Puerto Rico: Für den Schutz sexueller und reproduktiver Rechte!
18. April 2022Ein kürzlich veröffentlichter Gesetzentwurf sieht ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nach der 22. Schwangerschaftswoche oder für den Fall vor, dass die Lebensfähigkeit des Fötus ärztlich festgestellt wird. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Nach dem Völkerrecht müssen Einschränkungen des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen menschenrechtskonform sein. Deshalb sind objektive öffentliche Anhörungen und eine gründliche menschenrechtliche Prüfung dieses Gesetzentwurfs dringend erforderlich.
Sachlage
Aktuell gelten in Puerto Rico wenige rechtliche Beschränkungen für den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch. Er kann in jedem Stadium der Schwangerschaft erfolgen, sofern er ärztlich durchgeführt wird, um das Leben oder die Gesundheit – auch die geistige Gesundheit – der schwangeren Person zu schützen. Ein kürzlich veröffentlichter Gesetzentwurf sieht jedoch eine Einschränkung des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen nach der 22. Schwangerschaftswoche oder für den Fall vor, dass die Lebensfähigkeit des Fötus ärztlich festgestellt wird. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Nicht mehr zulässig wäre dann eine Beendigung der Schwangerschaft nach der 22. Wochen aus anderen Gründen, wie einer diagnostizierten Schädigung des Fötus, einer Schwangerschaft als Folge von Inzest und/oder sexualisierter Gewalt oder in dem Fall, dass die schwangere Person nichts von der Schwangerschaft wusste oder nur begrenzten Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung und/oder einem Schwangerschaftsabbruch hatte.
Einschränkungen des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen würden einen rechtlichen Rückschritt bedeuten sowie ein Hindernis beim Zugang zu staatlichen Gesundheitsleistungen darstellen und ein unverhältnismäßig hohes Risiko für Frauen und schwangere Personen in schwierigen Situationen mit sich bringen. Dazu gehören beispielsweise Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen benötigen oder die sexualisierte Gewalt oder Menschenhandel erlebt haben und denen es nicht möglich war, früher einen Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Besonders betroffen wären auch Personen, die bereits in der Vergangenheit marginalisiert wurden und für die der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch z. B. aufgrund fehlender finanzieller Mittel möglicherweise schwieriger ist.
Hintergrundinformation
1973 kam der Oberste Gerichtshof der USA in dem bahnbrechenden Fall Roe gegen Wade zu der Entscheidung, dass Schwangerschaftsabbrüche legal sind. In Puerto Rico gelten aktuell nur wenige rechtliche Beschränkungen für den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch.
Der neue, restriktive Gesetzentwurf wurde vor dem Hintergrund einer Flut von Klagen aus der sogenannten Lebensschutzbewegung in den USA vorgelegt, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen einschränken will. Allein 2021 wurden laut Guttmacher Institute in den USA mehr als 100 Einschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch verabschiedet.
Sowohl das Gesundheitsministerium als auch das Justizministerium von Puerto Rico haben angesichts des neuen Gesetzentwurfs Bedenken geäußert. Dieser sieht u. a. die Einrichtung eines bundesstaatlichen Registers mit Daten zu Personen vor, die einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb des Zeitraums vornehmen lassen, in dem der Fötus als lebensfähig gilt. Erfasst werden sollen die angeführte Begründung sowie Angaben zu der medizinischen Fachkraft, die den Abbruch vorgenommen hat. Ein solches Register könnte gegen das Recht auf Datenschutz und Vertraulichkeit der Betroffenen verstoßen, außerdem könnte es sie oder die beteiligten medizinischen Fachkräfte der Gefahr von Sanktionen oder Stigmatisierung aussetzen.
