© Dimitris Lampropoulos/NurPhoto/Getty
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presse

Das von Sparmaßnahmen zerrüttete Gesundheitssystem muss dringend gestärkt werden

27. April 2020

Zusammenfassung

  • Lange Wartezeiten, kein Zugang zu Gesundheitsversorgung: Amnesty International dokumentierte verheerende Auswirkungen der Sparmaßnahmen für Personal und Patient*innen
  • Verschärfte Situation durch COVID-19 wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals auf
  • Amnesty International fordert verstärkte Investitionen in Gesundheits- und Sozialfürsorge

Die COVID-19-Pandemie in Griechenland verdeutlicht, wie Jahre der Rezession und Sparmaßnahmen das Gesundheitssystem des Landes zerrüttet haben. In einem heute veröffentlichten Bericht zeigt Amnesty International auf, wie schwere Einschnitte seit 2010 dazu geführt haben, dass sich Menschen Gesundheitsversorgung nicht leisten können und keinen Zugang zu ihr zu erhalten. Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens teilten Amnesty mit, dass sie mit erheblichem Personalmangel konfrontiert sind – eine Situation, die sich durch den Ausbruch von COVID-19 noch verschärft hat.

„Personal- und Geräteknappheit machen jetzt Schlagzeilen, aber in Wirklichkeit bröckelt das griechische Gesundheitssystem seit Jahren“, sagt Marie Struthers, Europa-Direktorin bei Amnesty International, und sagt weiter: „Die Regierung muss diese Krise als Weckruf erkennen und beginnen, verstärkt in Gesundheits- und Sozialfürsorge zu investieren.“

„Nach einem Jahrzehnt mangelnder Investitionen steht das öffentliche Gesundheitswesen in Griechenland angesichts der COVID-19-Pandemie vor einer weiteren ernsthaften Herausforderung. Da sich weltweit eine Rezession nach der Pandemie abzeichnet, sollten wichtige Lehren aus den vergangenen Jahren gezogen werden: Griechenlands schmerzliche Erfahrungen des letzten Jahrzehnts dürfen nicht wiederholt oder von anderen Staaten nachgemacht werden“, sagt Marie Struthers.

Sparmaßnahmen in Reaktion auf die Finanzkrise

Die griechische Regierung führte 2010 als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise massive Sparmaßnahmen ein. Die öffentlichen Ausgaben wurden um 32 Prozent gekürzt, wobei die öffentlichen Gesundheitsausgaben zwischen 2009 und 2017 um fast 43 Prozent zurückgingen.

Strukturreformen verlagerten einen großen Teil der Gesundheitskosten auf die Patient*innen. Darüber hinaus enthielten die drei Finanzhilfeprogramme, die mit Griechenlands Gläubigern abgeschlossen wurden, Auflagen, die mit zur Schwächung des Gesundheitssystem führten.

Lange Wartezeiten & eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung

Die Auswirkungen waren für Personal und Patient*innen deutlich spürbar. Amnesty International befragte 75 Menschen, die im öffentlichen Gesundheitssystem behandelt werden wollten, und 55 Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens. Rund 90 Prozent der Befragten berichteten Amnesty, dass sie mit langen Wartezeiten konfrontiert waren, und viele beschrieben Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund der hohen Kosten.

Ein Mann sagte gegenüber Amnesty International: „Wenn man kein Geld hat, bekommt man heutzutage keine Gesundheitsversorgung.“ Ein anderer sagte: „Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, wartet man einfach mit Schmerzen.“

Ein Mann, der 2019 von Amnesty International befragt wurde, sagte: „Die Menschen, die für diese Krise bezahlt haben, sind jene mit niedrigem Einkommen und Arbeiter*innen. Sie haben mit ihren Steuern, mit ihren Sozialleistungen und mit ihrer Gesundheit bezahlt.“

COVID-19 bringt Gesundheitssystem an seine Grenzen

Der erste Fall von COVID-19 wurde im Februar 2020 in Griechenland gemeldet. Anfang April sagte ein Mitarbeiter des Gesundheitswesens gegenüber Amnesty International: „Während der Finanzkrise, als im Gesundheitssektor Kürzungen vorgenommen wurden, führte dies dazu, dass die meisten Krankenhäuser mit der Hälfte des erforderlichen Personals arbeiteten ... [In unserem Krankenhaus] arbeiten wir mit der Hälfte des erforderlichen Personals, und wenn [COVID-19] Fälle zunehmen, wäre es unmöglich.“

Im Bewusstsein der Schwäche des Gesundheitssystems reagierte die Regierung auf die COVID-19-Pandemie mit einer Reihe von Eindämmungsmaßnahmen, einschließlich eines raschen Lockdowns, der dazu beitrug, die Zahl der Infektionen und Todesfälle zu minimieren. Die Regierung bot der Bevölkerung auch wirtschaftliche Unterstützung an und stellte zusätzliche 200 Millionen Euro für das Gesundheitssystem zur Verfügung.

Trotzdem verschärfte sich die Situation, mit der Beschäftigte des Gesundheitswesens seit der Zeit der Sparmaßnahmen konfrontiert sind, während der Pandemie. Das wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsbedingungen des Gesundheitspersonals in Griechenland auf.

Amnesty International erfuhr von Mitarbeiter*innen, dass sie aufgrund der geringen Zahl an Beschäftigten, des Mangels an angemessener persönlicher Schutzausrüstung und fehlender medizinischer Ausrüstung, einschließlich Beatmungsgeräten und Intensivbetten, mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.

Die Wirtschaftskrise und Sparmaßnahmen haben einige Gruppen vor der Pandemie besonders und unverhältnismäßig stark getroffen, nun sind ihre Gesundheit und ihr Lebensunterhalt seit der Ausbreitung von COVID-19 besonders gefährdet.