Iran: Grosse Sorge um Gesundheitszustand
23. Juni 2022Die iranische Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi ist willkürlich im Gefängnis Shahr-e Rey in Varamin in der Provinz Teheran inhaftiert. Sie wird dort gefoltert und anderweitig misshandelt, u. a. durch das vorsätzliche Vorenthalten dringend benötigter fachärztlicher Behandlung. Sie befindet sich lediglich aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit in Haft und ist somit eine gewaltlose politische Gefangene, die umgehend und bedingungslos freigelassen werden muss.
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Sachlage
Die Menschenrechtlerin Narges Mohammadi, die willkürlich im Gefängnis Shahr-e Rey (auch bekannt als Gharchak-Gefängnis) in Varamin in der Provinz Teheran inhaftiert ist, wird von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden auf Geheiß des Geheimdienstministeriums gefoltert und anderweitig misshandelt. Man verweigert ihr vorsätzlich eine angemessene Gesundheitsversorgung, um sie dafür zu bestrafen, dass sie die Praxis der Einzelhaft in iranischen Gefängnissen öffentlich angeprangert hat und Rechenschaft für Hunderte rechtswidriger Tötungen während der landesweiten Proteste im November 2019 gefordert hat. Von Ende April bis Mitte Mai 2022 erhielt Narges Mohammadi nicht die Medikamente, die sie für ihre schweren Erkrankungen benötigt, unter anderem für Herz- und Lungenkrankheiten. Laut eigenen Angaben erlitt die Menschenrechtlerin am 3. Februar 2022 einen Herzinfarkt, wurde jedoch vom Gefängnisarzt nicht angemessen behandelt. Gleichzeitig weigerten sich die Gefängnisbehörden, sie in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu verlegen – womit sie ihr Leben auf’s Spiel setzten. Erst als Narges Mohammadi am 16. Februar erneut mehrere Herzanfälle erlitt, verlegte man sie für eine Notoperation am Herzen in ein Krankenhaus. Gegen ärztlichen Rat wurde sie bereits am 19. Februar wieder ins Gefängnis verlegt, noch bevor sie sich ausreichend erholt hatte.
Narges Mohammadi wird seit über zehn Jahren immer wieder willkürlich inhaftiert, um sie für ihre Menschenrechtsarbeit zu bestrafen. Zuletzt wurde sie in zwei separaten Fällen aufgrund ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit zu insgesamt zehn Jahren und acht Monaten Gefängnis sowie 154 Stockhieben und anderen Sanktionen verurteilt. Ende April 2022 luden die Strafverfolgungsbehörden sie erneut vor, um sie in einem neuen Fall zu befragen, der ebenfalls mit ihrer Menschenrechtsarbeit zu tun hat. Am 22. Februar 2022 war Narges Mohammadi aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend aus der Haft entlassen worden. Doch am 21. April wurde sie von Angehörigen des Geheimdienstministeriums erneut inhaftiert und ins Gharchak-Gefängnis gebracht, um den Rest ihrer Haftstrafen zu verbüßen. Die Haftbedingungen dort sind grausam und unmenschlich. So haben die Gefangenen im Gharchak-Gefängnis kürzlich gemeldet, dass sich dort Abwässer stauten, was unhygienisch ist, schlecht riecht und die Gefahr von Krankheiten birgt. Die ohnehin bereits mangelhaften sanitären Bedingungen werden dadurch noch verschärft. Narges Mohammadi wird darüber hinaus gemeinsam mit Frauen festgehalten, die wegen Gewaltverbrechen inhaftiert sind. Ende Mai berichtete ihr Rechtsbeistand, dass eine Mitgefangene damit gedroht habe, die Menschenrechtlerin und eine weitere politische Gefangene umzubringen.
Hintergrundinformation
Am 16. November 2021 wurde Narges Mohammadi gewaltsam festgenommen, als sie in Karadsch in der Provinz Alborz an einer Gedenkveranstaltung für Ebrahim Ketabdar teilnahm, der während der landesweiten Proteste im November 2019 von iranischen Sicherheitskräften getötet worden war. Sie kam in den Trakt 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses, der dem Geheimdienstministerium untersteht, in Einzelhaft. Am Tag nach ihrer Festnahme teilte man ihr mit, dass sie eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten antreten müsse, zu der sie 2021 verurteilt worden war. Man drohte ihr zudem an, die 80 Stockhiebe, zu denen sie ebenfalls verurteilt worden war, zeitnah zu vollziehen. Die Menschenrechtlerin gab an, 64 Tage lang in Trakt 209 in Einzelhaft gehalten worden zu sein. Während dieser Zeit sei sie von Angehörigen des Geheimdienstministeriums gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Ihren Angaben zufolge ließ man das Licht jeden Tag 24 Stunden lang brennen und gewährte ihr nur dreimal pro Woche für jeweils 20 Minuten Zeit an der frischen Luft und im Tageslicht. Die Behörden hielten sie in beinahe totaler Isolation fest und verweigerten ihr den Kontakt mit anderen Gefangenen. Ihr einziger menschlicher Kontakt war mit den Wärter*innen, die sie zur Toilette eskortierten und ihr Essen brachten. All dies wirkte sich stark auf ihren Gesundheitszustand aus, so erlitt sie beispielsweise Anfälle von Atemnot.
Am 4. Januar 2022 wurde Narges Mohammadi vor die Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichtes gestellt, um sich in einem zweiten Fall zu verantworten. Das Verfahren entsprach bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Verfahren: Die Anhörung dauerte lediglich fünf Minuten, und sie gab später an, sowohl vor als auch während der Verhandlung keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand gehabt zu haben. Am 15. Januar wurde sie darüber informiert, dass das Gericht sie zu acht Jahren und zwei Monaten Haft sowie 74 Stockhieben verurteilt habe. Zudem habe sie zwei Jahre im internen "Exil" außerhalb ihres Wohnorts Teheran zu verbringen, dürfe sich zwei Jahre lang nicht in politischen Parteien oder gesellschaftlichen Zusammenschlüssen engagieren, und müsse sich zwei Jahre lang von Online-Plattformen, den Medien und der Presse fernhalten.
Das Urteil vom Januar 2022 kommt zu ihrer früheren Verurteilung durch die Abteilung 1177 des Teheraner Strafgerichts Nr. 2 hinzu. Damals wurde die Menschenrechtlerin laut einem Instagram-Post vom 24. Mai 2021 unter anderem wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis, 80 Stockhieben und zwei Geldstrafen verurteilt. Die ihr vorgeworfenen "Straftaten" beziehen sich auf von ihr gemachte Aussagen gegen die Todesstrafe sowie auf eine Sitzblockade, die sie während eines früheren Gefängnisaufenthalts zusammen mit anderen Gefangenen zwischen dem 21. und 24. Dezember 2019 im Evin-Gefängnis durchführte, um gegen die rechtswidrige Tötung von Demonstrierenden im November 2019 zu protestieren. Sie prangerte zudem an, dass sie kurz nach der friedlichen Sitzblockade von Angehörigen der Gefängnis- und Justizbehörden sowie von männlichen Sicherheitskräften gefoltert und anderweitig misshandelt worden sei. Man habe sie z. B. wiederholt am ganzen Körper geschlagen, gewaltsam eine Treppe hinuntergezerrt und gegen eine Wand geworfen. Die Staatsanwaltschaft in Teheran weigerte sich, diese von Narges Mohammadi Ende Dezember 2019 erhobenen Folter- und Misshandlungsvorwürfe zu verfolgen.