Verprügelt, ausgeraubt und gewaltsam abgeschoben
13. März 2019Zusammenfassung
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Geflüchtete und Migrant*innen werden in Kroatien systematisch von Behörden verprügelt, ausgeraubt und gewaltsam nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben.
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Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass internationales Recht eingehalten und eine humanitäre Krise an den Grenzen Europas verhindert wird.
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, werden von der kroatischen Polizei gewaltsam nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschickt, bevor sie in Kroatien um internationalen Schutz ansuchen können. Kroatien ignoriert damit die Rechte dieser Menschen, und verletzt bindende völkerrechtliche Konventionen, zu deren Einhaltung sich das Land verpflichtet hat. Diese Menschenrechtsverletzungen, sowie die Folgen für die Betroffenen, dokumentiert Amnesty International im heute vorgestellten-Bericht: „Pushed to the edge – Violence and abuse against refugees and migrants along the balkan route.
Rund 5.500 Frauen, Männer und Kinder sitzen an der Grenze zu Kroatien in den kleinen bosnischen Städten Bihać und Velika Kladuša fest. Sie leben dort in verlassenen Fabrikgebäuden und müssen ohne jede Grundversorgung zurechtkommen.
Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, werden von kroatischen Sicherheitskräften verprügelt, ausgeraubt und nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschickt.
Massimo Moratti, Experte für die Region Europa bei Amnesty International.
„Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, werden von kroatischen Sicherheitskräften verprügelt, ausgeraubt und nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschickt. Dort befinden sie sich in einem rechtlichen Schwebezustand, da es kein funktionierendes Asylsystem gibt“, sagt Massimo Moratti, Experte für die Region Europa bei Amnesty International.
Die Europäische Regierungen ignorieren die gewalttätigen Übergriffe der kroatischen Polizei nicht nur. Durch finanzielle Mittel ermöglichen sie sie sie sogar: Die Europäische Union stellt nach wie vor erhebliche Summen bereit, um Kroatien bei der Grenzsicherheitsinfrastruktur zu unterstützen. Indem die EU-Mitgliedstaaten ihre Abschottungspolitik über das Völkerrecht stellen, tragen sie zu der humanitären Krise an den Grenzen der Europäischen Union bei. Gleichzeitig verweigern die Mitgliedstaaten die Implementierung einer nachhaltigen Migrationspolitik.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs können sich nicht länger vor der Verantwortung drücken, die sie für gewaltsame Abschiebungen entlang der Balkanroute tragen.
Massimo Moratti, Experte für die Region Europa bei Amnesty International
"Diese Methoden sind ein direktes Resultat einer Politik der Abschottung an den EU-Grenzen – egal um welchen Preis“, sagt Massimo Moratti.
„Um die Prioritäten der europäischen Staats- und Regierungschefs zu verstehen, muss man nur der Spur des Geldes folgen: Die finanziellen Mittel, die für humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, sind nichts im Vergleich zu den Geldern, die in den Grenzschutz fließen – zum Beispiel in Ausrüstung oder direkt in die Gehälter der kroatischen Grenzpolizei“, sagt Massimo Moratti.
Amnesty International fordert die kroatischen Behörden auf, Gewalt und Einschüchterungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen sofort zu beenden. Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass internationales Recht eingehalten und eine humanitäre Krise an den Grenzen Europas verhindert wird.
Rund 5.500 Frauen, Männer und Kinder gestrandet
Fast alle Menschen, mit denen Amnesty International im bosnischen Bihać und Velika Kladuša an der Grenze zu Kroatien gesprochen hat, waren aus Kroatien oder Slowenien nach Bosnien und Herzegowina zurückgeschoben worden.
Ein junger Mann aus Gaza erzählte Amnesty International, was geschah, als er mit neun anderen Geflüchteten von der Polizei aufgegriffen wurde: „Sie fuhren mit uns an die Grenze zu Bosnien und Herzegowina. Sie zwangen uns, aus dem Wagen auszusteigen, und begannen, uns einen nach dem anderen mit Stöcken zu schlagen.“
Dann beschrieb er, wie man ihnen etwas ins Gesicht sprühte, er vermutet Pfefferspray: „Ich konnte nichts mehr sehen. Meine Augen brannten. Sie sagten zu uns, wir sollten gehen und nie mehr nach Kroatien zurückkommen.“
Beinahe ein Drittel der von Amnesty Befragten gab an, die kroatische Polizei habe Gewalt angewendet. Viele von ihnen sagten, man habe sie geschlagen, ihre Unterlagen zerstört und ihnen ihr Hab und Gut abgenommen. Dies scheint eine systematische Strategie der kroatischen Behörden zu sein, um von zukünftigen Einreiseversuchen abzuschrecken.
Lebensgefährliche Routen
Bürokratische Hürden, unzureichende Rechtshilfe und eingeschränkte Verwaltungskapazitäten: Schutzsuchende haben in Bosnien und Herzegowina kaum eine Chance auf ein faires Asylverfahren. Die meisten von ihnen versuchen, in andere europäische Länder zu gelangen. Doch die Reise ist schwierig. Um nach Slowenien oder Italien zu gelangen, wo der EU-Schengenraum beginnt, müssen zunächst die dichten Wälder Kroatiens durchquert, Flüsse überwunden und an manchen Orten sogar Minenfelder überquert werden.
Von Jänner bis Oktober 2018 ertranken in den westlichen Balkanstaaten mindestens zwölf Menschen, die Meisten von ihnen bei dem Versuch, die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien zu überqueren.
Helfer*innen und Organisationen eingeschüchtert
Mit zunehmenden Vorwürfen über gewaltsame Abschiebungen versuchen die kroatischen Behörden vermehrt, eine Überprüfung ihrer Vorgehensweisen zu verhindern. Öffentliche Einrichtungen in Kroatien, die versuchen, den Umgang mit Geflüchteten und Migrant*innen an der Grenze zu beobachten, werden abgewiesen. Organisationen, die sich für die Rechte von Menschen auf der Flucht und Migrant*innen einsetzen, geraten ins Visier der Behörden.
Zahlreiche ehrenamtliche Helfer*innen von Nichtregierungsorganisationen wurden drangsaliert und sind ohne Anklage stundenlang bei der Polizei festgehalten worden. Dort drohte man ihnen mit Strafverfolgung. Das Innenministerium hat sogar einigen Organisationen unterstellt, Menschen dabei zu helfen, ohne offizielle Erlaubnis nach Kroatien einzureisen. All dies wirkt abschreckend auf Menschen, die in der Flüchtlingshilfe arbeiten.