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Iran: LGBTI-Aktivistinnen zum Tode verurteilt

15. September 2022

Die iranische LGBTI-Aktivistin Zahra Sedighi-Hamadani und eine weitere Frau, Elham Choubdar, wurden wegen "Verdorbenheit auf Erden" zum Tode verurteilt. Gründe für die Verurteilung der Frauen sind ihre tatsächliche oder vermeintliche sexuelle Orientierung und/oder ihre Geschlechtsidentität sowie ihre Aktivitäten zur Unterstützung von LGBTI-Gemeinschaften in den Sozialen Medien.

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Sachlage

Zahra Sedighi-Hamadani, auch bekannt als Sareh, tritt für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI) ein. Sie und eine weitere Frau, Elham Choubdar, wurden zum Tode verurteilt, nachdem das Revolutionsgericht in Urmia in der Provinz West-Aserbaidschan sie nach einem Verfahren Anfang August 2022 der "Verdorbenheit auf Erden" für schuldig befunden hatte. Offizielle Erklärungen, Berichte in den staatlichen Medien und Erklärungen, die Zahra Sedighi-Hamadani seit ihrer Festnahme im Oktober 2021 von Ermittlungsbeamt*innen erhalten hat, deuten darauf hin, dass ihre Verfolgung aus diskriminierenden Gründen in Zusammenhang mit ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und/oder ihrer Geschlechtsidentität, ihrer friedlichen Verteidigung der Rechte von LGBTI, auch in den Sozialen Medien, und ihren Verbindungen mit Asylsuchenden der LGBTI-Community im Irak erfolgte. Am 18. Juli 2022 strahlten staatliche Medien, die mit den Revolutionsgarden in Verbindung stehen, ein homophobes Video aus, in dem Zahra Sedighi-Hamadani als "Kriminelle" dargestellt wurde, weil sie Online-Inhalte veröffentlicht hatte, die "für Homosexualität warben" und "das Stigma religiös verbotener [namashrou] sexueller Beziehungen in Frage stellten". In dem Propagandavideo wurde Zahra Sedighi-Hamadanis friedlicher Online-Aktivismus für LGBTI-Rechte mit unbegründeten Anschuldigungen des "Glücksspiels" und des "Schmuggels von Frauen und Mädchen aus dem Iran nach Erbil [Irak]" in Verbindung gebracht, um sie zu diffamieren. Gerichtsdokumente und andere von Amnesty International geprüfte Informationen deuten darauf hin, dass Elham Choubdar in ähnlicher Weise aus diskriminierenden Gründen im Zusammenhang mit ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität, ihren Aktivitäten zur Unterstützung von LGBTI in Sozialen Medien und ihrer Verbindung zu Zahra Sedighi-Hamadani verfolgt wurde.

Die Verfahren, die zur Verurteilung der beiden Frauen führten, waren grob unfair. Zahra Sedighi-Hamadani war 53 Tage nach ihrer Festnahme "verschwunden". In diesem Zeitraum war sie Verhören ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand, verlängerter Einzelhaft, homophoben Beleidigungen und Todesdrohungen ausgesetzt. Außerdem drohte man ihr damit, ihr das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen. Diese Handlungen verstoßen gegen die Rechte auf ein faires Verfahren sowie gegen das uneingeschränkte Verbot der Folter und anderer Misshandlungen. Amnesty International geht davon aus, dass Elham Choubdar unter Druck zu "Geständnissen" gezwungen wurde. Darüber hinaus erfüllt der Straftatbestand der "Verdorbenheit auf Erden" nicht die strafrechtlichen Erfordernisse der Rechtsklarheit und Genauigkeit und läuft zudem dem Legalitätsprinzip und dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwider. Die beiden Frauen wurden am 1. September 2022 im Gefängnis Urmia, wo beide inhaftiert sind, von offizieller Seite über ihre Strafen informiert. In beiden Fällen wurden vor dem Obersten Gerichtshof Rechtsmittel eingelegt.

 

Hintergrundinformation

Die Menschenrechtsorganisation HENGAW berichtete am 4. September 2022, dass Zahra Sedighi-Hamadani und Elham Choubdar zum Tode verurteilt wurden. Nach einem breiten Medienecho wurde diese Nachricht am 5. September 2022 von der iranischen Justiz bestätigt und bekanntgegeben, dass Zahra Sedighi-Hamadani und Elham Choubdar im Zusammenhang mit dem "Schmuggeln von Frauen und Mädchen" zum Tode verurteilt wurden. Zuvor hatte der Geheimdienst der Revolutionsgarden in der Provinz West-Aserbaidschan am 6. November 2021 eine Stellungnahme veröffentlicht. In dieser hieß es, dass sie "in einer komplexen, vielschichtigen und extraterritorialen Geheimdienstoperation den Kopf eines Netzwerks gefasst" hätten, "welches iranische Mädchen und Frauen in Nachbarländer schmuggelt". Dies geschehe "zum Zweck der Verdorbenheit und der Leitung und Unterstützung von homosexuellen Gruppen, die unter dem Schutz von [ausländischen] Geheimdiensten arbeiten." Amnesty International ist der Ansicht, dass die Anschuldigungen des "Schmuggels" falsch und unbegründet sind und auf der tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität der Frauen und im Fall von Zahra Sedighi-Hamadani auf deren Verbindung mit anderen iranischen LGBTI-Asylsuchenden auf der Flucht vor der systematischen Verfolgung im Iran beruhen.

