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Vergewaltigung als schwere Menschenrechtsverletzung: eine Expert*innendiskussion

17. August 2020

Anmerkung:

Dieser Artikel basiert auf einem Bericht der UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen und Equality Now über ein Expert*innengruppentreffen zum Thema “Vergewaltigung als schwere und systematische Menschenrechtsverletzung und geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen”. Auf eben dieser Seite findet ihr auch Papers, Gesprächsnotizen und Präsentationen der Expertinnen. Seid euch bitte bewusst, dass die Zusammenfassung unten nur einen kleinen Teil und lediglich Auszüge dieses Berichts widergibt.

 

zusammenfassung

Dubravka Šimonović - die UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und Folgen - und das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) organisierten gemeinsam mit Equality Now am 27. Mai 2020 ein Expert*innengruppentreffen zum Thema “Vergewaltigung als schwere und systematische Menschenrechtsverletzung und geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen”. An diesem Treffen waren mehr als 30 Expertinnen u.a. aus den Bereichen Wissenschaft, Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechte, zivilgesellschaftlicher Organisationen aus der ganzen Welt beteiligt. Eine der Expertinnen war übrigens Anna Błuś, die als Forscherin im Amnesty Europe Regional Office arbeitet. Der Bericht, der aus diesem Meeting hervorgangen ist, kann über diese Seite von Equality Now (oder direkt unter diesem Link) heruntergeladen werden.


Nach einer Opening Session der beiden Organisatorinnen Dr. Dubravka Šimonović (UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und Folgen) und Yasmeen Hassan (Globalgeschäftsführerin von Equality Now) diskutierten die Expertinnen das Thema "Vergewaltigung als schwerwiegende systematische Menschenrechtsverletzung" (aufgegliedert in Panels) unter den folgenden drei Aspekten:

  • Panel 1: Internationale und regionale Standards in Bezug auf Vergewaltigungen & Perspektiven auf Herausforderungen für Staaten, die diese aufrechterhalten
  • Panel 2: Wie begegnen die internationale Zivilgesellschaft und Institutionen Vergewaltigungen heute?
  • Panel 3: Recht und Praxis in verschiedenen Teilen der Welt

Panel 1 (Bericht S. 5-11):

Professorin Christine Chinkin von der London School of Economics and Political Science betonte neben vielen anderen Aspekten, dass Vergewaltigungen im Rahmen von Themen wie Folter, Versklavung, Genozid, Menschenhandel, Zwangsverheiratungen etc. oft nicht als solche erkannt/gesehen werden und wie gefährlich das ist. Sie warf auch die Frage auf, ob gesetzliche Änderungen in Bezug auf Vergewaltigungen möglicherweise zu schnell passieren - dabei eventuell auch wesentliche Punkte übersehen - und damit neue Schlupflöcher eröffnen würden.

Im Bericht sind drei Ansätze festgehalten wie Vergewaltigung, die auf Zustimmung (Einwilligung, Consent) beruht, definiert werden kann:

  • als zweistufiges Modell, das sich weiterhin stark auf die These stützt, dass Vergewaltigungen nur als solche gesehen werden, wenn dabei Gewalt, Drohungen und Zwang angewandt wurden, aber eine zusätzliche gesetzliche Bestimmung einführt, die nur auf Consent basiert. Bsp: Österreich
  • als "Nein bedeutet Nein"-Ansatz, der sich nicht auf die Anwendung von Gewalt, Drohung und Zwang beruft, allerdings voraussetzt, dass Sex gegen den Willen der anderen Person stattgefunden hat
  • als "Nur Ja bedeutet Ja"-Ansatz, bei dem der Fokus darauf liegt, dass sexuelle Handlungen strafbar sind, wenn die andere Person nicht freiwillig mitmacht. Hier bedeutet "beim Sex nicht freiwillig mitmachen" etwas anders als "explizit Nein zu sagen bzw. Sex gegen den Willen der anderen Person". Bsp: Schweden.

