Ägypten: Aktivistin freilassen!
24. Juni 2021Die ägyptische Menschenrechtsaktivistin und gewaltlose politische Gefangene Sanaa Seif verbüßt eine Gefängnisstrafe von 18 Monaten im ägyptischen Frauengefängnis al-Qanater. Sie wurde mit konstruierten Anklagen zu dieser Haftstrafe verurteilt. Am 23. Juni hatten ägyptische Sicherheitskräfte die Menschenrechtsaktivistin vor dem Büro der Staatsanwaltschaft in Kairo festgenommen. Dort wollte sie Anzeige erstatten, weil sie am Vortag brutal angegriffen worden war. Sanaa Seif muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.
Am 17. März 2021 wurde Sanaa Seif vom zehnten Strafgericht in Süd Kairo auf Grundlage unbegründeter Vorwürfe wegen "Verbreitung von Falschinformationen", "Missbrauch sozialer Medien" und "Beleidigung eines Polizisten im Dienst" zu 18 Monaten Haft verurteilt. Die Vorwürfe sind darauf zurückzuführen, dass Sanaa Seif vor dem Tora-Gefängnis in Kairo gegen einen Polizisten intervenierte, der ihre Mutter gestoßen hatte, woraufhin Sanaa Seif diesen Vorfall in den Sozialen Medien geteilt hatte. Die Menschenrechtsaktivistin äußerte sich zudem öffentlich kritisch über den Umgang der Behörden mit Covid-19-Ausbrüchen in Ägyptens überfüllten und unhygienischen Gefängnissen und sie forderte die Freilassung von willkürlich inhaftierten Gefangenen, darunter ihr Bruder, der Aktivist Alla Abdel Fattah. Amnesty International hat die vorliegenden Beweise gegen Sanaa Seif - einschließlich die von ihr am 22. Juni 2020 veröffentlichten Kommentare zum Vorfall des Angriffs ihrer Mutter - geprüft und ist der Ansicht, dass ihre kritischen Äußerungen bei Weitem nicht der Aufstachelung zu Hass, Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt entsprechen.
Am 23. Juni 2020 führten ägyptische Sicherheitskräfte Sanaa Seif ab, als sie vor dem Büro der Staatsanwaltschaft in Kairo wartete, um wegen eines brutalen Angriffs am Vortag Anzeige zu erstatten. Zum Zeitpunkt der Festnahme lag kein Haftbefehl vor. Am 22. Juni wartete Sanaa Seif zusammen mit ihrer Mutter, Laila Soueif, und ihrer Schwester, Mona Seif, vor dem Tora-Gefängnis auf einen Brief von ihrem willkürlich festgenommenen Bruder, Alaa Abdel Fattah. Eine Gruppe Frauen näherte sich der Familie und schlug mit Stöcken auf sie ein, zerriss ihre Kleidung, zerrte sie zu Boden und stahl einige ihrer Besitztümer. Bis heute steht ein Ermittlungsverfahren in diesem Fall aus.
Hintergrund
Am Tag von Sanaa Seifs Festnahme, wurde sie zur Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit (Supreme State Security Prosecution – SSSP) gebracht – einer Sondereinheit der Staatsanwaltschaft, die für die Untersuchung von Aktivitäten zuständig ist, die mutmaßlich die nationale Sicherheit bedrohen. Dort wurde sie von Staatsanwält*innen zu Vorwürfen der "Verbreitung von Falschinformationen", "Anstiftung zu terroristischen Straftaten" und des "Missbrauchs sozialer Medien" verhört. Am 9. August 2020 wurde sie erneut ins Hauptquartier der SSSP in Kairo gebracht, ohne dass ihre Rechtsbeistände davon unterrichtet wurden. Die SSSP leitete zu zwei zusätzlichen Anklagepunkten Ermittlungen ein, nämlich "Beleidigung eines Polizisten in Dienst" und "Diffamierung eines Polizisten". Unter den internationalen Menschenrechtsnormen zählt "Beleidigung" nicht als anerkannte Straftat und rechtfertigt daher nicht die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Laut dem UN-Menschrechtsausschuss reicht es nicht aus, dass eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens eine Äußerung als beleidigend empfindet, um eine strafrechtliche Verfolgung aufzunehmen.
Die Gefängnisbesuche waren nach dem Ausbruch von Covid-19 für fünf Monate ausgesetzt worden waren und wurden im August 2020 mit einigen Einschränkungen wieder aufgenommen. Sanaa Seifs Mutter besuchte sie zuletzt am 19. Juni 2021 und berichtete, dass sie gesund sei.
Sanaa Seif und ihre Familie werden wegen ihres menschenrechtlichen Aktivismus' seit Jahren schikaniert und eingeschüchtert. Am 18. März 2020 wurden Laila Soueif, Mona Seif, Sanaas Tante Ahdaf Soueif und die Universitätsprofessorin Rabab el-Mahdi von Sicherheitsdiensten vor dem Kabinettsgebäude in Kairo festgenommen, nachdem sie in friedlichem Protest auf einem Bürgersteig standen und die Freilassung von Gefangenen forderten, weil sie einen Ausbruch von Covid-19 in den überfüllten Gefängnissen des Landes befürchteten. Ein Staatsanwalt beschuldigte die vier Aktivistinnen der "Anstiftung zu einem Protest", der "Verbreitung von Falschinformationen" und des "Besitzes von Material mit Falschinformationen". Dann ordnete er gegen eine Kaution von 5.000 ägyptischen Pfund (ca. 270 Euro) ihre Freilassung bis zum Abschluss der Ermittlungen an. Obwohl die Kaution noch am selben Tag bezahlte wurde, blieben sie bis zum nächsten Tag ohne rechtliche Grundlage in Haft. Am 19. März 2020 überstellten die Behörden Laila Soueif an die SSSP, wo ein Staatsanwalt ihre Freilassung gegen eine Kaution von 3.000 ägyptischen Pfund (ca. 160 Euro) anordnete. Alle vier Aktivistinnen wurden noch in derselben Nacht freigelassen.
Der Bruder von Sanaa Seif, Alaa Abdel Fattah, befindet sich seit September 2019 ohne Gerichtsverfahren wegen seines friedlichen Aktivismus ebenfalls in willkürlicher Haft. Am 23. November 2020 wurde er entgegen einer rechtstaatlichen Vorgehensweise als Teil des Strafverfahrens mit der Nummer 1781/2019 für fünf Jahre in die Liste von Terrorist*innen aufgenommen. Diese Entscheidung beinhaltet ein fünfjähriges Reiseverbot ins Ausland sowie das Verbot der Teilhabe am politischen und zivilgesellschaftlichen Leben.
Am 12. Juni 2021 reichte der Rechtsbeistand von Sanaa Seif einen Antrag auf vorläufige Freilassung bei der Gefängnisbehörde des Innenministerium und dem Hohen Ausschuss für vorläufige Freilassung ein. Als dieser Text verfasst wurde, lag noch keine Antwort der Behörden vor.
Bitte unterschreibe bis 18. August 2021!