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Die wichtigsten Menschenrechts-Themen der letzten zehn Jahre

20. Dezember 2019

Welche Themen haben den Kampf für die Menschenrechte der letzten zehn Jahre geprägt? Wir werfen einen Blick auf einige der wichtigsten globalen Menschenrechtsfragen unserer Zeit.

Von Aufständen in der gesamten arabischen Welt und dem Aufkommen globaler Protestbewegungen, bis hin zum Wiederaufleben einer Rhetorik des Hasses und der Besorgnis über den Missbrauch großer Daten- und Überwachungstechnologien, haben die 2010er Jahre neue Fronten im Kampf für unsere Rechte eröffnet.

Politik der Dämonisierung greift um sich

Einer der beunruhigenden Trends des letzten Jahrzehnts war der Aufstieg von Hass-Rhetorik, die einige der am stärksten marginalisierten Gruppen in der Gesellschaft dämonisiert, darunter Menschen auf der Flucht und Asylbewerber, religiöse und ethnische Minderheiten, Frauen und LGBTI.

Hass-Rhetorik ist der gemeinsame Nenner, der die Verfolgung der Rohingya in Myanmar, die Masseninternierung von Uiguren in China und die vorgeschlagene Einführung der Todesstrafe für Menschen, die gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten in Uganda ausüben, verbindet. Sie hat auch fremdenfeindliche Angriffe auf Migrant*innen in Südafrika angeheizt und war die treibende Kraft hinter der Politik der USA, Familien, die Sicherheit suchen, gewaltsam zu trennen. In der Zwischenzeit hat sie zur zunehmenden Kriminalisierung derjenigen beigetragen, die Geflüchteten in Europa helfen.

Anstatt reale Probleme wie Ungleichheit, Korruption, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not in Angriff zu nehmen, nutzen die politischen Führer*innen auf allen Kontinenten Minderheitengruppen als Sündenböcke für soziale und wirtschaftliche Missstände. Sie verbreiten Falschnachrichten über sie und schüren Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt gegen sie.

Auf Social Media Plattformen können diese hasserfüllten Ansichten weitgehend ungehindert gedeihen. Dieser Hass hat jedoch Aktivist*innen auf der ganzen Welt mobilisiert. Der Kampf für unsere Menschenrechte war noch nie so wichtig wie jetzt.

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Geflüchtete Rohingya im Flüchtlingslager in Teknaf, Bangladesh. © Ahmer Khan/Amnesty International

Zivilgesellschaft erkennt Klimakrise als größte Bedrohung unserer Zeit

Dieses Jahrzehnt wird wahrscheinlich das heißeste, seit es Wetteraufzeichnungen gibt, sein – ein weiteres alarmierendes Zeichen für die Klimakrise, die eine der größten menschenrechtlichen Bedrohungen unserer Zeit darstellt.

Millionen von Menschen leiden bereits unter den katastrophalen Folgen der Klimakrise – von anhaltender Dürre in Afrika über verheerende tropische Stürme in Südostasien und der Karibik bis hin zu Hitzewellen, die in Europa Rekordtemperaturen erreicht haben.

Der Klimawandel droht die Ungleichheiten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, zwischen verschiedenen Ethnien und Klassen, zwischen Geschlechtern, Generationen und Gemeinschaften zu verschärfen mit den am stärksten betroffenen benachteiligten Gruppen. Er hat bereits schädliche Auswirkungen auf unsere Rechte auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser und Wohnen.

Laut Wissenschaftler*innen wird sich das extreme Wetter weiter verschlimmern, wenn Regierungen nicht unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um die CO2-Emissionen innerhalb kürzester Zeit zu reduzieren. Das muss auch zum Schutz der Rechte von Menschen geschehen, die benachteiligten Gruppen angehören. Allerdings sind praktisch alle Regierungen nicht in der Lage, effektive Pläne aufzustellen und es gibt immer noch Widerstand von einigen der größten CO2-Verursachern. Insbesondere von den USA, die unter Präsident Trump den Prozess des formellen Austritts aus dem Pariser Abkommen eingeleitet haben.

Mehr denn je müssen wir zusammenhalten, um unsere politischen Führer*innen zur Verantwortung zu ziehen. Die Bewegung „Fridays For Future“, die 2018 von der schwedischen Teenagerin Greta Thunberg und ihren Kolleg*innen ins Leben gerufen wurde, zeigt uns, dass Veränderung möglich ist. Wir können es uns nicht leisten, zu scheitern.

© Benjamin Girette/Hans Lucas

Klima-Streik in Paris. (c) Benjamin Girette / Hans Lucas

Gewalt gegen Frauen: #MeToo treibt Wandel voran

Der Kampf für den Schutz von Frauen und Mädchen und gegen anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, war so hart wie noch nie. Sexuelle Gewalt wurde im letzten Jahrzehnt weiterhin als Kriegswaffe eingesetzt. Auch in der Demokratischen Republik Kongo, wo in einem von vielen Fällen mehr als 300 Menschen in vier Tagen von bewaffneten Männern in Walikale, Nord-Kivu, vergewaltigt wurden. Amnesty International dokumentierte auch die schrecklichen Auswirkungen von Vergewaltigungen in anderen Konfliktzonen wie dem Irak, Somalia, Darfur, Nigeria und Südsudan.

