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Stellungnahme zu Änderungen des Epidemie- und Covid-19-Maßnahmengesetzes

9. März 2021

Wir haben die geplanten Änderungen des Epidemiegesetzes und COVID-19-Maßnahmengesetzes der Regierung in Österreich menschenrechtlich analysiert. Die Gesetzesänderungen sehen neue Regelungen vor, die dem Gesundheitsminister mehr Möglichkeiten zum Erlassen von Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie geben. Damit könnten weitere menschenrechtliche Einschränkungen, insbesondere hinsichtlich des Rechts auf Freizügigkeit, des Rechts auf Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Achtung des Privatlebens, verordnet werden. 

Angesichts dieser weitreichenden Konsequenzen der Gesetzesänderungen für die Rechte der Menschen in Österreich ist der knappe Begutachtungszeitraums von nur sechs Tagen unangemessen. Eine umfassende Begutachtung durch Expert*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen wird dadurch erheblich erschwert. 

Hinzu kommt, dass einige Regelungen menschenrechtlich bedenklich sind: Wie bei früheren Gesetzesänderungen kritisieren wir auch diesmal die fehlende Klarheit und unpräzise Ausgestaltung der Regelungen und fordern von den Entscheidungsträger*innen, Differenzierungen vorzunehmen und menschenrechtliche Eingriffe mit einem Ablaufdatum zu versehen. 

Recht auf Privatsphäre: Bewilligungspflicht für Veranstaltungen braucht Ausnahmen & Differenzierungen

Die bereits bestehende Rechtslage bedeutet einen massiven Eingriff in das 
Recht auf Privatsphäre. Dies wird nun durch die Möglichkeit einer Bewilligungspflicht für Veranstaltungen von mehr als vier Personen aus zwei verschiedenen Haushalten insofern verschärft, als es nun offenbar um die Verhinderung von privaten Treffen geht. Private Treffen sollen außerdem künftig nicht nur im COVID-19-Maßnahmengesetz, sondern auch im Epidemiegesetz geregelt werden. Dies ist insofern problematisch, als sich daraus für den Gesundheitsminister nicht nur hinsichtlich COVID-19, sondern bei allen zukünftigen Epidemien ein extrem großer Spielraum ergibt.  

Wir fordern, dass es im Epidemiegesetz entsprechende Ausnahmen und Differenzierungen für die geplante Bewilligungspflicht von Veranstaltungen geben muss, und nicht erst in einer Verordnung.

Es braucht außerdem eine klare gesetzliche Ausnahme für friedliche Versammlungen vom Veranstaltungsverbot. Eine generelle Bewilligungspflicht für friedliche Versammlungen würde jedenfalls das Recht auf Versammlungsfreiheit untergraben.

Die Organisation von „gewerbsmäßigen Veranstaltungen“ soll unter Verwaltungsstrafe gestellt werden – offen bleibt aber, ob damit auch Versammlungen von Nichtregierungsorganisationen, bei denen angestellte Mitarbeiter*innen tätig sind, deren Aufgabe u. a. die Organisation von Versammlungen ist, gemeint sind.  

In jedem Fall bedarf es gegen die behördliche Untersagung von Versammlungen eines effektiven Rechtsschutzmechanismus. 

Bei den Änderungen ist kein Ablaufdatum (sogenannte „sunset   clause“) definiert. Aus menschenrechtlicher Sicht ist es aber wichtig, dass alle Gesetze und Verordnungen, mit denen umfassende und tiefgreifende Eingriffe in unsere Menschenrechte erfolgen, ein Ablaufdatum haben und die Eingriffe schrittweise, je nach Entwicklung der Ausbreitung des Virus, wieder zurückgenommen werden. 

Erweiterung von Ausgangsregelungen benötigt konkrete und näher bestimmte Gesetzesgrundlage

Bisher waren Ausgangsregelungen nur gerechtfertigt, um einen drohenden Zusammenbruch der medizinischen Versorgung oder ähnlich gelagerte Notsituationen zu verhindern”. Mit der Novelle soll die Möglichkeit für Ausgangsregelungen erweitert werden auf Situationen, in denen “eine nicht mehr kontrollierbare Verbreitung” vorliegt – also etwa, wenn es zu einem exponentiellen Anstieg der Ansteckungszahlen kommt und das Contact-Tracing zusammenbricht.

Ausgangsregelungen stellen weitreichende Menschenrechtseingriffe dar. Es braucht daher eine konkrete und entsprechend näher bestimmte Grundlage im Gesetz. Das Kriterium der „nicht mehr kontrollierbaren Verbreitung" stellt allerdings die Voraussetzung einer Epidemie dar und ist daher sehr unbestimmt. 

Vor der Verhängung von Ausgangsbeschränkungen ist jedenfalls stets zu prüfen, ob das Ziel der Eindämmung der Ausbreitung nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen bzw. gelinderen Mitteln erreicht werden könnte. Laut Gesetzesvorschlag müssen aber keine gelinderen Mittel ausgeschöpft werden, um die Maßnahme einer Ausgangsbeschränkung zu ergreifen. Es wäre daher dringend erforderlich, über die Einführung von zusätzlichen gelinderen Mitteln nachzudenken. 

Im Kampf gegen den Coronavirus hat der Schutz von Gesundheit und Menschenleben Priorität. Regierungen sind dazu verpflichtet, unsere Gesundheit und unser Leben aktiv zu schützen. 

Auf der Suche nach effizienten politischen Maßnahmen werden verschiedene Menschenrechte gegeneinander abgewogen. Das ist eine heikle Angelegenheit – jeder Eingriff in unsere Menschenrechte muss notwendig und verhältnismäßig sein und muss ein Ablaufdatum (“sunset clause”) haben.

Die Entscheidungen über COVID-19-Maßnahmen müssen wirksamkeitsorientiert und nachvollziehbar getroffen werden. Dabei braucht es immer eine Abwägung von Alternativen zu Eingriffen in unsere Menschenrechte. 

Hintergrund 

Amnesty International Österreich hat bereits in den vergangenen Begutachtungsprozessen zu den Änderungen des Epidemiegesetzes 1950 (EpiG) und des COVID-19-Maßnahmengesetzes (COVID-19-MG) am 28. August 2020 und am 18. September 2020 Stellungnahmen eingebracht und vor allem die fehlende Klarheit und unpräzise Ausgestaltung der Regelungen kritisiert.