[Anmerkung: An dieser Stelle sei übrigens auch auf die europaweite Amnesty International-Kampagne #LetsTalkAboutYes verwiesen.]

Ein Auszug aus den Key Points dieses Panels (Bericht Seite 11):

- “Marginalisierte Communities, die sich mit intersektionalen Formen der Diskriminierung konfrontiert sehen, zB BIPOC, Frauen mit Behinderungen, Migrantinnen, Personen einer sexuellen Minderheit [...] sowie heranwachsende Mädchen, scheinen unverhältnismäßig stark von sexueller Gewalt betroffen zu sein und haben zudem erschwerten Zugang zur Justiz.”

- “Die Definition von Consent [Anmerkung: Zustimmung zum Sex] im Vergewaltigungsrecht muss sich auf einen Standard der positiven Zustimmung oder "Ja bedeutet Ja" zubewegen, wobei für sexuelle Handlungen die freiwillige Teilnahme beider Parteien erforderlich ist.”

- “Schlupflöcher in den Gesetzen zu sexueller Gewalt sind u.a. Vergewaltigungsdefinitionen, die die Stellung des Mannes überbewerten und in den Vordergrund stellen [...] die es in einigen Ländern verabsäumen, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen [...] bei welchen eine extraterritoriale Gerichtsbarkeit für Sexualdelikte fehlt. Darüber hinaus verjähren Vergewaltigungsfälle zu schnell, sodass der Zugang zur Justiz für Überlebende erschwert ist. Das betrifft insbesondere Personen, die im Kindesalter vergewaltigt wurden und möglicherweise vor Erreichen der Volljährigkeit Schwierigkeiten haben, Anzeige zu erstatten.”

 

Panel 2 (Bericht S. 12-21):

Bei diesem Panel nahm unter anderem Anna Błuś, Forscherin des Amnesty Europe Regional Office teil. Sie berichtete von Amnesty Internationals Bericht über sexuelle Gewalt in Europa aus 2018, der über 31 Länder hinweg untersuchte, ob gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf Vergewaltigung im Einklang mit der Istanbul-Konvention sowie mit regionalen und internationalen Standards stehen. Dabei sprach Anna Błuś von jüngsten Entwicklungen in den Niederlanden, die besorgniserregend seien: das niederländische Justizministerium schlug ein gesetzliches Zwei-Stufen-Modell bezüglich Verwaltungen vor. Die Definition von Vergewaltigung würde damit auch weiterhin auf der Anwendung von Gewalt, Drohung und Zwang basieren, während ein neues Gesetz eingeführt werden würde, welches auf dem Fehlen von Zustimmung beruhe. Damit würden die Niederlande eine hierarchische Struktur aufbauen, was den Schutz Überlebender sexueller Gewalt anbelangt (Bericht S. 14).

Dr. Mary Ellsberg von der George Washington Universität berichtete ua von einer Studie im Südsudan, die Zusammenhänge zwischen sexueller Gewalt und Vergewaltigung als Kriegswaffe (via Gewalt durch den eigenen Partner) aufdeckte. Im Rahmen der Studie wurden mehr als 20.000 Frauen im Südsudan befragt. Dr. Ellsberg gab einen kleinen Einblick in die Ergebnisse: 1 von 3 Frauen wurde von einem Mann vergewaltigt, der nicht der eigene Partner war. 46% der Frauen wurden bereits einmal von ihren eigenen Ehemännern vergewaltigt. Gewalt durch den eigenen Partner passiert laut Dr. Ellsberg somit auch in Settings, die von schweren Konflikten geprägt sind, viel häufiger als Gewalt durch jemanden, der nicht der eigene Partner ist (Bericht S. 19/20).