An vielen Orten sind es genau die Menschen, die Frauen und Mädchen angreifen, die eigentlich für deren Sicherheit sorgen sollten. In Mexiko berichteten Frauen von Folter und anderen Formen der Gewalt wie Stromschläge an den Genitalien oder Vergewaltigung mit Gegenständen während der Verhaftung und während des Verhörs durch die Polizei und Einsatztruppen des "Kriegs gegen die Drogen". Die Mordrate bei Frauen ist im Laufe des Jahrzehnts stark gestiegen, da die mexikanischen Behörden keine wirksamen Maßnahmen zur Lösung geschlechtsspezifischer Gewalt ergriffen haben.

Als Durchbruch verabschiedete das Ministerkomitee des Europarates am 7. April 2011 das bahnbrechende Übereinkommen von Istanbul (Istanbul Convention) zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt an dessen Ausarbeitung Amnesty International beteiligt war. Seit kurzem gehören Schweden und Griechenland zu den wenigen europäischen Ländern, die ihre Gesetze geändert haben, um anzuerkennen, dass Sex ohne Zustimmung Vergewaltigung ist.

Eine der ikonischsten Onlinebewegungen des Jahrzehnts, #MeToo, brachte Millionen von Frauen zusammen, um sich gegen sexuelle Gewalt, Belästigung und Körperverletzung zu wehren. #MeToo hat den Wandel überall vorangetrieben, von den Hollywood-Studios bis hin zu abgelegenen Dörfern in Nepal und Nordnigeria.

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Tausende von Frauen demonstrierten anlässlich des Internationalen Frauentages in Pakistan, hier in Lahore. (c) Ema Anis/Amnesty International

LGBTIq+ Rechte haben mehr Sichtbarkeit erlangt

Zweifellos ist die LGBTI-Rechtsbewegung sichtbarer als je zuvor, aber die Fortschritte waren in den letzten zehn Jahren unterschiedlich. In vielen Ländern werden LGBTI-Menschen immer noch auf der Straße schikaniert, verprügelt, verhaftet und manchmal getötet, einfach nur weil sie sind, wer sie sind oder weil sie lieben, wen sie lieben.

Einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen sind in 70 Ländern ein Verbrechen, und in einer Reihe von Ländern gilt darauf die Todesstrafe, unter anderem im Iran, in Saudi-Arabien, im Sudan und im Jemen. Manchmal wird der Hass gegenüber LGBTI-Menschen von ihren eigenen Regierungen geschürt. In Tschetschenien zum Beispiel führte eine staatliche Kampagne zur Entführung, Folter und sogar zur Tötung von Menschen, die für schwul oder lesbisch gehalten wurden.

Im vergangenen Jahr wurden einige bedeutende Schritte unternommen. Ein bahnbrechendes Urteil in Indien entkriminalisierte einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen und markierte damit einen entscheidenden Meilenstein im drei Jahrzehnte alten Kampf von LGBTI-Aktivist*innen und ihren Verbündeten in Indien. Taiwan war das erste Land in Asien, das die gleichgeschlechtliche Ehe nach der Verabschiedung eines historischen Gesetzes am 17. Mai 2019 legalisiert hat. Und Pakistan verabschiedete eines der fortschrittlichsten Gesetze der Welt zu Transgender-Rechten und wurde damit das erste asiatische Land und eines der wenigen weltweit, das die selbst gewählte Geschlechtsidentität gesetzlich anerkennt.

Aber für viele LGBTI-Menschen rund um den Globus, die verfolgt, verstümmelt, getötet, beschämt, in Brand gesteckt, in Krankenhäusern nicht zugelassen, gemieden, vergewaltigt und an den Rand gedrängt wurden – steht noch ein langer Weg bevor. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass ihre Rechte geschützt und die Diskriminierung aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität abgeschafft wird.

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Der March of Equality in Kiew, Ukraine. (c) Amnesty International Ukraine.

Sexuelle und reproduktive Rechte weiterhin umkämpft

Obwohl etwa 50 Länder in den letzten 25 Jahren ihre Gesetze geändert haben, um einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen, sind sexuelle und reproduktive Rechte nach wie vor umkämpft. Was alle erfolgreichen Kampagnen zur Reformierung von Abtreibungsgesetzen gemeinsam haben, ist die Tapferkeit der Frauen, die ihre Stimme erheben und ihr Recht einfordern, selbst zu entscheiden, was mit ihren eigenen Körpern geschieht.

