Du glaubst, du kannst die Welt nicht verändern? Vielleicht hast du das bereits
24. November 2021 | Von Sarah Y. Koch, Menschenrechtsbildner*in bei Amnesty International ÖsterreichZeitung lesen, Nachrichten schauen – auch mich deprimiert das manchmal sehr. Oft scheint so viel falsch zu laufen in der Welt, dass sich Veränderung fast unmöglich anfühlt. Aber wie der Amnesty Briefmarathon zeigt: Ich kann einen großen Unterschied machen, indem ich etwas gefühlt “Kleines” tue. Einen Brief schreiben, einen Tweet absetzen, eine Petition unterzeichnen. Du denkst jetzt vielleicht: Sicher kann ich die Welt nicht mit etwas so Simplem verändern? Oh doch und wie du das kannst!
Vor 20 Jahren ging eine simple Idee um die Welt
Im Oktober 2001 traf sich eine kleine Gruppe von Amnesty-Mitgliedern in Warschau, um Aktivitäten für den Tag der Menschenrechte am 10. Dezember zu planen. Sie ahnten nicht, dass ihr "einfacher Plan" 20 Jahre später das Leben zahlloser Menschen auf der ganzen Welt verändern würde. Die Aktivist*innen in Polen schrieben 24 Stunden lang Briefe an die Behörden. Jeder Brief zielte darauf ab, eine Menschenrechtsverletzung zu beenden. Mit diesen 2.326 Briefen war der Amnesty Briefmarathon geboren!
Bereits im nächsten Jahr wurde eine globale Kampagne aus der Idee und seither haben Menschen in mehr als 100 Ländern daran teilgenommen. Von Musikkonzerten in Burkina Faso über Theateraufführungen in Marokko, Vortragstourneen in Norwegen, Kunstausstellungen in Brasilien bis hin zu über 700 Schulen in Polen – der Briefmarathon ist gewachsen und hat sich zu etwas wirklich Erstaunlichem entwickelt.
Menschenrechtsbildnerin bei Amnesty International Österreich
Menschenrechtsbildnerin bei Amnesty International Österreich
Sarah Y. Koch arbeitet in den Bereichen Menschenrechtsbildung und Freiwilligenmanagement bei Amnesty International Österreich und koordiniert den Briefmarathon 2021.
Auch in Österreich haben bereits viele Tausend Schüler*innen am Briefmarathon teilgenommen. Selbst der Pandemie kann der Briefmarathon trotzen: Trotz COVID-19 und Distance Learning-Phasen waren 80 Schulen und mehrere hundert Schüler*innen österreichweit beim Briefmarathon 2020 dabei und haben tausende Briefe, Postkarten und E-Mails verschickt. Die Schüler*innen erlebten dabei, dass sie Ungerechtigkeiten nicht ohnmächtig gegenüberstehen müssen, sondern bereits mit einer kleinen Geste Großes bewirken können. Sie erfuhren mehr über das aktuelle Geschehen auf dieser Welt und erlebten hautnah, wie Amnesty International arbeitet.
2020 haben diese Schüler*innen – und Menschen wie du – die Leben von Menschen verändert. Menschen, deren Menschenrechte verletzt worden waren. Sich nur ein wenig Zeit zu nehmen, um einen Tweet zu senden oder einen Brief zu schreiben, hat für diese Menschen, die wir im Rahmen des Briefmarathons 2020 unterstützt haben, einen großen Unterschied gemacht. Ich möchte drei ihrer Geschichten mit dir teilen. Denn es gibt gute Nachrichten, die mir Hoffnung machen und ich möchte dieses Gefühl an dich weitergeben. Wir alle brauchen einen starken Gegenpol zu der gefühlten Flut an deprimierenden Geschichten in den täglichen Nachrichten.
Inhaftierte Aktivistin in Saudi-Arabien freigelassen
Nassima al-Sada, Frauenrechtsaktivistin in Saudi-Arabien, hat im Juni 2021 das Gefängnis verlassen. Nassima war 2018 verhaftet worden, weil sie sich friedlich für Menschenrechte eingesetzt hat. Während ihrer Inhaftierung wurde sie von den Wärtern geschlagen. Niemand durfte sie besuchen, nicht einmal ihr Anwalt.
