Denken wir es zu Ende
Es ist erstaunlich, dass das Argument mangelnder Finanzierung in Bezug auf Menschenrechte dazu geeignet ist, eine Diskussion zu beenden, bevor sie überhaupt richtig begonnen hat. Denn wir müssen nicht viel weiter denken, um zu erkennen, welche Auswirkungen es auf unsere Gesellschaft und auf unser aller Leben hat, wenn uns Menschenrechte zu teuer werden. Recht auf Bildung? Schulen kosten sehr viel Geld. Recht auf Gesundheit? Krankenhaus-Betten verschlingen Milliarden. Recht auf ein faires Gerichtsfahren? Das Justizwesen ist nicht gerade ein Schnäppchen. Wir könnten diese Aufzählung lange fortführen, aber wozu? Kaum jemand würde ernsthaft unsere Menschenrechte auf Bildung, auf Gesundheit oder auf ein faires Gerichtsverfahren in Frage stellen. Wir sollten es auch in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen nicht tun.
Menschenrechte müssen in den Mittelpunkt der Budgeterstellung gestellt werden
An dieser Stelle kann man sich die berechtige Frage stellen: Aber wer soll das bezahlen? Wenn 24h-Betreuer*innen einen fairen Lohn erhalten, bedeutet das im Umkehrschluss, dass betreute Personen in Österreich sich die Betreuung nicht mehr leisten können? Die Frage der Finanzierung bereitet vielen Angehörigen und betreuten Personen Sorge, weil eine menschenwürdige Betreuung teuer ist. Doch es ist die Verpflichtung des Staates, ausreichend Finanzierungsmöglichkeiten für die qualitätsvolle Betreuung zuhause sicherzustellen, die ein menschenwürdiges Betreuungsumfeld für alle Beteiligten garantiert – also für betreute Personen und Betreuer*innen gleichermaßen. Wichtigster Ansatz: Bei der Budgeterstellung müssen die Menschen und ihre Rechte im Mittelpunkt stehen. Ein solcher “menschenrechtsbasierter Ansatz der Budgeterstellung” würde auch zu einer erhöhten Verantwortlichkeit der Entscheidungsträger*innen führen. Denn letztlich ist ein Budget auch immer ein Abbild der Prioritäten einer Regierung, der Maßnahmen und Ressourcen, die vorrangig umgesetzt bzw. zur Verfügung stehen. Somit sind Budgets wesentlich für die Verwirklichung der Menschenrechte.
Im Dialog mit Betreuer*innen Reformen schaffen
Die wiederholt angekündigte Pflegereform ist ein Anlass, um endlich einen Prozess anzustoßen, der alle Akteur*innen, die von der Reform betroffen sind, effektiv einzubinden. In einem solchen Prozess müssen die Perspektiven der Menschen gehört werden, um ein Rahmenwerk zu schaffen, das die Menschenrechte aller schützt. Um einen ersten Schritt hin zu mehr Dialog und Austausch zu setzen, lud Amnesty International Österreich am 15. September 2021 Betreuer*innen, Interessensvertretungen, Expert*innen und Vertreter*innen der relevanten Fachministerien zu einer Dialogveranstaltung ins Albert-Schweitzer-Haus ein. Fazit: Lösungsansätze liegen auf dem Tisch, jetzt sind konkrete Maßnahmen dringend notwendig.
„Wir wollen nur ein paar Rechte“, haben die Betreuer*innen im Zuge unserer Recherchen gesagt. Das sollte doch in einem Land wie Österreich möglich sein. Denn eines ist sicher: Die Wahrung der Menschenrechte darf keine Frage der Bezahlbarkeit werden. Wir müssen dafür sorgen, dass uns unsere Menschenrechte nicht zu teuer werden – nicht in der 24h-Betreuung und nicht in anderen Bereichen. Deshalb fordern wir bei Amnesty International weiterhin Seite an Seite mit den 24h-Betreuer*innen ihre Rechte ein.