Die iranischen Revolutionsgarden haben Zahra Sedighi-Hamadani Ende 2021 in der Nähe der iranischen Grenze bei dem Versuch festgenommen, in der Türkei einen Asylantrag zu stellen. Elham Choubdar wurde einige Zeit später festgenommen. Die Behörden haben beide Frauen wegen der "Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution" und der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" (efsad-e fel arz) angeklagt. Zahra Sedighi-Hamadani wurde außerdem der "illegalen Einreise" beschuldigt. Gemäß dem iranischen Strafrecht wurden die Anklagepunkte "Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution" und "illegale Einreise" an die Abteilung 111 des Strafgerichts 2 in Urmia und der Anklagepunkt "Verdorbenheit auf Erden" an das Revolutionsgericht in Urmia verwiesen. Im Juli 2022 verurteilte das Strafgericht Zahra Sedighi-Hamadani wegen der "illegalen Einreise" zu einer Geldstrafe. Im gleichen Urteil wies das Gericht die Anklage wegen "Anstiftung zu Verdorbenheit und Prostitution" für beide Frauen mit der Begründung ab, dass die Frauen wegen derselben Aktivitäten bereits der "Verdorbenheit auf Erden" vor dem Revolutionsgericht in Urmia angeklagt seien und daher nicht in die Zuständigkeit des Strafgerichts 2 fielen. In dem von Amnesty International eingesehenen Urteil der Abteilung 111 des Strafgerichts 2 in Urmia heißt es, dass die Frauen aufgrund ihrer "Aktivitäten im Online-Umfeld" der "Verdorbenheit auf Erden" angeklagt wurden. Weitere Informationen werden jedoch nicht genannt.

Mitte Januar 2022 wurde Zahra Sedighi-Hamadani von der Ermittlungsleitung der Abteilung 6 der Revolutionsstaatsanwaltschaft in Urmia informiert, dass sie wegen der "Förderung von Verdorbenheit auf Erden" angeklagt sei. Unter diesen Anklagepunkt fällt die "Förderung von Homosexualität", die "Kommunikation mit Medien der Gegner der Islamischen Republik Iran" sowie die "Förderung des Christentums". Die ersten beiden Vorwürfe basieren auf ihrer Verteidigung von LGBTI-Rechten in der Öffentlichkeit, wie z. B. über die Sozialen Medien und mittels eines Auftritts in einer BBC-Dokumentation über Menschenrechtsverstöße, denen LGBTI in der Irakischen Region Kurdistan ausgesetzt sind. Diese wurde im Mai 2021 ausgestrahlt. Laut Informationen, die Amnesty International vorliegen, bezieht sich der dritte Vorwurf darauf, dass sie eine Halskette mit einem Kreuzanhänger trug und vor einigen Jahren eine Hauskirche besuchte.

Bevor sie sich auf den gefährlichen Teil ihrer Reise über die iranisch-türkische Grenze aufmachte, nahm sie eine Videonachricht auf und bat eine Vertrauensperson, diese zu veröffentlichen, sollte sie es nicht wohlbehalten in die Türkei schaffen. Sie berichtet in dem Video, das am 7. Dezember 2021 von dem iranischen Lesben- und Transgender-Netzwerk 6Rang verbreitet wurde: "Ihr sollt wissen, wie viel Druck wir Mitglieder der LGBT-Community erdulden. Wir riskieren unser Leben für unsere Gefühle, aber so finden wir zu uns selbst ... Ich hoffe, dass der Tag kommen wird, an dem wir alle frei in unserem Land leben können ... Jetzt reise ich der Freiheit entgegen. Ich hoffe, dass ich wohlbehalten ankommen werde. Sollte ich es schaffen, werde ich mich weiter für LGBT einsetzen. Ich werde hinter ihnen stehen und meine Stimme für sie erheben. Falls ich es nicht schaffe, werde ich mein Leben dafür gegeben haben."

Das iranische Strafgesetzbuch kriminalisiert einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen des gleichen Geschlechts und auch zwischen Minderjährigen. Sie werden mit Körperstrafen, wie z. B. Prügelstrafen, die der Folter gleichkommen, und der Todesstrafe geahndet. Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Untersuchungen von Amnesty International zeigen immer wieder, dass es den Revolutionsgerichten an Unabhängigkeit mangelt und dass sie unter dem Einfluss von Sicherheits- und Geheimdiensten und nach äußerst unfairen, summarischen und überwiegend geheimen Verfahren, die das Recht auf ein faires Verfahren untergraben, harte Urteile gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Personen verhängen. Menschenrechtsverteidiger*innen und Anwält*innen im Iran haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die Revolutionsgerichte keine verfassungsrechtliche Basis haben und abgeschafft werden sollten. Auch Amnesty International hat die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen dokumentiert. Diese Kriminalisierung erfolgt vor dem Hintergrund fortlaufender Verleumdungskampagnen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, insbesondere im Internet, um ihren Einsatz für die Menschenrechte zu untergraben.

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