Weltweit schrieben Unterstützer*innen 777.611 Briefe, Tweets und mehr. Nassimas Sohn, Mousa al-Sada, ist heute der Meinung, dass die internationale Aufmerksamkeit für seine Mutter dazu beigetragen hat, dass ihr Fall nach jahrelangem Stillstand zu einem Urteil geführt hat und ihre Freilassung erreicht werden konnte. Nassima unterliegt immer noch einem Reiseverbot, was bedeutet, dass sie Saudi-Arabien fünf Jahre lang nicht verlassen darf – Amnesty-Unterstützer*innen werden weiterhin für Nassimas vollständige Freiheit kämpfen.
Vater von drei Kindern mit seiner Familie wiedervereint
Am 30. Juni 2021 wurde der NGO-Mitarbeiter und Menschenrechtsverteidiger Germain Rukuki aus dem Gefängnis entlassen, nachdem er wegen einer Reihe von Scheinanschuldigungen zu 32 Jahren Haft in Burundi verurteilt worden war. Er wurde inhaftiert, bevor er sein jüngstes Kind in die Arme schließen konnte, das nur wenige Wochen nach seiner Inhaftierung im Juli 2017 geboren wurde. Seine Familie floh aus Angst vor Repressalien aus dem Land.
Nun wird Germain bald wieder mit seiner Familie vereint sein – nach mehr als 400.000 “kleinen” Aktionen, mit denen unsere Unterstützer*innen seine Freilassung gefordert haben.
LGBTIQ+-Aktivist*innen freigesprochen
Im Oktober 2021 hat ein Gericht in der türkischen Hauptstadt Ankara 18 Studierende und ein Mitglied des Lehrpersonals freigesprochen. Sie standen unter Anklage, nur weil sie im Mai 2019 an einer Pride-Parade auf dem Campus ihrer Uni teilgenommen hatten. Die Polizei war mit Gewalt gegen die friedliche Veranstaltung vorgegangen. Sie setzte Pfefferspray, Gummigeschosse und Tränengas ein, die Teilnehmenden wurden zusammengetrieben und vor Gericht gestellt.
Beim Briefmarathon 2020 sandten Menschen von überall auf der Welt mehr als 445.000 Briefe, Faxe, Emails und SMS an die türkischen Behörden mit der Forderung, alle Anklagen gegen die 19 Betroffenen fallenzulassen. Ihre Stimmen zeigten Wirkung. Am 8. Oktober 2021 wurden die Studierenden und die Lehrperson freigesprochen.
Auch du kannst die Welt verändern – so geht’s:
Der Briefmarathon 2021 steht vor der Tür! Am 1. Dezember startet der Briefmarathon bei uns in Österreich. In diesem Jahr setzen wir uns gemeinsam für Menschen auf der ganzen Welt ein, die für Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung kämpfen und deren Rechte bedroht werden. Diese Menschen brauchen deine Stimme.
Falls du daran zweifelst, dass deine Worte etwas bewirken können, kann Jani Silva, eine Umweltaktivistin aus Kolumbien, dir versichern, dass sie es tun. Janis unerschrockener Widerstand gegen Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen hat beängstigende Folgen gehabt. Sie wurde verfolgt, eingeschüchtert und mit dem Tod bedroht. Nach dem Briefmarathon 2020 sagte Jani: "Ich bin so dankbar für die Briefe. Aus tiefstem Herzen: Diese Kampagne hat mich am Leben gehalten. Sie hat sie davon abgehalten, mich zu töten, weil sie wissen, dass ihr da seid."
Ich freue mich, wenn ich dich mit diesen Geschichten inspirieren konnte, so wie die vielen mutigen Menschen, für die wir uns Jahr für Jahr beim Briefmarathon einsetzen, mich inspiriert haben. Vielleicht greifst auch du dieses Jahr zu Stift und Papier, oder nimmst einfach dein Smartphone zur Hand.
Auch dieses Jahr wird der Briefmarathon in Österreich unter Lockdown-Bedingungen stattfinden. Das macht uns die Organisation natürlich nicht einfacher. Doch andererseits ist es gerade jetzt, in dieser für viele von uns schwierigen Zeit, wichtiger denn je, Hoffnung zu schenken – sich selbst und anderen.
Ich bin so dankbar für die Briefe. Aus tiefstem Herzen: Diese Kampagne hat mich am Leben gehalten. Sie hat sie davon abgehalten, mich zu töten, weil sie wissen, dass ihr da seid.
Jani Silva, Umweltaktivistin aus Kolumbien