© Richard Burton
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Iranische Behörden vertuschen Gewalt gegen Armita Garawand

10. Oktober 2023

Die 16-jährige Armita Garawand ist nach Angriffen einer Sittenwächterin im Iran ins Koma gefallen. Auslöser war offenbar, dass die Schülerin kein Kopftuch trug. Der Vorfall muss von unabhängiger Stelle untersucht werden, da die Behörden den Vorfall zu vertuschen suchen.

Die internationale Gemeinschaft muss die iranischen Behörden auffordern, die UN-Untersuchungsmission und andere unabhängige Beobachter*innen in das Land zu lassen, um die Umstände, die zum Koma der 16-jährigen Armita Garawand führten, zu untersuchen. Denn die Beweise für eine Vertuschung durch die Behörden häufen sich. Die Jugendliche wurde in einem Teheraner U-Bahn-Zug bewusstlos, nachdem sie Berichten zufolge von einer für die Durchsetzung des Kopftuchzwangs zuständigen Person angegriffen wurde. 

Vertuschung und Verzerrung des Vorfalls durch die Behörden

In den Tagen nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus nahmen die iranischen Behörden vorübergehend eine Journalistin fest, die zu dem Vorfall recherchierte, und verbreiteten in den staatlichen Medien Propagandavideos, auf denen Armita Garawands sichtlich verzweifelte Eltern und Freund*innen widerwillig die staatliche Darstellung wiederholen, dass sie aufgrund von niedrigem Blutdruck zusammengebrochen sei.

Die Behörden veröffentlichten darüber hinaus manipuliertes Videoüberwachungsmaterial, um die Wahrheit zu vertuschen. Die Analyse des Evidence Lab von Amnesty International zeigt, dass die Bildrate des Videos in vier Abschnitten erhöht wurde und stellt eine Lücke von drei Minuten und 16 Sekunden im Filmmaterial fest.

Die iranischen Behörden leugnen und verzerren die Vorkommnisse systematisch, um die Wahrheit über die Umstände des Zusammenbruchs von Armita Garawand zu vertuschen. «Dies erinnert in erschreckender Weise an ihr falsches Narrativ und die unplausiblen Erklärungen zum Krankenhausaufenthalt von Jina Mahsa Amini vor etwas mehr als einem Jahr«, sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International. "Angesichts der mangelnden Aussicht auf unparteiische und unabhängige Ermittlungen im eigenen Land muss die internationale Gemeinschaft die iranischen Behörden dazu drängen, den UN-Ermittlungsmissionen und anderen unabhängigen Beobachter*innen Zugang zum Iran zu gewähren, um die Wahrheit darüber herauszufinden."

Die internationale Gemeinschaft muss auch verlangen, dass die Angehörigen und Freund*innen von Armita Garawand sowie und Journalist*innen, die nach der Wahrheit suchen, vor Repressalien und Schikanen geschützt werden

Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International

Es geht um die Frage, was dazu geführt hat, dass wieder eine Jugendliche in kritischem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste, und dies vor dem Hintergrund von Berichten über Übergriffe im Zusammenhang mit den Gesetzen zum Kopftuchzwang. "Die internationale Gemeinschaft muss auch verlangen, dass die Angehörigen und Freund*innen von Armita Garawand sowie und Journalist*innen, die nach der Wahrheit suchen, vor Repressalien und Schikanen geschützt werden", so Diana Eltahawy.

Behinderung der Familie und der Zeug*innen

Am 1. Oktober 2023 wurde Armita Garawand im Koma in das Fajr-Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie in einem Zug in einer Teheraner U-Bahn-Station bewusstlos geworden war. Informierten Quellen zufolge befinden sich Sicherheitskräfte in starker Präsenz vor dem Eingang des Krankenhauses und hindern Besucher*innen daran, das Krankenhaus zu betreten, und untersagen dort Anwesenden sogar Videoaufnahmen mit dem Handy. Die Quellen berichten, dass die Behörden ihren Eltern zwar mehrfach den Zutritt zum Krankenhaus gestatteten, allerdings unter Einschränkungen, so dass sie Armita Garawand nur kurz sehen durften.

