Was ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz?
Im Jahr 2019 verabschiedete die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG). Damit wurden Höchstsätze eingeführt, mit der sich Österreich von einem menschenrechtsbasierten Ansatz in der Sozialhilfe entfernte. Die Veränderung war gravierend: Statt der Mindestsätze in der zuvor geltenden “bedarfsorientierten Mindestsicherung” wurden den Bundesländern nun Höchstsätze vorgeschrieben. Ihnen ist somit untersagt, günstigere Regelungen über höhere monatliche Leistungen zu erlassen. Stattdessen ermöglichte der Gesetzgeber mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz nun einen Spielraum nach unten. Die Bundesländer haben nun grundsätzlich die Möglichkeit, auch einen geringeren Richtsatz festzulegen, als im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz normiert wird.
Neben den Höchstsätzen ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz aus menschenrechtlicher Sicht auch aufgrund der neuen Zielbestimmungen ein offensichtlicher Rückschritt im österreichischen System der Sozialhilfe. Der bis dahin geltende Ansatz, Sozialhilfe auch als Mittel zur Bekämpfung von Armut zu sehen und die einzelnen Regelungen im Hinblick auf dieses Ziel zu gestalten, ist mit dem Sozialhilfegrundsatzgesetz weggefallen. Denn seit dem SH-GG ist es explizit nicht mehr die Intention des Gesetzgebers, Armut in Österreich zu bekämpfen. Im Gesetz finden sich statt Armutsbekämpfung andere politische Ziele, wie die Berücksichtigung von „fremden- und integrationspolitischen Zielen“ und die „(Wieder-)Eingliederung von Bezugsberechtigten in das Erwerbsleben“. Die aktuellen Zielbestimmungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes stehen somit in Widerspruch zur grundlegenden menschenrechtlichen Definition von sozialer Sicherheit.
Wie bereits erwähnt, ist Sozialhilfe in Österreich Sache der Bundesländer. Mit dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sollte ein verbindlicher Rahmen geschaffen werden, den die Bundesländer bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe einhalten müssen. Dieser grundsätzlich gute Ansatz, der das föderal zersplitterte Sozialsystem österreichweit harmonisieren sollte, verfehlte in der Praxis sein Ziel: Als Grundgesetz enthält es eine Vielzahl an so genannten „Kann“-Bestimmungen, die den Bundesländern Spielräume bei der Gestaltung ihrer Gesetze eröffnen sollten, die aber von den Ländern unterschiedlich ausgeübt werden. Dadurch ist die österreichische Sozialhilfe ein Stückwerk und uneinheitlich.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob in den vergangenen Jahren immer wieder Teile oder einzelne Bestimmungen des SH-GG auf, im Jahr 2022 gab es außerdem eine Novelle. Dadurch kam es zu einzelnen Verbesserungen, aber die Hauptkritikpunkte an dem Gesetz bleiben bestehen.
Mit seiner Erkenntnis vom 12. Dezember 2019 hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) auch die Regelung aufgehoben, die die Richtsätze für Kinder festlegte (§5 Abs. 2 Z3). Die Regelung habe eine sachlich nicht gerechtfertigte und daher verfassungswidrige Schlechterstellung von Mehrkindfamilien zur Folge, insbesondere da diese Regelung dazu führen hätte können, dass der notwendige Lebensunterhalt bei Mehrkindfamilien nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Da die Gesetzgebung allerdings keine Reparatur dieser Regelung vornahm, obliegt es den Bundesländern die Leistungshöhe für Kinder frei zu bestimmen. Das hat zur Folge, dass nun jedes Bundesland andere Richtsätze für Kinder festlegt. Somit unterscheidet sich die ausbezahlte Leistungshöhe für Kinder je nach Bundesland teilweise sehr deutlich voneinander.