Urgent action: Rechtswidrige Abschiebungen stoppen!
2. Oktober 2019In den vergangenen Monaten sind zahlreiche syrische Flüchtlinge rechtswidrig aus der Türkei nach Syrien abgeschoben worden. Gleichzeitig können Flüchtlinge, die sich in der Türkei aufhalten und deren Ausweispapiere nicht mehr gültig sind, diese Dokumente offenbar nicht neu beantragen, obwohl dies per Gesetz möglich ist. Die Türkei muss die Abschiebungen einstellen und Flüchtlingen die Verlängerung ihrer Ausweispapiere ermöglichen.
Setz dich ein für syrische Flüchtlinge!
Berichten zufolge haben die türkischen Behörden in den vergangenen Monaten zahlreiche syrische Flüchtlinge aufgegriffen und nach Syrien abgeschoben. Laut Angaben von Personen, die derzeit im Gouvernement Idlib in Syrien festsitzen, wurden sie im Juli 2019 in der Türkei festgenommen und nach mehreren Tagen im Gewahrsam über den Grenzübergang Bab al-Hawa nach Syrien abgeschoben. In manchen Fällen waren die Betroffenen nicht registriert oder hielten sich außerhalb der Provinz auf, in der sie registriert waren. Andere befanden sich jedoch in ihrer designierten Provinz, als sie aufgegriffen wurden. Ungeachtet des Rechtsstatus einer Person ist es gemäß dem Völkerrecht und der türkischen Gesetzgebung verboten, Menschen in ein Land abzuschieben, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen – und dies ist in Syrien der Fall.
Syrische Flüchtlinge in der Türkei, deren Ausweispapiere abgelaufen oder nicht mehr gültig sind, können diese offenbar nur sehr schwer erneuern. Die Gründe hierfür sind unklar, da dies laut türkischem Recht eigentlich möglich sein müsste. Menschen, die sich ohne Ausweispapiere in der Türkei aufhalten, fürchten sich vor Festnahme und Abschiebung. Sie gehen nicht vor die Tür und können daher nicht arbeiten, keine Arzttermine wahrnehmen und keine Einkäufe tätigen.
Die ersten Berichte über vermehrte Abschiebungen gingen etwa zu der Zeit ein, als die Behörden alle nicht registrierten syrischen Staatsangehörigen aufforderten, Istanbul zu verlassen. Als Frist wurde ursprünglich der 20. August festgesetzt, die dann bis zum 30. Oktober verlängert wurde. Das bevorstehende Fristende verbreitet Angst unter den syrischen Flüchtlingen. Amnesty International befürchtet, dass die Frist dazu genutzt wird, noch mehr Abschiebungen vorzunehmen.
Hintergrund. Die Türkei ist derzeit das Land mit den meisten Flüchtlingen: ungefähr 4 Millionen, die meisten von ihnen (mehr als 3,6 Millionen) aus Syrien. Theoretisch erhalten alle syrischen Staatsangehörigen in der Türkei „vorübergehenden Schutzstatus“, doch sie müssen sich hierzu registrieren und entsprechende Ausweisdokumente ausstellen lassen. Sie erhalten dann Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie z. B. in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Die türkischen Behörden haben für die Aufnahme dieser Flüchtlinge Milliarden Euro aufgewendet und hierfür auch Unterstützung von der Europäischen Union (EU) erhalten.
Trotz gegenteiliger Behauptungen seitens der Türkei und der EU ist die Türkei kein sicheres Land für Flüchtlinge und Asylsuchende. Amnesty International und anderen Organisationen wurden glaubwürdige und konsistente Nachweise darüber vorgelegt, dass zwischen 2014 und 2018 Abschiebungen aus der Türkei nach Syrien vorgenommen worden sind. Die Abschiebung in ein Land, in dem der betreffenden Person schwere Menschenrechtsverletzungen drohen (Refoulement), ist sowohl nach türkischem Recht als auch in völkerrechtlichen Verträgen, die von der Türkei unterzeichnet wurden, verboten. In der Regel berichten syrische Flüchtlinge, dass sie gezwungen oder durch List dazu gebracht wurden, eine sogenannte „Vereinbarung zur freiwilligen Rückkehr“ zu unterschreiben, die manchmal nur auf Türkisch vorgelegt wurde. Sobald die Betroffenen nach Syrien abgeschoben werden, werden ihre Ausweisdokumente für den vorübergehenden Schutzstatus in der Türkei annulliert. Diejenigen, die es wieder in die Türkei schaffen (fast immer auf irreguläre Weise, da die Grenze de facto geschlossen ist), haben dort keinen regulären Rechtsstatus mehr und sind daher in besonderer Gefahr, abgeschoben zu werden.
In manchen Fällen kehren Personen tatsächlich freiwillig nach Syrien zurück, zum Beispiel um ältere Verwandte zu begleiten oder ihren Pass zu erneuern. Sie berichteten Amnesty International, dass sie nicht über die Folgen ihrer Ausreise aus der Türkei informiert wurden und erst nach ihrer (notwendigerweise irregulären) Wiedereinreise herausfanden, dass ihr vorübergehender Schutzstatus annulliert worden war.
Am 7. Januar 2019 erklärte die türkische Generaldirektion für Migrationsverwaltung in einem Rundschreiben, dass Personen, die über Ausweisdokumenten für vorübergehenden Schutzstatus verfügen, in der Lage sein sollten, diesen Status wiederherzustellen, wenn sie ihn einmal verloren haben. Aus Amnesty International unbekannten Gründen scheint es jedoch so gut wie unmöglich zu sein, den vorübergehenden Schutzstatus verlängern oder wiederherstellen zu lassen, egal aus welchen Gründen er aberkannt wurde – ob durch erzwungene oder freiwillige Rückkehr nach Syrien oder Ablaufen der Ausweispapiere.
Am 22. Juli erklärte der Regierungsbezirk Istanbul, dass alle syrischen Staatsangehörigen, die nicht in Istanbul registriert seien, bis spätestens 20. August die Provinz zu verlassen hätten. Die türkische Generaldirektion für Migrationsverwaltung verlängerte diese Frist später bis zum 30. Oktober. Die Ankündigung im Juli führte zu großer Angst unter den Flüchtlingen; zeitgleich gingen vermehrt Berichte über Abschiebungen nach Syrien ein. Amnesty International befürchtet, dass sich dies im Oktober wiederholen könnte. In Istanbul befinden sich mehr als 500.000 registrierte syrische Staatsangehörige und Tausende weitere, die entweder nicht angemeldet oder in einer anderen Provinz registriert sind. Zwar ist Refoulement potenziell eine Gefahr für alle syrischen Flüchtlinge, doch besonders gefährdet scheinen diejenigen zu sein, die über keine Ausweispapiere verfügen, sich außerhalb ihrer designierten Provinz aufhalten oder ohne Erlaubnis arbeiten. Fast alle syrischen Flüchtlinge in der Türkei, die einer Arbeit nachgehen, tun dies ohne offizielle Erlaubnis. Ende 2018 waren gerade einmal 68.000 Arbeitsgenehmigungen erteilt worden.
Urgent Action bis 11. Nov. 2019