Urgent Action: Abschiebung stoppen!
19. Juli 2019Mohamed Ajlani Younes, ein palästinensischer Flüchtling aus Syrien, wird seit dem 26. Mai willkürlich und unter schlechten Bedingungen im Flughafen Istanbul festgehalten. Sein Asylantrag ist bisher nicht bearbeitet worden. Die türkischen Behörden haben bereits zweimal versucht, ihn in den Libanon abzuschieben – von dort droht ihm die Rückführung nach Syrien.
Mohamed Ajlani Younes ist ein palästinensischer Flüchtling, der ursprünglich aus Syrien stammt. Im Jahr 2012 floh er aus Syrien in den Libanon, wo er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern jahrelang im Flüchtlingslager Shatila lebte. Seine Familie befindet sich nach wie vor in dem Lager, während Mohamed Ajlani Younes vor Kurzem den Libanon verließ. Seit dem 26. Mai 2019 sitzt er am Flughafen von Istanbul fest. Man verweigerte ihm die Einreise in die Türkei, weil er mit einem gefälschten Pass unterwegs gewesen sein soll. Am 28. Mai beantragte er in der Türkei Asyl und machte deutlich, dass er sich vor einer Rückführung in den Libanon fürchte.
Artikel 31 der Genfer Flüchtlingskonvention schreibt fest, dass keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängt werden dürfen, die ohne Erlaubnis in das Aufnahmeland eingereist sind. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Laut dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) sollten Asylsuchende nicht automatisch inhaftiert werden, nur weil sie nicht die benötigten Ausweisdokumente vorweisen können. Mohamed Ajlani Younes wird jedoch seit dem 26. Mai in der Transitzone des Istanbuler Flughafens festgehalten, bisweilen mit bis zu 50 weiteren Personen. Dort gibt es weder angemessene Schlafstätten noch Zugang zu Frischluft oder Tageslicht – stattdessen verbringen die Inhaftierten Tag und Nacht unter künstlicher Beleuchtung. Auch die medizinische Versorgung ist unzulänglich. Seit seiner Inhaftierung hat Mohamed Ajlani Younes nur Käsebrote und Wasser bzw. Saft zu sich genommen, was zu Magenproblemen geführt hat. Am 11. Juni versuchten die türkischen Behörden erstmals, ihn abzuschieben. Er widersetzte sich und verbrachte eigenen Angaben zufolge etwa vier Stunden in Handschellen.
Mohamed Ajlani Younes hat bisher noch keine Asylanhörung erhalten und es wurde noch nicht über seinen Asylantrag entschieden. Der zweite Abschiebungsversuch fand am 21. Juni statt. Die türkischen Behörden setzten ihn ohne einen offiziellen Abschiebungsbefehl in ein Flugzeug in Richtung Libanon, obwohl sein Asylverfahren noch lief. Er verbrachte die Nacht in einem libanesischen Flughafen, doch die Behörden verweigerten ihm aufgrund fehlender Papiere die Einreise. Am 25. Juni beantragte der Rechtsbeistand von Mohamed Ajlani Younes vorläufige Maßnahmen beim türkischen Verfassungsgericht, um weitere Abschiebungsversuche zu verhindern. Über diesen Antrag wurde bisher nicht entschieden.
Solange der Asylantrag von Mohamed Ajlani Younes nicht bearbeitet und sein Schutzbedarf nicht angemessen ermittelt wird, ist er nach wie vor in Gefahr, jederzeit in den Libanon abgeschoben zu werden. Dort drohen ihm schlechte Lebensbedingungen und die Abschiebung nach Syrien (chain refoulement), wo er wiederum schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sein kann. Der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (non-refoulement) ist in dem türkischen Asylgesetz (Law on Foreigners and International Protection) verankert und in internationalen Menschenrechtsinstrumenten festgeschrieben, deren Vertragsstaat die Türkei ist: darunter das Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen (Genfer Flüchtlingskonvention) und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention).
Amnesty International wandte sich am 29. Juni schriftlich an die Migrationsabteilung des türkischen Innenministeriums (Directorate General for Migration Management), um sich nach der Rechtslage im Fall von Mohamed Ajlani Younes zu erkundigen und Befürchtungen bezüglich einer möglichen Abschiebung in den Libanon zu äußern. Die Organisation hat bisher noch keine Antwort.
Hintergrund. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) verzeichnet für 2019 im Libanon 938.531 syrische Flüchtlinge und 31.000 palästinensische Flüchtlinge. Im März 2019 verkündete die dem libanesischen Innenministerium nachgeordnete Sicherheitsbehörde (General Security), dass seit Dezember 2017 172.046 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt seien, da man verwaltungsrechtliche Hürden abgebaut und die Rückkehr vereinfacht und organisiert habe.
Zivilpersonen, die nach Syrien zurückkehren, müssen sich einer „Sicherheitsüberprüfung“ unterziehen. Hierzu werden sie von syrischen Sicherheitskräften verhört, die für weitreichende und systematische Menschenrechtsverstöße verantwortlich sind. Sie stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar, wie z. B. Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen. Amnesty International hat erst kürzlich über die zunehmend schlechten Bedingungen sowie die Anfeindungen berichtet, denen Flüchtlinge aus Syrien im Libanon ausgesetzt sind. Die Organisation ist der Ansicht, dass geflüchtete Menschen sich durch das feindliche Umfeld, das von libanesischen Behörden geschaffen wird, dazu gezwungen sehen, nach Syrien zurückzukehren. Dies verstößt gegen die völkerrechtliche Pflicht des Libanon, niemanden in ein Land abzuschieben, in dem ihm oder ihr schwere Menschenrechtsverletzungen drohen (Non-Non-Refoulement-Prinzip).
Amnesty hat auch dokumentiert, dass sich palästinensische Flüchtlinge aus Syrien im Libanon in einer besonders prekären Situation befinden – so auch im Fall von Mohamed Ajlani Younes. Da im Zuge des Syrien-Konflikts immer mehr Menschen in den Libanon flohen, standen für diese spezielle Gruppe immer weniger Infrastruktur und Dienstleistungen zur Verfügung. Im Dezember 2016 lebten fast 90% der 32.000 palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien, die beim UNRWA im Libanon registriert waren, unter der Armutsgrenze, und 95% von ihnen waren von Ernährungsunsicherheit betroffen. Palästinensische Flüchtlinge werden im Libanon zudem in vielerlei Hinsicht gesetzlich diskriminiert.
Urgent Action bis 19. August 2019