China: Uigurin wegen Extremismus verurteilt
5. Juli 2023Die 19-jährige uigurische Studentin Kamile Wayitist wurde am 25. März der "Förderung des Extremismus" schuldig gesprochen. Sie hatte im November 2022 ein Video der "A4-Proteste" auf WeChat veröffentlicht. Ein*e Sprecher*in des chinesischen Außenministeriums bestätigte ihren Schuldspruch gegenüber dem Economist. Kamile Wayit muss sofort freigelassen werden, da sie lediglich friedlich von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Bis zu ihrer Freilassung müssen die chinesischen Behörden sicherstellen, dass sie bei Bedarf Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, zu ihrer Familie und zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl hat und nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
Die Uigurin Kamile Wayit (卡米莱.瓦依提) wurde am 25. März 2023 der "Förderung des Extremismus" schuldig gesprochen. Ein*e Sprecher*in des chinesischen Außenministeriums bestätigte die Nachricht von ihrer Verurteilung Anfang Juni 2023 gegenüber dem Magazin The Economist. Es ist jedoch unklar, wie lange Kamile in Haft bleiben soll und wo sie festgehalten wird.
Kamile Wayit kommt aus Atush in Xinjiang und studiert im ersten Jahr am Shangqiu Institute of Technology (商丘工学院) in Henan (河南). Sie wurde am 12. Dezember 2022 in Atush von der Polizei festgenommen und inhaftiert, nachdem sie zu einem Urlaub dorthin zurückgekehrt war. Es wird vermutet, dass ihre Inhaftierung mit einem Video zusammenhängt, das sie im November 2022 auf WeChat gepostet hat. Darin geht es um die Proteste, die in ganz China zum Gedenken an die Opfer eines Brandes in Urumqi stattfanden. Kamile Wayit sollte sofort freigelassen werden, da sie lediglich friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat.
Amnesty International ist außerdem besorgt über den Gesundheitszustand von Kamile Wayit. Nach Angaben einer ihr nahestehenden Quelle litt sie an Depressionen und sollte im Sommer dieses Jahres am Auge operiert werden. Da es nur wenige Informationen über ihre Situation im Allgemeinen gibt, ist Amnesty International besorgt über ihr Wohlergehen und das Risiko, dass sie gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
Hintergrund
Kamile Wayit studiert Vorschulpädagogik am Technologischen Institut Shangqiu in Henan (河南省商丘工学院). Sie wurde in Artux (der Hauptstadt des Kirgisischen Autonomen Bezirks Kizilsu in Xinjiang) geboren und hat dort ihre Grundschulzeit verbracht. Von 2017 und 2019 musste sie zwei Jahre lang allein in Urumqi leben, weil ihr Vater in dieser Zeit in einem "Umerziehungslager" festgehalten wurde. Sie war damals erst 14 Jahre alt, wird aber von ihrem Bruder als "sehr reif und fürsorglich" beschrieben.
Am Donnerstag, den 24. November 2022, brach in einem Wohnhaus in Urumqi ein Feuer aus, bei dem nach Angaben der Regierung mindestens zehn Menschen ums Leben kamen. Viele machten die Coronabeschränkungen für die Todesfälle verantwortlich, aber die örtlichen Behörden wiesen diesen Vorwurf zurück. Dennoch kam es in Urumqi, der Hauptstadt der westlichen Region Xinjiang, zu Protesten. Am nächsten Morgen erklärte die Regierung, dass der Coronaausbruch unter Kontrolle sei und die Abriegelung der Stadt gelockert werde. Dies beendete mehr als 100 Tage eines Lockdowns, in denen die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt waren.
Seit dem 25. November 2022 werden in den Sozialen Medien Videos geteilt, die den Ausbruch von Protesten an Universitäten und in Städten in ganz China zeigen, darunter in Peking, Guangdong, Shanghai und Wuhan. Friedliche Protestierende gedachten der Opfer des Brandes in Urumqi und forderten die Aufhebung der Lockdown-Maßnahmen. Viele forderten auch ein Ende der Zensur und einige verlangten den Rücktritt von Präsident Xi. Zahlreiche Menschen wurden festgenommen, weil sie sich an friedlichen Protesten gegen die Coronabeschränkungen beteiligt hatten. Es ist bislang nicht bekannt, wie viele sich noch in Haft befinden. Im Internet kursierende Videos zeigen, wie die Polizei bei Festnahmen auf Demonstrierende einprügelt.
Xinjiang ist eine ethnisch äußerst vielfältige Region in China. Mehr als die Hälfte der dort lebenden 22 Millionen Menschen gehören zu überwiegend turksprachigen und meist muslimischen ethnischen Gruppierungen, darunter Uigur*innen (etwa 11,3 Millionen), Kasach*innen (etwa 1,6 Millionen) und andere Bevölkerungsgruppen, deren Sprachen, Kultur und Lebensweise stark von den Han-Chines*innen abweichen, die in China in der Mehrheit sind.
Seit 2017 begeht die chinesische Regierung unter dem Deckmantel einer Kampagne gegen "Terrorismus" und "religiösen Extremismus" weitreichende und systematische Menschenrechtsverletzungen gegen die in Xinjiang lebenden Menschen muslimischen Glaubens. Schätzungen zufolge werden seit 2017 über eine Million Menschen willkürlich in Internierungslagern in ganz Xinjiang festgehalten.
Die chinesische Regierung hat große Anstrengungen unternommen, um die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zu vertuschen und Mitglieder der uigurischen Diaspora daran zu hindern, darüber zu sprechen. Amnesty International hat zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Uigur*innen, Kasach*innen und andere turksprachige Muslim*innen in Lager geschickt wurden, weil sie im Ausland gelebt oder studiert hatten, weil sie gereist waren oder mit Personen im Ausland kommuniziert hatten.
Viele von ihnen wurden nur deshalb inhaftiert, weil sie "Verbindungen" zu Menschen hatten, die im Ausland gelebt oder studiert hatten, gereist waren oder mit Personen im Ausland kommuniziert hatten.
Im August 2022 veröffentlichte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte einen lange erwarteten Bericht, in dem frühere Erkenntnisse von Amnesty International und anderen bestätigt wurden. Der Bericht macht deutlich, dass das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierungen von Uigur*innen, Kasach*innen und anderen überwiegend muslimischen Personen in Xinjiang als Völkerrechtsverbrechen und insbesondere als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden kann. Darin wird außerdem eine ganze Reihe an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, darunter Vorwürfe der Folter und anderen Misshandlungen, Vorfälle von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsarbeit und Verschwindenlassen.
Bitte bis 30. August 2023 unterschreiben