 


Ein Auszug aus den Key Points dieses Panels (Bericht S. 21):

- "Gesetzgebungen, in denen es immer noch Definitionen von Vergewaltigung gibt, die auf Gewalt, Bedrohung, Zwang beruhen (oder der Unfähigkeit des Opfers, sich zu verteidigen), stehen nicht im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen, einschließlich der Istanbul-Konvention. Internationale Menschenrechtsstandards verlangen von den Staaten, dass sie ihre Definitionen auf mangelnde Einwilligung/freiwillige Beteiligung stützen [...]”

- "Das Vorherrschen kultureller Haltungen und geschlechtsspezifischer Stereotypen ist ein Nährboden für Vergewaltigungsmythen und für den Irrglauben, dass Frauen den Männern untergeordnet wären. Solche Stereotypen zeigen sich auch in Gerichtsentscheidungen, die eine vorgefasste Meinung darüber haben, wer als Vergewaltigungsopfer betrachtet werden kann - CEDAW hat dies in einer Reihe von Beispielen aufgezeigt. Diskriminierende Stereotypisierung durch Justiz und Strafverfolgung, die sich für Überlebende nachteilig auf den Zugang zu Gerechtigkeit auswirkt, sollte bekämpft werden."

 

Panel 3 (Bericht Ab Seite 22):

Professorin Sylvia Walby von der City University of London erklärte, welch wichtige Rolle Daten und das Sammeln von Daten bzw. geeignete Measurement-Tools spielen, um Policies und Maßnahmen im Kampf gegen Vergewaltigungen zu analysieren und stetig zu verbessern.

Im Zuge dieses Panels wurde auch die Notwendigkeit der Harmonisierung von Gesetzen in Bezug auf sexuelle Gewalt diskutiert. Als ein Beispiel nannte Judy Gitau von Equality Now (Afrika) Tansania, dessen Gesetzeslage vorsieht, dass Zustimmung zu Sex erst mit 18 Jahren gegeben werden kann (durch die Ratifizierung des Maputo-Protokolls, der CEDAW-Konvention sowie des eigenen Strafgesetzbuches), andererseits aber Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen, die älter als 12 Jahre sind, im Kontext einer Ehe lediglich als Vergehen einstuft. Ebenso sieht das Rechtssystem in Tansania Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche an.

Die Expertinnen hielten ebenso fest, dass die Covid-19-Pandemie eine große Barriere darstellt, wenn es darum geht, Vergewaltigungen zu melden, Zugang zu Gerichtsbarkeit bei sexueller Gewalt zu erlangen oder auch medizinische Hilfe in Anspruch nehmen zu können.


Wer ist Equality Now ? Was ist das Maputo-Protokoll?

Equality Now ist eine NGO, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. Ihr Ziel ist es rechtliche und systematische Änderungen zu erwirken, die Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen weltweit entgegentreten. Unter anderem zeichnen sie gemeinsam mit regionalen Partner*innen in Afrika verantwortlich für die Entwicklung des Maputo-Protokolls, das 2005 in Kraft trat. Beim Maputo-Protokoll handelt es sich um ein Zusatzprotokoll zur Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, welche 1986 verabschiedet wurde. Equality Now bezeichnet es als eines der progressivsten und umfassendsten rechtlichen Instrumente in der Geschichte der Frauenrechte. Auf internationaler Ebene ist Equality Now für ihre Pionierarbeit im Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung (female genital mutilation, FGM) bekannt.

Was ist die CEDAW-konvention?

Bei der CEDAW-Konvention (= UN Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) handelt es sich um ein Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau. Die Einhaltung der CEDAW-Konvention wird vom CEDAW-Kommittee (bestehend aus einer Gruppe unabhängiger Expert*innen) überwacht.

 

Was macht eine UN-Sonderberichterstatter*in zu Gewalt gegen Frauen, deren Ursachen und Folgen ?

Informationen zu Aufgaben und Verantwortlichkeiten der UN-Sonderberichterstatter*in zu Gewalt gegen Frauen findet ihr hier: https://www.ohchr.org/en/issues/women/srwomen/pages/srwomenindex.aspx

Seit 2015 hat Dubravka Šimonović dieses Amt inne.


Weitere Infos: