Tadschikistan: Nach Abschiebung verschwunden
12. April 2023Update: Berichten zufolge soll ein Gericht in Duschanbe Abdullohi Shamsiddin am 29. März 2023 wegen "öffentlicher Aufrufe zur gewaltsamen Störung der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik Tadschikistan" schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Haft verurteilt haben. Sein genauer Aufenthaltsort ist weiter unbekannt und er bleibt in Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden.
Am 18. Januar 2023 wurde Abdullohi Shamsiddin von Deutschland nach Tadschikistan abgeschoben. Seine Familie versuchte vergeblich ihn vom Flughafen abzuholen und hat ihn bis heute nicht gesehen. Seine Angehörigen und Radio Ozodi zufolge sagte er seiner Frau am 6. März in einem Telefonat, dass er vom tadschikischen Komitee für Staatssicherheit festgehalten wird. Seine Verfolgung beruht auf seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft in der in Tadschikistan willkürlich verbotenen Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) und der Tatsache, dass er der Sohn eines führenden Parteimitglieds ist. Er ist in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden und keine medizinische Versorgung für sein, laut Familie, schweres Asthma zu erhalten.
Setz dich für Abdullohi Shamsiddin ein!
Der tadschikische Staatsangehörige Abdullohi Shamsiddin sollte nach seiner Abschiebung aus Deutschland am 19. Januar 2023 in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe ankommen. Er hatte zuvor Asyl in Deutschland beantragt. Er wurde jedoch nicht dabei gesehen, wie er den internationalen Flughafen von Duschanbe verlassen hat. Es liegen Berichte vor, die nahelegen, dass er bei seiner Ankunft noch auf der Landebahn von Angehörigen des tadschikischen Komitees für Staatssicherheit (GKNB) festgenommen wurde.
Obwohl keine offizielle Bestätigung für die Inhaftierung von Abdullohi Shamsiddin vorliegt, besteht kaum Zweifel daran, dass er sich in Tadschikistan befindet. Er wurde mit großer Wahrscheinlichkeit, wie bereits andere in den vergangenen Jahren nach Tadschikistan abgeschobene Personen, bei der Ankunft von Sicherheitskräften festgenommen und wird seitdem in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Amnesty International geht davon aus, dass Abdullohi Shamsiddin wegen seiner Verbindung zu einem führenden Mitglied der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans verfolgt wird, die im Jahr 2015 willkürlich von den tadschikischen Behörden verboten wurde.
Geheime Haft ohne Kontakt zur Außenwelt stellt eine Menschenrechtsverletzung dar und muss umgehend beendet werden. Diese Form der Inhaftierung birgt für die Gefangenen außerdem ein zusätzliches Risiko von Folter und anderen Formen der Misshandlung.
Hintergrund
Abdullohi Shamsiddin ist der Sohn von Shamsiddin Saidov (in einigen tadschikischen Namenskonventionen nimmt der Sohn den Vornamen des Vaters als Nachnamen an), einem führenden Mitglied der Islamischen Partei der Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT). Shamsiddin Saidov lebt seit 2014 in Deutschland und wurde 2017 als Flüchtling anerkannt. Abdullohi Shamsiddin gibt an, selbst ein Aktivist der IRPT gewesen zu sein und eng mit dem Vorsitzenden der Partei, Muhiddin Kabiri, befreundet zu sein. Die IRPT war jahrelang die wichtigste Oppositionspartei Tadschikistans und im tadschikischen Parlament vertreten, bis sie 2015 willkürlich verboten und zu einer "terroristischen" Organisation erklärt wurde. Auf das Verbot hin nahmen die Behörden zahlreiche führende Mitglieder der Partei fest und inhaftierten sie nach unfairen Gerichtsverfahren. Personen, die mit der Partei und ihrem Vorsitz in Verbindung stehen, werden von den tadschikischen Behörden sowohl in Tadschikistan als auch im Ausland verfolgt, festgenommen und ausgeliefert. Auch die Rechtsbeistände der Partei sind zum Ziel drastischer Vergeltungsmaßnahmen geworden, darunter langjährige Haftstrafen nach konstruierten Anklagen.