Nach internationalen Menschenrechtsnormen und -standards sind Staaten verpflichtet, den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen zu gewährleisten, um das Leben und die Gesundheit von Schwangeren in jedem Stadium der Schwangerschaft ohne Diskriminierung zu schützen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat den Staaten in seiner Allgemeinen Bemerkung 36 zum Recht auf Leben untersagt, Schwangerschaftsabbrüche in einer Weise zu regeln, die dieser Pflicht zuwiderläuft. Die Staaten sollen so dafür sorgen, dass niemand einen unsicheren Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen muss. Die Möglichkeit aller, selbst über ihren Körper, ihre Sexualität und auch darüber entscheiden zu können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, ist bei der Forderung nach wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit und nach Gleichberechtigung zentral. Staaten dürfen keine Gesetze erlassen, die darauf abzielen, Menschenrechte, darunter auch sexuelle und reproduktive Rechte, abzuschaffen.
Untersuchungen aus Gesundheitswesen und Sozialwissenschaften haben gezeigt, dass eine zeitliche Begrenzung des Schwangerschaftsabbruchs bzw. die Festlegung von Fristen ein willkürliches und diskriminierendes Hindernis für den Zugang zu entsprechenden Leistungen darstellen und damit unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Menschenrechte von Schwangeren haben kann. Die negativen Auswirkungen von Fristen auf den Zugang zu einer hochwertigen öffentlichen Gesundheitsversorgung wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt.
Sollen Fristen für einen Schwangerschaftsabbruch menschenrechtskonform sein, müssen sie die Menschenrechte von Frauen, Mädchen und allen anderen Personen, die schwanger werden können, respektieren und schützen. Dies schließt auch die Rechte auf Leben, Gesundheit sowie körperliche Integrität und reproduktive Selbstbestimmung ein.
Fristen können dazu führen, dass Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, keinen Zugang dazu erhalten. Dies gilt vor allem für Personen aus ärmeren Verhältnissen und/oder marginalisierten Gruppen. Auch können Angehörige der Gesundheitsberufe willkürlich daran gehindert werden, alle medizinischen und klinischen Optionen im Hinblick auf das Wohl der schwangeren Person zu prüfen. Zudem findet die gesetzliche Vorgabe von Fristen aufgrund ihrer potenziell abschreckenden Wirkung übermäßig häufig Anwendung.
In den USA sind Personen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, unverhältnismäßig häufig arm und verfügen nur über ein geringes Einkommen. Abbrüche in den letzten Schwangerschaftswochen sind jedoch ziemlich selten. So erfolgen in den USA die meisten Schwangerschaftsabbrüche zu Beginn der Schwangerschaft. 2016 wurden in den USA nur 1,3 % der Schwangerschaftsabbrüche nach der 21. Woche durchgeführt. Auch in Puerto Rico findet nach Angaben des Gesundheitsministeriums die Mehrzahl der Schwangerschaftsabbrüche vor der 14. Schwangerschaftswoche statt.
Dennoch gibt es wichtige Gründe, warum einige Personen einen Abbruch in einer späteren Schwangerschaftswoche benötigen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn (1) das Leben der schwangeren Person durch die Schwangerschaft gefährdet ist, wenn (2) eine Schädigung des Fötus diagnostiziert wurde, wenn (3) die Schwangerschaft eine Folge von Inzest und/oder sexualisierter Gewalt ist, wenn (4) die schwangere Person nichts von der Schwangerschaft wusste oder sie (5) nur begrenzten Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung und/oder einem Schwangerschaftsabbruch hatte oder (6) die schwangere Person häusliche Gewalt oder Menschenhandel erlebt hat und ihre Freiheit oder Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
In einer Stellungnahme vom 17. März 2022 nannte das puerto-ricanische Gesundheitsministerium eine Reihe weiterer Situationen, in denen eine Frau auch in einer späteren Schwangerschaftswoche Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch benötigen könnte. Dies gilt unter anderem für den Fall, dass sich ihr Körper noch in der Entwicklung befindet, sie vorher noch nie schwanger war und nicht weiß, wie sich das anfühlt, oder aber sie sich in der Prämenopause befindet und nicht mehr damit gerechnet hat, schwanger zu werden.