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Tschetschenin droht die Abschiebung nach Russland

2. Mai 2022

Am 4. Mai wird das Oberste Gericht in Rumänien eine endgültige Entscheidung über die Auslieferung der Tschetschenin Amina Gerikhanova an Russland treffen. Im Jahr 2016 verließ sie Tschetschenien mit ihrem kleinen Sohn in Richtung Ukraine, um vor politischer Verfolgung zu fliehen. Sie lebten bis Anfang März 2022 in der Ukraine. Dann mussten sie vor dem Einmarsch russischer Truppen fliehen. Amina Gerikhanova wurde aufgrund eines russischen Auslieferungsersuchens an der rumänischen Grenze festgenommen und von ihrem jetzt achtjährigen Sohn getrennt. Am 18. April genehmigte das Berufungsgericht von Suceava die Auslieferung von Amina Gerikhanova an Russland. Ihre Rechtsmittel gegen diese Entscheidung sind noch anhängig. Im Falle einer Auslieferung besteht für Amina Gerikhanova die Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Die rumänischen Behörden müssen das Auslieferungsersuchen ablehnen und Amina Gerikhanova internationalen Schutz gewähren.

Setz Dich ein!

Amina Gerikhanova ist eine Tschetschenin, die seit 2016 in der Ukraine lebt. Sie floh mit ihrem kleinen Sohn dorthin, nachdem sie in Tschetschenien politisch verfolgt wurde. Am 13. März überquerte Amina Gerikhanova zusammen mit Millionen anderer Flüchtender die rumänische Grenze, um vor der Gewalt infolge der russischen Invasion zu fliehen. Amina Gerikhanova wurde aufgrund eines russischen Auslieferungsersuchens an der rumänischen Grenze festgenommen und von ihrem acht Jahre alten Sohn getrennt. Er kam vorübergehend in ein Waisenhaus. Am 18. April genehmigte das Berufungsgericht von Suceava ihre Auslieferung an Russland, vorbehaltlich der noch ausstehenden endgültigen Entscheidung des Obersten Kassations- und Justizgerichtshofs. Anstatt Sicherheit und Schutz zu finden, wird Amina Gerikhanova seit über einem Monat im Gefängnis von Suceava festgehalten und ist seither von ihrem Kind getrennt, das sie allein großzieht.

Die russischen Behörden beschuldigen Amina Gerikhanova, an militärischen Operationen in Syrien teilgenommen zu haben; diese Vorwürfe scheinen jedoch unbegründet zu sein. In der Zeit, in der sie sich angeblich in Syrien aufhielt, lebte sie seit mehr als fünf Jahren friedlich in der Ukraine. In dieser Zeit wurde keine Anklage gegen sie erhoben.

Schon vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine erhielt Amnesty International regelmäßig Berichte über Fälle von Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen in Tschetschenien und hat in den letzten Jahren eine Reihe solcher Straftaten dokumentiert.

Hintergrund

Amina Gerikhanova wuchs ohne ihre Mutter auf, die im Jahr 2000 bei dem Massaker von Novye Aldi von russischen Soldaten erschossen wurde. Sie zieht ihren Sohn allein auf. Die russischen Behörden beschuldigen sie, von 2016 bis 2018 als Mitglied der bewaffneten Gruppe IS an Militäroperationen in Syrien teilgenommen zu haben, obwohl sie in dieser Zeit in der Ukraine lebte und das ukrainische Staatsgebiet nicht verlassen hat. Nach ihrer Ankunft in der Ukraine erhielt die ukrainische Staatsanwaltschaft ein Auslieferungsersuchen aus Russland, prüfte es und lehnte die Auslieferung von Amina Gerikhanova ab. Am 13. März überquerte Amina Gerikhanova zusammen mit Millionen anderer Flüchtender die rumänische Grenze, um vor der russischen Invasion zu fliehen. Ihr Sohn wurde vorübergehend in ein Waisenhaus gebracht und später von einem Großonkel, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, dort abgeholt. Am 5. April richtete die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation ein offizielles Auslieferungsersuchen an Rumänien. Am 18. April genehmigte ein rumänisches Gericht die Auslieferung von Amina Gerikhanova an Russland.

In ähnlichen Fällen sind tschetschenische Geflüchtete, die nach Russland zurückgeführt wurden, dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen. Dies unterstreicht das bestehende Risiko von Folter und anderen Misshandlungen. Seit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine und dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat ist Russland nicht mehr an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden, und ethnische Tschetschen*innen, die nach Russland abgeschoben werden, sind einem noch größeren Risiko ausgesetzt. Nach der russischen Invasion in der Ukraine hat sich die Menschenrechtslage in Russland drastisch verschlechtert, und es gibt noch weniger Garantien dafür, dass die Rechte von Personen, die ausgeliefert oder abgeschoben werden, geachtet werden.

Amnesty International dokumentiert immer wieder Fälle, in denen ethnische Tschetschen*innen oder andere aus dem Nordkaukasus geflüchtete Personen in die Russische Föderation abgeschoben werden oder abgeschoben werden sollen. Zu diesen Fällen gehören auch Rückführungen aus Mitgliedstaaten des Europarats, darunter Frankreich, Ungarn und Polen. Für ehemalige Asylbewerber*innen aus Tschetschenien besteht nicht die Möglichkeit zur Flucht in einen anderen Teil der Russischen Föderation. Diese Binnenalternative zum internationalen Schutz besteht nicht, da das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung oder großen Schadens in anderer Form für die Personengruppe von den Behörden der russischen Föderation ausgeht und damit in Tschetschenien und überall auf russischem Staatsgebiet besteht.

Sollte Amina Gerikhanova in ein Land abgeschoben werden, in dem ihre Sicherheit bzw. ihr Leben in Gefahr wären, wäre das ein klarer Verstoß gegen die Verpflichtungen Rumäniens unter internationalen Menschenrechtsnormen und -standards, die ein absolutes Folter- und Misshandlungsverbot festschreiben. Hierzu zählt die Bestimmung, ungeachtet der mutmaßlichen Straftat niemanden an einen Ort zu schicken, an dem die Gefahr von Folter oder anderer Misshandlung besteht (Non-Refoulement-Prinzip). Dieser Grundsatz der Nicht-Zurückweisung ist auf alle Personen anwendbar, auch auf Menschen ohne Flüchtlingsschutz und auf mutmaßliche Straftäter*innen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat kategorisch entschieden, dass es fehlgeleitet und rechtswidrig ist, die Gefahr, der eine Person bei ihrer Rückführung in ein anderes Land ausgesetzt ist, gegen die Gefahr, die diese Person im Falle einer Nicht-Rückführung darstellt, aufzuwiegen.

Bitte bis 26. Juni 2022 unterschreiben