Deutschland hat Abdullohi Shamsiddin internationalen Schutz verweigert. Aus Angst vor den Vergeltungsmaßnahmen der tadschikischen Behörden, die die Mitglieder der IRPT auch im Ausland verfolgen, hatte Abdullohi Shamsiddin 2009 bei seinem ersten Antrag auf Asyl in Deutschland seine wahre Identität und die Beziehung zu seinem Vater, Shamsiddin Saidov, verschwiegen. Dieser Antrag wurde im Jahr 2011 abgelehnt. Ein Folgeantrag wurde 2017 eingereicht und 2021 vor Gericht abgelehnt.
Am 12. Dezember 2022 war bereits ein Versuch, ihn über den Münchner Flughafen abzuschieben, gescheitert, weil Abdullohi Shamsiddin in Panik geriet und sich absichtlich selbst verletzt hatte, um die Abschiebung zu verhindern. Nach dem Vorfall kam er in Abschiebehaft.
Am 29. Dezember 2022 sagte Abdullohi Shamsiddin in einem Zeitungsartikel: "In Tadschikistan werde ich festgenommen, sobald ich das Flugzeug verlasse — und danach für 20 Jahre im Gefängnis verschwinden." Internationale Organisationen, darunter das norwegische Helsinki-Komitee, Human Rights Watch und das deutsche Abschiebungsreporting NRW, hatten bereits davor gewarnt, dass Abdullohi Shamsiddin im Falle einer Abschiebung nach Tadschikistan Haft und Folter drohen. Trotzdem lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 21. Dezember 2022 einen weiteren Asylfolgeantrag innerhalb kurzer Zeit ab.
Am 6. Januar 2023 entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit folgender Begründung gegen die Aussetzung der Abschiebung: "Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass er im Falle einer Rückführung in sein Herkunftsland aufgrund seiner besonderen individuellen Situation einer Ausnahmesituation im Sinne des dritten Artikels der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen] ausgesetzt wäre." Am 19. Januar 2023 weigerte sich dasselbe Gericht, die laufende Abschiebung (im Transit) zu stoppen und erkannte die Glaubwürdigkeit neu vorgelegter Beweise nicht an. Darunter befand sich ein privat durchgeführter Vaterschaftstest, der die Verwandtschaft zwischen Shamsiddin Saidov und Abdullohi Shamsiddin nachweist, und die Aussage eines tadschikischen Geflüchteten, der gestanden hatte, 2019 in Tadschikistan, als er selbst gefoltert worden war, Abdullohi Shamsiddin identifiziert und seinen Aufenthaltsort preisgegeben zu haben.
Abdullohi Shamsiddin wurde von Düsseldorf über die Türkei abgeschoben. Nach Angaben des norwegischen Helsinki-Komitees haben die Familienangehörigen, die am 19. Januar 2023 auf Abdullohi Shamsiddins Ankunft in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe warteten, nicht gesehen, wie er den Flughafen verließ. Personen, die Abdullohi Shamsiddin nahe stehen, berichteten im Vertrauen, dass er wahrscheinlich unmittelbar nach der Landung von den tadschikischen Behörden nahe der Landebahn festgenommen wurde.
Die tadschikischen Sicherheitsbehörden nehmen regelmäßig Dissident*innen und Oppositionelle sowie deren Familienangehörige und Vertraute ins Visier. Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen während der Verhöre durch verschiedene Sicherheitsbehörden, insbesondere durch das Komitee für Staatssicherheit und die so genannte Sechste Abteilung des Innenministeriums, sind in Tadschikistan üblich, um "Geständnisse" zu erzwingen, an Informationen zu gelangen und bestimmte Personen zu belasten. Zu den mutmaßlich von den tadschikischen Sicherheitsbehörden genutzten Foltermethoden gehören das Stechen von Nadeln in die Nägel, Elektroschocks, Schläge, sexualisierte Gewalt, Schlafentzug, das Erzeugen von Erstickungsgefühlen mit Plastiktüten und die Injektion von Drogen. Kurz vor der Abschiebung von Abdullohi Shamsiddin starb am 2. Januar 2023 der inhaftierte Abdukakhkhor Rozikov in Polizeigewahrsam in der Stadt Kulob. Sein mysteriöser Tod wird weithin auf Folter zurückgeführt. Obwohl vonseiten der Behörden behauptet wird, er sei an einer Überdosis Drogen gestorben, werden die Foltervorwürfe von Fotos und Videos seiner Leiche untermauert. Der Fall erregte unter Tadschik*innen überall im Land und im Exil große Aufmerksamkeit und führte zu Protestaktionen im Internet und offline.
Bitte unterschreibe bis 6. Juni 2023