Der Kampf gegen Femizide in Mexiko
22. August 2020Autorin: Ana Paula Suárez, Campaignerin bei Amnesty International Mexiko
Zu Jahresbeginn dachte mehr als eine von uns, dass 2020 das Jahr des Kampfes für Frauenrechte in Mexiko werden würde. Bei Initiativen wie #UnDíaSinNosotras und einem historischen 8. März - dem Internationalen Frauentag - bei dem 80.000 Menschen auf die Straße gingen (wie der Minister für öffentliche Sicherheit berichtete), war es kein Wunder, dass die Menschen so dachten.
Heute stellt uns die Pandemie vor neue Herausforderungen. Viele von uns Frauen, die sich früher vor dem Revolutionsdenkmal versammelten und in verschiedenen Teilen des Landes marschierten, suchen und finden jetzt neue Wege, um ihre Stimme von zu Hause aus zu erheben. Aber eines ist sicher: Wir werden nicht aufgeben. Wir werden alles tun, damit 2020 als ein Schlüsseljahr der Frauenbewegung in die Geschichte eingeht.
Die gleiche Stärke, die wir Anfang 2020 hatten, befähigt uns auch jetzt immer noch und treibt uns an, unsere Rechte einzufordern wie nie zuvor. Um uns zu organisieren und effektiver zu werden, lohnt es sich deshalb, einen kurzen Blick auf das zu werfen, was viele im Kampf für unsere Rechte bereits erreicht haben, insbesondere im Kampf zur Verhinderung und Ausrottung von Frauenmorden in Mexiko.
In Mexiko wurden geschlechtsspezifische Morde an Frauen ab 1993 sichtbar, als in Ciudad Juárez, Chihuahua, Frauen verschwanden und ermordet wurden. Familien und Organisationen sahen sich aufgrund der Schwere der Ereignisse und der Untätigkeit der Behörden veranlasst, die Fälle selbst zu untersuchen und Gerechtigkeit zu fordern. Das Problem gewann so viel Aufmerksamkeit in den Medien und in der kollektiven Vorstellung, dass sogar Hollywood-Filme darüber gedreht wurden. Ein Beispiel dafür ist der Film "Bordertown", der 1995 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere hatte.
Natürlich tauchte das Thema nicht nur in den Medien auf. Verschiedene Organisationen und Aktivist*innen kämpften an vorderster Front. Sie waren die Hauptmotoren der Sichtbarkeit, und seitdem haben sie mit allen Mitteln Gerechtigkeit für die Femizide in Ciudad Juárez gesucht. Und genau in diesem Zusammenhang wurde der erste große Schritt an der juristischen Front getan.
2007 ließ der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) den Fall von Claudia, Esmeralda und Laura zu. Nachdem die drei jungen Frauen verschwunden waren, wurden ihre Leichname, die Anzeichen sexueller Gewalt aufweisen, 2001 auf einem Baumwollfeld in Juarez gefunden.
Im Jahr 2009 entschied der IACHR, dass der mexikanische Staat für seine mangelnde Sorgfalt bei der Untersuchung der Todesfälle der Frauen und für das Versagen, diese Art von Verbrechen zu verhindern, verantwortlich sei. Weiters argumentierte der IACHR, dass diese Handlungen - bzw. das Unterlassen von Handlungen - die Wiederholung von Gewalttaten fördern und die Botschaft vermitteln, dass Gewalt gegen Frauen toleriert und als Teil des täglichen Lebens akzeptiert werden kann.
Seither ist international bekannt geworden, dass die mexikanischen Behörden ihrer Verpflichtung, unser Leben zu garantieren, nicht nachkommen. Im Gegenteil: ihr Handeln hat die Verbreitung einer Kultur ermöglicht, die uns tagtäglich gefährdet.
2015 entschied der Oberste Gerichtshof der Nation (SCJN) über den Fall von Mariana Lima Buendía, einer Frau aus dem Bundesstaat Mexiko, die 2010 Opfer eines Femizids wurde. Marianas Ehemann erzählte den Behörden, er habe sie tot in ihrem Haus gefunden, nachdem sie beschlossen hatte, sich das Leben zu nehmen. Irinea Buendía, Marianas Mutter, sagte jedoch, ihre Tochter habe ihr anvertraut, dass sie ihr Haus aufgrund der Angriffe von Seiten ihres Mannes verlassen wolle. Ungeachtet dieser Schilderungen unterließen es die Behörden, eine geschlechtsspezifische Perspektive in die Untersuchung von Marianas Tod miteinzubeziehen.
In seinem Urteil wies der SCJN darauf hin, dass die Untersuchung von Marianas Tod eine Reihe an Mängeln aufwies und und schrieb fest, dass ALLE gewaltsamen Todesfälle von Frauen aus einer geschlechtsspezifischen Perspektive zu untersuchen seien. Nachdem die meisten Staatsanwaltschaften die Kriterien zur Identifizierung eines Femizids nicht korrekt anwenden, sollten mit dieser Festschreibung geschlechtsspezifische Todesursachen entweder explizit ausgeschlossen oder bestätigt werden.
Das Urteil des SCJN führte dazu, dass der Fall von Mariana Lima als Femizid untersucht wurde, und war ein wichtiger Schritt nach vorn im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Einige Jahre zuvor, im Jahr 2012, wurde der Tod von Karla Pontigo, einem 22-jährigen Mädchen aus San Luis Potosi, trotz Beweisen für sexuelle Belästigung als Unfall untersucht. Trotzdem suchen ihre Familie und Aktivist*innen weiterhin nach der Wahrheit in diesem Fall.
Im Jahr 2016 wurde der Fall vor den SCJN gebracht. Im Jahr 2019 entschied der SCJN im Einklang mit dem Urteil von Mariana Lima, dass der Tod von Karla von Anfang an unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten hätte untersucht werden müssen, wobei er auf die zahlreichen Versäumnisse der Staatsanwaltschaft des Staates San Luis Potosi hinwies. Darüber hinaus ordnet das Urteil an, dass alle Versäumnisse, die im Laufe der Ermittlungen begangen wurden, untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen.
Das Urteil gegen Karla Pontigo ist in dem Punkt historisch, als dass es die Behörden, die bei der ersten Untersuchung ihres Todes fahrlässig gehandelt haben, in die Verantwortung nimmt.
In Karlas Fall und im Fall aller weiblichen Opfer von Femiziden in Mexiko, deren Ermittlungen leider immer noch gravierende Mängel aufweisen, ist noch ein langer Weg zurückzulegen. Trotz der Hindernisse werden wir nicht aufgeben. Heute sind wir vereint und vorbereitet, und wir werden weiter kämpfen, bis die Femizide in Mexiko ausgerottet sind.
Wenn du mehr über den Fall Karla erfahren möchtest und dich fragst, wie du uns unterstützen kannst, schau' doch zuerst auf dieser Seite vorbei und unterschreib' dann die Petition von Amnesty International Mexiko:
Anmerkung: Die Petition ist leider nur in Spanisch verfügbar.
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