechtswidrige Handlungen und Gewaltanwendung an den Außengrenzen der EU dokumentieren, sollten eine effektive, unabhängige Kontrolle, transparente Untersuchungen und Rechenschaftspflicht für eklatante Missachtung von EU-Recht nach sich ziehen.

Wenn die Europäische Kommission ihren Grundwerten ernsthaft verpflichtet ist, dann ist es an der Zeit, dass sie den Worten Taten folgen lässt: Sie muss rechtwidrige Abschiebungen und Gewalt an ihren Außengrenzen ganz entschieden verurteilen und darauf bestehent, dass die Verursacher*innen solcher illegaler Handlungen zur Verantwortung gezogen werden.

Die entwürdigende Behandlung von Asylsuchenden und Migrant*innen untergräbt die europäischen Gesetze und deren Reputation.

Jetzt, da die Europäische Kommission neue Migrations- und Asylstrategien ankündigt, was einen „Neubeginn“ in Verhandlungen darstellt, muss die Straffreiheit an den Grenzen Europas ein Ende haben.

Diesen Kommentar schrieben Eve Geddie, Direktorin von Amnesty International EU, Birte Hald, Repräsentantin der NGO Danish Refugee Council in Brüssel, und Anita Bay Bundegaard, EU-Direktorin von Save the Children. Der Text erschien mit Unterstützung von Human Rights WatchJRS EuropeOxfamInternational Rescue Committee (IRC), sowie Refugee Rights Europe (RRE) und wurde zum ersten Mal auf der Website EUobserver veröffentlicht.