Andernorts sind die reproduktiven Rechte bedroht worden. Versuche, den Zugang zur Abtreibung weiter einzuschränken, lösten in Polen landesweite Proteste aus. In mehreren US-Bundesstaaten wurden nahezu vollständige Verbote eingeführt oder Gesetze, die den Zugang zu Abtreibungen weiter einschränken. Die Wiedereinführung der "Global Gag"-Regel durch Präsident Trump, die die internationale Finanzierung von NGOs, die Abtreibungsberatung oder -vermittlung anbieten oder die sich für die Entkriminalisierung von Abtreibung einsetzen, durch die US-Bundesbehörden blockiert, war ein massiver Schlag gegen die Rechte der Frauen weltweit. So auch die Versuche der US-Regierung, den Verweis auf die "sexuelle und reproduktive Gesundheit" aus hochrangigen UN-Politikdokumenten, die von den Mitgliedstaaten gebilligt wurden, zu entfernen.

Von Irland bis Südkorea haben Aktivist*innen dazu beigetragen, das Stigma und die Geheimniskrämerei rund um den Schwangerschaftsabbruch abzubauen, indem sie ihre Geschichten erzählten. In Argentinien und Polen haben mehr als eine Million Frauen demonstriert und ihre Stimme erhoben. Letztes Jahr wurde in Irland eine legale Einrichtung für Schwangerschaftsabbrüche eingerichtet, die nach jahrelanger Kampagnenarbeit von Gruppen wie Amnesty International, nun auch in Nordirland auf dem Weg ist, verwirklicht zu werden. Weitere gute Nachrichten gab es in Argentinien, wo der designierte Präsident Alberto Fernández versprach, nach seinem Amtsantritt im Dezember 2019 Schwangerschaftsabbrüche zu legalisieren.

Big Tech und Datensicherheit: Milliarden Menschen werden Überwacht

Das Jahrzehnt hat mit dem Aufstieg von Big-Tech-Unternehmen wie Facebook und Google eine orwellsche Wende eingeleitet: Facebook und Google sammeln unsere persönlichen Daten und monetarisieren sie. Die daraus resultierende allgegenwärtige Überwachung bedroht Milliarden von Menschen und stellt eine systematische Bedrohung unserer Menschenrechte dar.

Zu Beginn des Jahrzehnts wurden wir alle in ein falsches Sicherheitsgefühl eingelullt und dachten noch, wir würden lediglich Fotos mit einigen wenigen Freunden teilen. Bis heute ist immer deutlicher geworden, dass unsere geteilten Informationen sowohl als Waffe zu Beeinflussung und Manipulation als auch als Mittel zur Verbreitung gefährlicher Desinformationen und zum Online-Missbrauch genutzt werden können. Ein Jahrzehnt später ist die so genannte "Einfluss-Industrie" in Form von Social-Media-Plattformen, Internet-Suchmaschinen, Datenbrokern und Technologieunternehmen zu einer der größten und finsteren gesellschaftlichen Bedrohungen unserer Zeit geworden: Unsere persönlichen Daten werden für Marketing und Werbung analysiert, um mit Vorhersagen über unsere Interessen, Eigenschaften und letztlich über unser Verhalten zu handeln.

Wir leben heute in einer Welt, in der die heimtückische Kontrolle weitreichende Konsequenzen über unser digitales Leben hat, die sogar über unsere Privatsphäre hinausgehen. Desinformation und Informationsmanipulation ist ein ständiges Schlachtfeld mit schwerwiegenden Auswirkungen auf unsere Meinungs-, Ausdrucks- und Gedankenfreiheit. In Meinungsumfragen zeigen sich sehr viele Menschen besorgt über den Einfluss der Big Tech-Unternehmen auf ihr Leben, sowohl über Daten, die zu viel über sie aussagen, als auch über Daten, die von staatlichen Behörden benutzt werden, um sie ins Visier zu nehmen.

Es dauerte eine Weile, bis die menschenrechtlichen Risiken, die Big Tech birgt, deutlich wurden, auch weil die Zivilgesellschaft und die Technologieunternehmen traditionell zusammenarbeiten, um das Internet frei von staatlicher Einmischung und damit auch von Regulierung zu halten. Ein klassisches Beispiel ist die Verteidigung der End-to-End-Verschlüsselung. Diese Arbeit ist wichtig. Aber da wir die Bedrohung der Menschenrechte nur aus der Perspektive von staatlicher Überwachung und Zensur betrachteten, haben wir das Ausmaß der Bedrohung durch die allgegenwärtige Präsenz von Big Tech erst allmählich vollständig erkannt.

In diesem Jahrzehnt wird es die Verantwortung der Regierungen sein, Maßnahmen zu ergreifen, um uns vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen zu schützen. Wirksame Datenschutzgesetze und eine effektiven Regulierung der Big Tech-Unternehmen müssen in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durchgesetzt werden.

© Sebastien Thibault/agoodson.com

Überwachung durch Facebook und Google ist heute allgegenwärtig. (c) Amnesty International

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