Loading...
© Amnesty International/Nour Suleiman

news © Amnesty International/Nour Suleiman

Alle anderen haben Europa nie erreicht

28. Juni 2016

Bis zu dem Moment, als Bahaa auf dem Lastwagendeck durch die Wüste fährt, hatte seine Flucht nach Europa fast etwas von einem großen Abenteuer: die Facebook-Gruppe, in der sich 130 syrische Familien, Frauen und Männer organisieren, um gemeinsam die Flucht nach Europa zu wagen oder das Satellitentelefon, das er für die Überfahrt zu besorgen hatte. Er fühlt sich wie Robinson Crusoe, ein bisschen zumindest.

Auf dem Truck dann verabschiedete sich das Gefühl des Abenteuers. Übrig bleibt die Angst. In Libyen sind er und die anderen Flüchtlinge gänzlich den Schleppern ausgeliefert, die sind bewaffnet und gefährlich und stellen klar, dass für sie nur das Geld zählt. Stundenlang sitzen sie auf dem Deck des Trucks, dann werden ungefähr 50 von ihnen in ein Haus gebracht, nicht zum Hafen, wie die der Rest.

Die Schlepper wollten mehr Geld. Sie sagten, entweder wir zahlen deutlich mehr als vereinbart, oder wir werden das Boot nach Europa nie betreten.

Sie verlangen  mehr Geld als die Menschen bezahlen können. Mit dem Satellitentelefon erreichte Bahaa seinen Freund, der bereits auf dem Weg zum Boot ist. „Du musst uns hier raus holen“. Sein Freund schafft es nur, Bahaa und einen weiteren Freund zum Hafen bringen zu lassen. Alle anderen haben Europa nie erreicht.  

„Es ist ein Wunder, dass ich Europa lebend erreicht habe“.

Beim Einsteigen beginnt eine Drängelei, die Schlepper machen klar, dass sie bei Problemen schießen werden.  Einer der Schlepper schlägt einem Mann aus Eritrea mit einer Eisenstange auf den Kopf, später am Boot verblutet er.

Alle pferchen sich in ein Fischerboot, die Afrikaner*innen alle unter Deck, neben den Motor in glühender Hitze, Bahaa bekommt einen Platz am Oberdeck. Auf offener See befällt ihn dann die schlimmste Angst seines Lebens:

Ich dachte nur: Was habe ich getan? Ich bin ein guter Schwimmer, aber da draußen, auf offener See, hilft das gar nichts. Ich hatte unglaubliche Angst.

Im Boot sind Familien, Babys, Frauen, Männer, verschiedenster Nationalitäten, aber vor allem viele Syrer*innen. Alle machen Schreckliches durch,  haben Angst um ihr Leben und um das Leben ihrer Kinder. Nach sechs Stunden auf dem Meer wird das Boot von einem italienischen Öltanker entdeckt, der Hilfe anfordert. Es sind ungefähr hundert Menschen im Boot, stundenlang warten sie in der glühenden Hitze. Die unter Deck eingepferchten Menschen versuchen auf das Oberdeck zu kommen, unten ist es unerträglich heiß. Aber auch oben sind zu viele Menschen, immer wieder breiteten sich Panikwellen aus, das Boot beginnt zu wanken.

„Wir versuchten die Menschen zu beruhigen. Sie hatten Durst und Angst und wollten auf den Öltanker, aber wir wurden nicht hinaufgelassen.“

Nach vielen Stunden kommt endlich das Rettungsboot des Roten Kreuzes. Familien und Kinder steigen auf das Schiff um. Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes manövrierte das Fischerboot mit Bahaa und den anderen Männern zu einem Marineschiff, wo alle umsteigen und nach Sizilien gebracht werden.

Als Bahaa im Sommer 2014 Wien ankommt, stellt er einen Asylantrag auf der Polizeistation in Meidling und kann nach wenigen Tagen zu seinem Bruder nach Lilienfeld in Niederösterreich ziehen.   Lilienfeld - wie schön das schon klinge! Bahaa und seinem Bruder geht es dort gut, seine Betreuerin der Diakonie ist heute noch eine gute Freundin. Nach drei Monaten erhält Bahaa den positiven Asylbescheid und als ein Jahr später, im Sommer 2015, viele tausend Flüchtlinge über den Balkan nach Europa kommen, hilft er mit, die Menschen zu versorgen. Er übersetzt und packt mit an, wo immer es geht.

Was sind Deine Träume für die Zukunft? Steuern zahlen!

So amüsant diese Antwort erst klingt, ergibt sie Sinn, sobald Bahaa erklärt, dass er den Österreicher*innen etwas zurückgeben möchte. 
„Hier in Österreich habe ich gesehen, wie das Sozialsystem funktioniert. Man zahlt Steuern und jene, die gerade Hilfe benötigen, bekommen diese, das finde ich großartig. Ich  habe davon profitiert und auch die vielen anderen Menschen auf der Flucht, die durch Österreich gezogen sind. Ich möchte etwas in den Topf zurückzahlen.“
Heute lebt Bahaa in Wien und beginnt im Herbst ein internationales Masterstudium an der Technischen Universität. Wien erinnere ihn an Damaskus, wo der Großteil seiner Familie noch lebt: Seine Eltern, die Schwester mit ihrer Familie sowie der jüngste Bruder.

„Nach meinem Studium inSyrien war klar, dass ich weg muss. Solange ich studierte, wurde ich nicht in die Armee eingezogen, aber danach muss man in den Krieg. Ich will nicht kämpfen! Dieser Krieg ist grausam, es gibt dafür keine Worte. Das ist wirklich nicht mein Krieg.“
In Wien sucht er sich ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, um besser Deutsch zu lernen und Freunde und Anschluss zu finden. Er hat sich in Wien einen Freundeskreis aufgebaut, den er sehr schätzt.

Bahaa ist angekommen in seinem neuen Leben, er ist glücklich hier. Und sicher.