Am 2. Oktober 2023 berichtete die iranische Zeitung Shargh Daily, dass die Journalistin Maryam Lofti festgenommen wurde, nachdem sie im Fajr-Krankenhaus Nachforschungen angestellt hatte. Maryam Lotfi wurde noch am selben Tag gegen Kaution freigelassen.

Am 5. Oktober 2023 zitierte der britische Guardian eine*n Augenzeug*in, der*die sagte, dass kurz nachdem Armita Garawand den Zugwaggon betreten hatte, eine Beamtin, die den Kopftuchzwang in der U-Bahn durchsetzt, «Armita Garawand anschrie und sie fragte, warum ihr Haar nicht bedeckt sei».  Der*die vom Guardian zitierte Augenzeug*in fügte hinzu: «Armita sagte dann zu ihr: ‚Bitte ich Sie, Ihr Kopftuch abzunehmen? Warum fordern Sie mich auf, eins zu tragen?' Die Auseinandersetzung wurde dann gewalttätig. Die Hijab-Kontrolleurin begann, Armita tätlich zu attackieren und ... schubste sie heftig.»

Iranische Staatsmedien reagierten eilig auf die Berichte und stellten den Zusammenbruch von Armita Garawand als die Folge "niedrigen Blutdrucks" dar.

Am 3. Oktober 2023 veröffentlichten die staatlichen Medien ein Video, das mehrere Aufnahmen von Armita Garawands Eltern zeigt, die widerwillig die staatliche Darstellung wiederholen. Während des Videos macht ihre Mutter immer wieder Pausen und zögert, während sie die Ereignisse beschreibt.

In einer anderen Szene sieht man, neben Armita Garawands Mutter, Shaheen Ahmadi, eine Frau stehen, die vage als "Verwandte" bezeichnet wird. Diese Frau behauptet, dass die Anschuldigungen einer Körperverletzung von Armita Garawand nicht zutreffen und dass die Familie das gesamte Videomaterial ansehen durfte und "alles in Ordnung" sei. Die sichtlich verzweifelte Mutter von Armita Garawand unterbricht die Frau mit der Bemerkung, dass die Familie nicht alle Aufnahmen angesehen habe.

Am 5. Oktober 2023 veröffentlichten die staatlichen Medien ein weiteres Video, das das Verhör von zwei Schulfreund*innen von Armita Garawand zeigt, in dem die beiden die Darstellung der Behörden über Armita Garawands Zusammenbruch wiederholen. Auf dem Video ist auch zu sehen, wie eine junge Frau ohne Kopftuch, bei der es sich um Armita Garawand handeln soll, am 1. Oktober den U-Bahnhof betritt, in einen Zug einsteigt und dann von ihren Freund*innen und anderen weiblichen Fahrgästen aus dem Zug getragen wird.

Das Evidence Lab von Amnesty International hat die von den iranischen Staatsmedien veröffentlichten Aufnahmen der Überwachungskameras in der U-Bahnstation analysiert. Die Videoanalyse ergab, dass das Filmmaterial bearbeitet und die Bildrate in vier Abschnitten des Videos erhöht worden war. Ausgehend von der Zeitangabe auf dem Filmmaterial fehlen drei Minuten und 16 Sekunden des U-Bahn-Materials.

Sorge um Armitas Familie

Amnesty International hat dokumentiert, dass die iranischen Behörden die Familien von Betroffenen seit langem schikanieren, einschüchtern und ihnen Repressalien androhen, um sie zu zwingen, die offiziellen staatlichen Darstellungen zu wiederholen, die die Behörden von der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen freisprechen. Die Organisation ist daher in großer Sorge, dass die Familie und Freund*innen von Armita Garawand gezwungen wurden, in Propagandavideos aufzutreten und das staatliche Narrativ unter Zwang und Androhung von Repressalien wiederholen.

Amnesty International fordert die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft auf, auf internationaler Ebene unter Anwendung des Weltrechtsprinzips rechtliche Schritte einzuleiten, um strafrechtliche Ermittlungen gegen iranische Beamte einzuleiten, die für die weit verbreiteten und systematischen Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen verantwortlich sind.

Iran Armita (1)