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Presse © chika_milan/Adobe Stock

Ungarn & COVID-19: Stärkere Diskriminierung und höhere Arbeitsplatzunsicherheit für Frauen

3. Juni 2020

Zusammenfassung

  • Neuer Amnesty-Bericht zeigt, dass die COVID-19-Pandemie existierende geschlechtsspezifische Diskriminierung weiter verschärft
  • Besonders betroffen sind Schwangere oder Frauen mit kleinen Kindern

In Ungarn hat sich die bereits existierende Geschlechterungleichheit auf dem Arbeitsmarkt durch die COVID-19-Pandemie noch weiter verschärft. Der neue Bericht von Amnesty International zeigt, dass Frauen nun noch stärker von Diskriminierung und Arbeitsplatzunsicherheit betroffen sind.

Der Bericht „No working around it: Gender-based discrimination in Hungarian workplaces“ zeigt auf, dass die geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz – die bereits vor der Pandemie weitverbreitet war – seit den Ausgangsbeschränkungen stark zugenommen hat und immer mehr Frauen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

In Ungarn werden Frauen, insbesondere wenn sie schwanger sind oder kleine Kinder haben, am Arbeitsplatz auf haarsträubende Weise direkt oder indirekt diskriminiert. Das hat seit der COVID-19-Krise noch weiter zugenommen.

Krisztina Tamás-Sáróy, Ungarn-Expertin bei Amnesty International

„Die Behörden ignorieren ihre Verpflichtung zur Beseitigung der geschlechtsspezifischen Diskriminierung am Arbeitsplatz und ermöglichen Arbeitgeber*innen so, die Rechte von Frauen mit Füßen zu treten – und das ausgerechnet zu einer Zeit, in der diese Rechte wichtiger sind als je zuvor.“

Kinderbetreuung: Frauen übernehmen mehr Pflichten 

Es ist deutlich zu sehen, wie unterschiedlich sich COVID-19 auf Männer und Frauen in Ungarn auswirkt – einem Land, in dem Männer auf dem Arbeitsmarkt seit jeher bevorteilt werden. Ein eklatantes Beispiel ist die Kinderbetreuung: Frauen haben in dieser Hinsicht schon immer mehr Pflichten übernommen und müssen nun unverhältnismäßig häufig ihre Arbeitsstelle aufgeben, um sich um ihre Kinder zu kümmern, da Kindergärten und Schulen geschlossen sind.

Zwar wird das genaue Ausmaß der COVID-19-Pandemie erst nach und nach deutlich, doch bereits jetzt ist klar zu erkennen, dass sich zahlreiche Aspekte der bereits existierenden geschlechtsspezifischen Diskriminierung in jüngster Zeit verschärft haben. Immer mehr ungarische Frauen zahlen nun den Preis für das Versäumnis der Regierung, internationale und regionale menschenrechtliche Verpflichtungen angemessen im innerstaatlichen Arbeitsrecht zu verankern. Gleichzeitig enthalten die Gesetze zur Reglementierung von Arbeitsverhältnissen und Gleichbehandlung riesige Schlupflöcher, die von Arbeitgeber*innen ausgenutzt werden können.

Arbeitsverträge von Schwangeren gekündigt

Besonders betroffen sind schwangere Frauen, deren Arbeitsverträge oftmals gekündigt werden, sobald ihre Schwangerschaft bekannt wird. Zwar verbietet das ungarische Arbeitsgesetz die Kündigung aufgrund von Schwangerschaft, doch häufig schieben Arbeitgeber Fehlverhalten oder andere ungerechtfertigte Gründe vor, um das Arbeitsverhältnis aufzulösen.

Bernadett (Name geändert) ist eine der Frauen, mit denen Amnesty International gesprochen hat. Sie berichtete, wie sie zu einem Gespräch zitiert wurde, nachdem sie ihren Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft unterrichtet hatte.

„Sie sagten, dass mein Gehalt zu hoch sei und dass wir entweder einen neuen Vertrag mit niedrigerem Gehalt unterschreiben könnten, sodass ich in Mutterschutz gehen und die entsprechende Unterstützung erhalten könne, oder dass andernfalls das Arbeitsverhältnis aufgelöst werde.“ Am Ende hatte sie keine andere Wahl, als einen neuen Vertrag zu unterschreiben, und verließ das Unternehmen.

Hinzu kommt, dass Arbeitnehmerinnen oft nicht wissen, dass Arbeitgeber*innen verpflichtet ist, ihnen ihre alte Stelle oder eine vergleichbare Position anzubieten. In der Praxis geschieht dies meist nicht. Viele Arbeitgeber*innen ermöglichen es ihren Angestellten überdies nicht, nach dem Mutterschutz oder der Elternzeit in Teilzeit zu arbeiten, obwohl sie rechtlich dazu verpflichtet sind.

Von einer Frau namens Dora erfuhr Amnesty International, dass Angestellte, die nach dem Mutterschutz oder der Elternzeit an den Arbeitsplatz zurückkehrten, von ihrem Vorgesetzten explizit aufgefordert wurden, keine Teilzeitarbeit zu beantragen. „Teilzeitarbeit wird von unserem Unternehmen nicht unterstützt, da sie schlecht für den Betrieb ist.“

Frauen befürchten häufig Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie sich intern bei ihrem Arbeitgeber über Diskriminierung beklagen oder extern bei der Gleichbehandlungsstelle oder vor Gericht Beschwerde einreichen. Firmeninterne Beschwerdemechanismen existieren entweder gar nicht oder bleiben wirkungslos, und der Zugang zu externen Rechtsbehelfen ist häufig mit sehr großen Hindernissen verstellt.

Neue Verstöße durch COVID-19

Die COVID-19-Pandemie zwingt Arbeitgeber*innen dazu, ihren Angestellten die Arbeit im Homeoffice zu erlauben. Das führt möglicherweise zwar zu mehr Akzeptanz dieser Arbeitsform, lässt aber auch neue Verstöße befürchten. Schlupflöcher in den Verordnungen zur Heimarbeit könnten von skrupellosen Arbeitgebern leicht ausgenutzt werden.

„Die Pandemie beeinträchtigt alle Lebensbereiche. Dies kann jedoch nicht als Vorwand dafür herangezogen werden, die Rechte von Frauen am Arbeitsplatz noch weiter zu untergraben. Und vor allem sollten Schwangerschaft und Muttersein auf dem Arbeitsmarkt des 21. Jahrhunderts nicht stigmatisiert werden“, sagt Dávid Vig, Direktor von Amnesty International in Ungarn, und sagt weiter:

„Vielmehr müssen Arbeitgeber*innen ihren Angestellten mit Kindern eine flexiblere und kulantere Arbeitsweise anbieten. Auf lange Sicht profitieren von einem solchen Ansatz nicht nur die Angestellten, sondern auch die Arbeitgeber*innen.“

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