Die US-Regierung verstößt weiterhin gegen ihre Verpflichtungen, die Menschenrechte indigener Frauen zu schützen. Das dokumentiert ein aktueller Bericht von Amnesty International, der kürzlich veröffentlicht wurde. Danach hat die sexualisierte Gewalt gegen indigene Frauen sowohl in Alaska als auch im US-amerikanischen Kernland epidemische Ausmaße erreicht.
Der englischsprachige Bericht The Never-ending Maze: Continued failure to protect Indigenous women from sexual violence in the USA zeigt, dass die Politik der US-Regierung die Autorität indigener Selbstverwaltungsbehörden untergräbt, indigene Gesundheitsdienste und Strafverfolgungsbehörden chronisch unterfinanziert sind und die Rechtsprechung absichtlich kompliziert gestaltet ist.
Rechtlich macht es einen großen Unterschied, ob eine Straftat auf einem Gebiet der indigenen Bevölkerung stattgefunden hat oder nicht und auch, ob die Täter*innen und/oder Opfer aus der indigenen Bevölkerung stammen oder nicht. Beides hat Auswirkungen auf die juristische Zuständigkeit, wie der Bericht deutlich herausarbeitet.
BESCHÄMENDES ERBE
„Das Versagen der US-Regierung, indigene Frauen vor diesem Ausmaß sexualisierter Gewalt zu schützen, beruht auf einem beschämenden Erbe aus tief verwurzelter Marginalisierung, Missbrauch und Verfolgung“, sagt Tarah Demant, Interimsdirektorin für programmatische Arbeit, Advocacy und Regierungsangelegenheiten bei Amnesty International USA.
Sexualisierte Gewalt gegen indigene Frauen ist kein neues Phänomen. Seit der europäischen Kolonisierung sind indigene Frauen in hohem Maße von Gewalt betroffen - bis heute. „Die indigenen Frauen können nicht länger auf Gerechtigkeit warten. Die US-Regierung muss die notwendigen Ressourcen und den politischen Willen mobilisieren, um dieses kaputte System zu reparieren“, fordert Tarah Demant.
Für Opfer sexualisierter Gewalt ist es nahezu unmöglich, Gerechtigkeit zu erlangen. Bereits 2007 hatte Amnesty International USA in einem Bericht darauf hingewiesen, dass indigenen Frauen oftmals das Recht auf Gerechtigkeit und das Recht auf Freiheit vor Gewalt verwehrt werden. Auch 15 Jahre später haben vereinzelte Gegenmaßnahmen kaum etwas an der erschreckend hohen Rate sexualisierter Gewalt geändert.
DOPPELT SO HOHE RATE AN SEXUALISIERTER GEWALT ALS IM NATIONALEN DURCHSCHNITT
Daten der US-Regierung belegen, dass mehr als die Hälfte der indigenen Frauen in Alaska und im US-Kernland sexualisierte Gewalt erlebt haben – das übertrifft den nationalen Durchschnitt um mehr als das Doppelte. Tatsächlich könnten die Zahlen der Fälle von sexualisierter Gewalt sogar noch höher liegen: da die US-Regierung keine angemessenen und einheitlichen Daten über Gewalttaten an indigenen Frauen erhebt, ist das nicht belegbar.
So bleiben bei den Erhebungen oft relevante Faktoren unklar, beispielsweise die Frage, ob die Betroffene und/oder der Beschuldigte Angehörige einer staatlich anerkannten ethnischen Gruppe sind oder ob die Straftat auf dem Gebiet einer indigenen Bevölkerung Indian Reservation begangen wurde. Die daraus resultierenden unklaren Zuständigkeiten und Unsicherheiten bei Polizei, Rechtsbeiständen und Gerichten gehen soweit, dass letztendlich niemand tätig wird und den Überlebenden sexualisierter Gewalt der Zugang zur Justiz verwehrt bleibt.
UNKLARE ZUSTÄNDIGKEITEN fördern STRAFLOSIGKEIT
Darüber hinaus wirkt sich die Geschichte der systematischen Diskriminierung und Voreingenommenheit gegenüber der indigenen Bevölkerung in den USA negativ auf das Vertrauensverhältnis zwischen den indigenen Gemeinschaften und den Strafverfolgungsbehörden aus. Viele Überlebende zeigen die erlebte Gewalt gar nicht an. Außerdem sind angemessene und rechtzeitige gerichtsmedizinische Untersuchungen im Falle eines sexualisierten Übergriffs bei weitem nicht garantiert.
So wird die zuständige Behörde des Indian Health Service durch die US-Regierung nicht ausreichend finanziert, und die Gesundheitseinrichtungen sind unterbesetzt.
AMNESTY-FORDERUNG: INDIGENE GERICHTSBARKEIT MUSS WIEDERHERGESTELLT WERDEN
Amnesty International fordert die US-Regierung auf, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die sexualisierte Gewalt gegen indigene Frauen zu beenden. Dazu gehört die vollständige Wiederherstellung der indigenen Gerichtsbarkeit über Verbrechen, die in den Gebieten der indigenen Bevölkerung begangen werden.
Außerdem müssen die entsprechenden Bundesmittel aufgestockt werden, um sicherzustellen, dass Strafverfolgung und Gerichtsverfahren zu Gerechtigkeit führen. Die US-Regierung muss außerdem dafür sorgen, dass die indigenen Gemeinschaften über angemessene Mittel und Ressourcen verfügen, um die Strafverfolgung, die Gesundheitsversorgung und die Datenerhebung zu sexualisierter Gewalt gegen indigene Frauen sicherstellen zu können.