Loading...
© Amnesty International

Recht auf soziale Sicherheit: Warum die Sozialhilfe in Österreich dringend neu geregelt werden muss © Amnesty International

Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit verpflichtet Staaten dazu, Menschen in einer Notlage zumindest ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Österreich kommt dieser menschenrechtlichen Verpflichtung derzeit nicht ausreichend nach: die Sozialhilfe reicht nicht aus, um Menschen vor Armut zu schützen und macht sie zu Bittsteller*innen. Die Sozialhilfe liegt in Österreich deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle. Das ist perfide, denn die Sozialhilfe sollte eigentlich das letzte Auffangnetz für Menschen in Krisen sein. Im folgenden Text erfährst du, warum es dringend eine neue menschenrechtskonforme Regelung der Sozialhilfe in Österreich braucht und wie wir alle gemeinsam dafür einstehen können. 

> Was bedeutet das Menschenrecht auf soziale Sicherheit und wie ist es menschenrechtlich verankert? 

> Armut in Österreich – Statistik und Fakten  

> Was ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz? 

> Wer hat in Österreich Anspruch auf Sozialhilfe und wer nicht? Wo liegen die Hürden beim Zugang? 

> Was fordert Amnesty International? 

> Was kann jede*r einzelne von uns tun, um für soziale Sicherheit in Österreich einzutreten? 

Was bedeutet das Menschenrecht auf soziale Sicherheit und wie ist es menschenrechtlich verankert? 

Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für ein Leben in Würde. Es verpflichtet Staaten, jenen Menschen, die sich in einer Notlage befinden, zumindest ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Das Recht auf soziale Sicherheit umfasst auch den diskriminierungsfreien Zugang und den Erhalt von Unterstützung – egal ob in Geld- oder Sachleistung – bei den folgenden neun wesentlichen Bereichen bzw. Lebensrisiken: 

  • Gesundheitsversorgung 
  • Krankheit 
  • Alter 
  • Arbeitslosigkeit 
  • Arbeitsunfall 
  • Familien- und Kinderunterstützung 
  • Mutterschaft 
  • Behinderung 
  • Waisen

Das Recht auf soziale Sicherheit ist in zahlreichen internationalen Verträgen und Konventionen verankert, allen voran im Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art 9 IPwskR) und in der Europäischen Sozialcharta (Art 12 und Art 13, Art 30, ESC rev). Es ist außerdem in den Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention (CRC), UN-Behindertenrechtskonvention (CRPD), UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), und in der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO Convention No 102) (1952) verankert. Letztere hat Österreich teilweise ratifiziert. 

© Adobestock © Adobestock

Sozialhilfe-Bezieher*innen

190.000

Rund 190.000 Menschen in Österreich bezogen laut den letzten Erhebungen der Statistik Austria im Jahresdurschnitt 2022 Sozialhilfe oder Mindestsicherung.

Kinder

35,5%

35,5% der Menschen, die im Jahr 2022 Sozialhilfe oder Mindestsicherung bezogen, sind Kinder. Quelle: Statistik Austria.

Sozialhilfe

<1%

Die Ausgaben für Sozialhilfe im Jahr 2022 beliefen sich auf knappe 1 Milliarde Euro, was weniger als 1 Prozent des Gesamtbudgets aller Sozialausgaben ausmachte. Quelle: Statistik Austria

Was ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz? 

Im Jahr 2019 verabschiedete die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG). Damit wurden Höchstsätze eingeführt, mit der sich Österreich von einem menschenrechtsbasierten Ansatz in der Sozialhilfe entfernte. Die Veränderung war gravierend: Statt der Mindestsätze in der zuvor geltenden “bedarfsorientierten Mindestsicherung” wurden den Bundesländern nun Höchstsätze vorgeschrieben. Ihnen ist somit untersagt, günstigere Regelungen über höhere monatliche Leistungen zu erlassen. Stattdessen ermöglichte der Gesetzgeber mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz nun einen Spielraum nach unten. Die Bundesländer haben nun grundsätzlich die Möglichkeit, auch einen geringeren Richtsatz festzulegen, als im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz normiert wird.  

Neben den Höchstsätzen ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz aus menschenrechtlicher Sicht auch aufgrund der neuen Zielbestimmungen ein offensichtlicher Rückschritt im österreichischen System der Sozialhilfe. Der bis dahin geltende Ansatz, Sozialhilfe auch als Mittel zur Bekämpfung von Armut zu sehen und die einzelnen Regelungen im Hinblick auf dieses Ziel zu gestalten, ist mit dem Sozialhilfegrundsatzgesetz weggefallen. Denn seit dem SH-GG ist es explizit nicht mehr die Intention des Gesetzgebers, Armut in Österreich zu bekämpfen. Im Gesetz finden sich statt Armutsbekämpfung andere politische Ziele, wie die Berücksichtigung von „fremden- und integrationspolitischen Zielen“ und die „(Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben“. Die aktuellen Zielbestimmungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes stehen somit in Widerspruch zur grundlegenden menschenrechtlichen Definition von sozialer Sicherheit. 

Wie bereits erwähnt, ist Sozialhilfe in Österreich Sache der Bundesländer. Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sollte ein verbindlicher Rahmen geschaffen werden, den die Bundesländer bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe einhalten müssen. Dieser grundsätzlich gute Ansatz, der das föderal zersplitterte Sozialsystem österreichweit harmonisieren sollte, verfehlte in der Praxis sein Ziel: Als Grundgesetz enthält es eine Vielzahl an so genannten „Kann“-Bestimmungen, die den Bundesländern Spielräume bei der Gestaltung ihrer Gesetze eröffnen sollten, die aber von den Ländern unterschiedlich ausgeübt werden. Dadurch ist die österreichische Sozialhilfe ein Stückwerk und uneinheitlich. 

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob in den vergangenen Jahren immer wieder Teile oder einzelne Bestimmungen des SH-GG auf, im Jahr 2022 gab es außerdem eine Novelle. Dadurch kam es zu einzelnen Verbesserungen, aber die Hauptkritikpunkte an dem Gesetz bleiben bestehen. 

Mit seiner Erkenntnis vom 12. Dezember 2019 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) auch die Regelung aufgehoben, die die Richtsätze für Kinder festlegte (§5 Abs. 2 Z3). Die Regelung habe eine sachlich nicht gerechtfertigte und daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien zur Folge, insbesondere da diese Regelung dazu führen hätte können, dass der notwendige Lebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Da die Gesetzgebung allerdings keine Reparatur dieser Regelung vornahm, obliegt es den Bundesländern die Leistungshöhe für Kinder frei zu bestimmen. Das hat zur Folge, dass nun jedes Bundesland andere Richtsätze für Kinder festlegt. Somit unterscheidet sich die ausbezahlte Leistungshöhe für Kinder je nach Bundesland teilweise sehr deutlich voneinander.  

Wer hat in Österreich Anspruch auf Sozialhilfe und wer nicht? Wo liegen die Hürden beim Zugang? 

Die Sozialhilfe in Österreich ist mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz von bewusst gesetzten Ausschlusskriterien geprägt. Der Kreis derjenigen, die Anspruch auf Sozialhilfe haben, ist deutlich kleiner geworden.  

Gemäß §4 Abs. 1 sind österreichische Staatsangehörige, Asylberechtigte sowie nicht-österreichische Staatsbürger*innen, die sich seit mindestens fünf Jahren dauerhaft tatsächlich und rechtmäßig in Österreich aufhalten, für die Sozialhilfe bezugsberechtigt.  

Asylsuchende und Menschen, die nicht-österreichische Staatsangehörige sind und sich noch keine fünf Jahre in Österreich aufhalten, sind ebenso von der Sozialhilfe ausgeschlossen, wie Menschen, die einen subsidiären Schutzstatus zuerkannt bekommen haben. Menschen mit subsidiärem Schutzstatus sind gemäß §4 Abs. 1 nur Kernleistungen zu gewähren, die das Niveau der Grundversorgung nicht übersteigen dürfen. Das Niveau der Grundversorgung liegt dabei unter den Richtsätzen der Sozialhilfe. Darin unterscheidet sich das Sozialhilfegrundsatzgesetz von der davor geltenden bedarfsorientierten Mindestsicherung, in der Menschen mit subsidiärem Schutzstatus nicht ausgeschlossen wurden.  

„Es ist offensichtlich, dass das Sozialhilfegrundsatzgesetz keinen diskriminierungsfreien Zugang sicherstellt und gerade jene Menschen, die besonders Unterstützung bräuchten, von der Sozialhilfe ausschließt.” Teresa Hatzl, Expertin für soziale Rechte bei Amnesty International Österreich.  

Es ist offensichtlich, dass das Sozialhilfegrundsatzgesetz keinen diskriminierungsfreien Zugang sicherstellt und gerade jene Menschen, die besonders Unterstützung bräuchten, von der Sozialhilfe ausschließt.

Teresa Hatzl, Expertin für soziale Rechte bei Amnesty International Österreich
© HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com © HERBERT NEUBAUER / APA / picturedesk.com

Was kann jede*r einzelne von uns tun, um für soziale Sicherheit in Österreich einzutreten? 

Die öffentliche Debatte über Sozialhilfe ist in Österreich leider viel zu häufig eine Neiddebatte, in der verschiedene Gruppen von Menschen gegeneinander ausgespielt und negative Stereotype bedient werden. Das Bewusstsein, dass Armut ein Menschenrechtsthema und es staatliche Verantwortung ist, Menschen vor Armut zu schützen, muss in der breiten Öffentlichkeit verankert werden. Zur Bewusstseinsbildung kann jede*r einzelne von uns beitragen – am Stammtisch oder im Sportverein. Neben Solidarität für Betroffene, ist es auch an uns, die politischen Entscheidungsträger*innen an ihre Verantwortung zu erinnern. Gemeinsam fordern wir eine Sozialhilfe, die Armut bekämpft und soziale Sicherheit schafft! Für ein Leben in Würde. Für alle Menschen in Österreich. Unterstütze den Online-Appell an die Regierung! 

Armut hat viele Gesichter

Stell dir vor, du musst dich zwischen Essen und Miete entscheiden. Für viele Menschen in Österreich ist das tagtägliche Realität. Fast 15% der Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. Statt armutsbetroffenen Familien Hamburger als vermeintlich günstige Mahlzeit für ihre Kinder nahezulegen, muss die Politik handeln! Fordere mit uns von der Bundesregierung eine neue gesetzliche Regelung, die Menschenrechte berücksichtigt und ein Leben in Würde für alle Menschen sicherstellt.

Antikriegsaktion: Russische Künstlerin in Haft!

Jetzt helfen