Polen: Feministin droht Haft
28. März 2022Die Menschenrechtsverteidigerin Justyna Wydrzyńska wurde wegen ihres Einsatzes für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen angeklagt. Die Anklagen gegen sie beruhen auf Artikel 152, Absatz 2 des polnischen Strafgesetzbuchs wegen "Hilfe bei der Durchführung einer Abtreibung" und Artikel 124 des Arzneimittelgesetzes wegen "Besitzes nicht zugelassener Arzneimittel mit dem Ziel, diese in den Verkehr zu bringen". Im Falle einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Haft.
Setz dich für Justyna Wydrzyńska ein!
Sachlage
Die Aktivistin Justyna Wydrzyńska wurde offenbar als Repressalie für ihre legitimen Bemühungen um den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen in Polen angeklagt. Justyna Wydrzyńska ist eine Doula (Schwangerschafts- und Geburtsbegleiterin) und Aktivistin, die offen über ihren eigenen Schwangerschaftsabbruch spricht. Sie gehört zu den Gründerinnen des polnischen Aktivist*innenkollektivs Aborcyjny Dream Team, das sich gegen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt und evidenzbasierte, unvoreingenommene Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch bereitstellt, u. a. über die Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für einen sicheren, selbst durchgeführten Schwangerschaftsabbruch zu Hause.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Polen laut Gesetz nur dann erlaubt, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person gefährdet oder die Schwangerschaft das Ergebnis von Vergewaltigung oder Inzest ist. Durch diese gesetzlichen Beschränkungen werden Menschen kriminalisiert, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen oder dabei helfen, und die Gesundheit und das Leben Schwangerer gefährdet. Außerdem verstoßen sie gegen die Verpflichtungen Polens gemäß internationaler Menschenrechtsnormen und -standards. Gerade wegen dieser Gesetze ist Justyna Wydrzyńskas Unterstützung für Menschen, deren gesundheitlichen Bedürfnisse vom polnischen Gesundheitssystem vernachlässigt und aberkannt werden, entscheidend und kann Leben retten. Ihre Arbeit sollte wertgeschätzt und nicht kriminalisiert werden.
Mit ihrem Einsatz ist Justina Wydrzyńska Teil einer wachsenden Bewegung aus Menschen in Polen und weltweit, die Solidarität und Empathie beweisen, indem sie anderen helfen, Zugang zu den sexuellen und reproduktiven Rechten zu erhalten, die ihnen zustehen. Polen muss dringend Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Schwangerschaftsabbrüche vollständig entkriminalisiert werden und Menschen, die sich für sexuelle und reproduktive Rechte einsetzen, darunter auch für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen, ihrer legitimen Arbeit ohne Angst vor Repressalien oder Einschüchterung nachgehen können.
Hintergrundinformation
Am 7. Mai 2021 erließ die Staatsanwaltschaft im Warschauer Stadtteil Praga einen Befehl zur Beschlagnahme mehrerer Gegenstände aus Justyna Wydrzyńskas Wohnung, darunter auch aller "Telekommunikationsmittel". Zuvor war sie über die Beteiligung von Justyna Wydrzyńska an der Unterstützung einer schwangeren Frau informiert worden, die zu Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 Hilfe bei der Beschaffung von Tabletten für einen selbst durchgeführten Schwangerschaftsabbruch gesucht hatte. Am 1. Juni 2021 führte die Polizei eine Hausdurchsuchung bei Justyna Wydrzyńska durch, bei der sie Tabletten, einen Computer, USB-Sticks und Mobiltelefone von ihr und ihren beiden Kindern beschlagnahmte. Am 22. November 2021 erhob die Staatsanwaltschaft gegen Justyna Wydrzyńska Anklage wegen Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch (Artikel 152, Absatz 2 Strafgesetzbuch) sowie wegen des Besitzes von Arzneimitteln ohne Zulassung zum Zwecke des Inverkehrbringens (Artikel 124 Arzneimittelgesetzbuch). In den von der Polizei in Justyna Wydrzyńskas Wohnung beschlagnahmten Tabletten befanden sich die Arzneistoffe Mifepriston und Misoprostol, die auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen. Doch laut Staatsanwaltschaft seien zwei der beschlagnahmten Arzneimittel in Polen nicht zugelassen. Die erste gerichtliche Anhörung ist für den 8. April in Warschau vorgesehen.
Justyna Wydrzyńska ist eine Aktivistin und Doula, die Menschen bei Schwangerschaftsabbrüchen begleitet. Sie ist eine der vier Gründerinnen des Aktivist*innenkollektivs Aborcyjny Dream Team, das sich gegen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen einsetzt und Schulungen sowie unvoreingenommene Beratungen für den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen anbietet. Seit 2019 ist Aborcyjny Dream Team Teil von Abortion Without Borders, einem feministischen Basisnetzwerk, das aus sechs Organisationen aus Polen und anderen Ländern Europas besteht. Das Netzwerk bietet Informationen, Beratung sowie finanzielle und praktische Unterstützung für Menschen in Polen, die einen Schwangerschaftsabbruch im Ausland benötigen, oder Zugang zu zuverlässigen Onlinequellen für Abtreibungsmedikamente, die einen sicheren, selbst eingeleiteten Schwangerschaftsabbruch zu Hause ermöglichen, da es in Polen nicht verboten ist, einen Schwangerschaftsabbruch selbst durchzuführen. Die polnischen Behörden haben die Aktivitäten von Aborcyjny Dream Team schon sind seit einigen Jahren im Visier. Angesichts eines zunehmend feindseligeren Umfelds sind die Aktivistinnen zudem frauenfeindlichen und verleumderischen Kampagnen ausgesetzt.
Polens Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen gehört zu den restriktivsten in ganz Europa. Am 22. Oktober 2020 entschied das polnische Verfassungsgericht, dass ein Schwangerschaftsabbruch aufgrund einer tödlichen oder schweren Schädigung des Fötus verfassungswidrig ist, und strich damit einen der wenigen verbleibenden legalen Gründe für eine Abtreibung. Vor dem Inkrafttreten des Urteils am 27. Januar 2021 waren über 90 Prozent der jährlich rund 1.000 legalen Schwangerschaftsabbrüche im polnischen Gesundheitswesen aus diesem Grund erfolgt.