Peru: Aufenthaltsrecht Geflüchteter in Gefahr
10. November 2023Seit dem 10. November können venezolanische Staatsangehörige in Peru keine vorläufige Aufenthaltserlaubnis mehr beantragen. Dies ist für die Geflüchteten jedoch wichtig, um einen regulären Migrationsstatus vorweisen und somit ihre Grundrechte einfordern zu können. Auch müssen sie so keine Abschiebung nach Venezuela befürchten. Insbesondere für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt würde ein fehlender Migrationsstatus neue Gefahren mit sich bringen. Das peruanische Vorgehen steht im Widerspruch zu völkerrechtlichen Schutzverpflichtungen. Programme für vorübergehenden Schutz sollten für alle venezolanischen Flüchtlinge uneingeschränkt zugänglich sein.
Ab dem 10. November 2023 soll es venezolanischen Flüchtlingen nicht mehr möglich sein, eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis (Carnet de Permiso Temporal de Permanencia – CPP bzw. PTP) zu beantragen. Dies verstößt gegen die Verpflichtung des peruanischen Staates, die Flüchtlinge im Land zu schützen.
Die peruanischen Behörden stehen vor der Herausforderung, eine noch nie dagewesene Zahl an Schutzsuchenden aufnehmen zu müssen. Trotzdem müssen sie ihren Verpflichtungen gemäß der internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsnormen nachkommen und diejenigen schützen, die vor Menschenrechtsverletzungen in Venezuela fliehen. Peru muss allen Venezolaner*innen die Möglichkeit einräumen, einen Antrag auf Anerkennung als Flüchtling stellen zu können. Dies bedeutet auch, einen wirksamen und fristgerechten Zugang zu den entsprechenden Verfahren zu gewähren. So sehen es sowohl die nationalen Gesetze als auch die Erklärung von Cartagena von 1984 vor.
Das peruanische Asylsystem entspricht diesen Anforderungen in seiner aktuellen Form nicht. Jegliche zusätzlichen bzw. vorübergehenden Schutzmaßnahmen wie die von Peru eingeführte vorläufige Aufenthaltserlaubnis CPP/PTP muss allen Venezolaner*innen gleichermaßen zugänglich sein. Kosten, Einreisedatum oder -art, Migrationsstatus, Papiere oder formale Anforderungen, die die derzeitige Lage in Venezuela außer Acht lassen, dürfen keine Ausschlusskriterien sein. Die Schutzmaßnahmen müssen Grundrechte wie z. B. die Rechte auf Arbeit, Gesundheit und Bildung gewährleisten.
Hintergrund
Bis August 2023 waren mehr als 25 % der venezolanischen Bevölkerung (mehr als 7,71 Mio. Venezolaner*innen) wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen. Diese Zahl steigt weiter an: Seit Mai 2022 sind 1,4 Mio. Menschen dazugekommen. Mehr als 80 % der Geflüchteten befinden sich in Lateinamerika und der Karibikregion. Insgesamt 70 % der aus Venezuela geflüchteten Menschen halten sich in Kolumbien (2,9 Mio. Menschen), Peru (1,5 Mio.), Ecuador (475.000) und Chile (444.000) auf. Außerhalb Lateinamerikas und der Karibik ist die USA mit 545.000 venezolanischen Staatsangehörigen eines der Länder, in das die meisten Venezolaner*innen fliehen. Diese Zahl ist jedoch von September 2021 und gilt als veraltet, da Venezolaner*innen nach wie vor eine der größten Gruppe von Geflüchteten ausmachen, die aus Lateinamerika über die US-amerikanische Grenze kommen.
Amnesty International ist der Ansicht, dass venezolanische Staatsangehörige, die aus dem Land geflüchtet sind, internationalen Schutz benötigen. Sie sollten offiziell als Flüchtlinge anerkannt werden, da aufgrund der schweren Menschenrechtsverletzungen in Venezuela ihr Leben, ihre Sicherheit und ihre Freiheit in Gefahr sind. Daher dürfen sie nicht nach Venezuela oder an Orte zurückgeschickt werden, an denen ihr Leben oder ihre Menschenrechte bedroht sind. Immer mehr Länder, darunter auch die USA, haben jedoch unter Verstoß gegen die internationalen Menschenrechts- und Flüchtlingsnormen ihre Abschiebeflüge nach Venezuela wieder aufgenommen.
Die Menschenrechtskrise wirkt sich unverhältnismäßig stark auf Frauen und Mädchen aus. Der 2022 veröffentlichte Amnesty-Bericht Unprotected: Gender-based violence against Venezuelan refugee women in Colombia and Peru zeigt auf, dass Peru, Ecuador und Kolumbien nur unangemessenen Zugang zu internationalem Schutz und einem geregelten Migrationsstatus bereitstellen und es dort an Zugang zu Gesundheits- und Justizdiensten sowie Unterkünften mangelt. Damit kommen diese Länder ihrer Verpflichtung nicht nach, venezolanische Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen.
Der im September 2023 veröffentlichte Amnesty-Bericht Regularization and protection: International obligations for the protection of Venezuelan nationals kommt zu dem Schluss, dass Kolumbien, Ecuador, Peru und Chile venezolanischen Staatsangehörigen nicht in ausreichendem Maße internationalen Schutz bzw. komplementären Schutz zur Verfügung stellen. Die Zahl der als Flüchtlinge anerkannten Venezolaner*innen ist in allen vier Ländern extrem niedrig und sie haben Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung grundlegender Menschenrechte, was sie erhöhten Risiken aussetzt.
Angesichts unangemessener Asylsysteme haben einige Länder wie z. B. Peru alternative Maßnahmen zur Regelung des Migrationsstatus eingeführt. Diese Maßnahmen entsprechen jedoch nicht den internationalen Standards für komplementären Schutz und sind kein Ersatz für ein wirksames Asylverfahren. Der Zugang zu diesen Maßnahmen wird häufig eingeschränkt, sei es durch finanzielle oder zeitliche Beschränkungen, was die Einreise in das Land oder den Zeitpunkt der Antragstellung angeht. Zudem bieten sie weder wirksamen Schutz vor Zurückweisung (Refoulement) noch Zugang zu anderen wichtigen Grundrechten.
Die peruanischen Behörden haben wiederholt Maßnahmen ergriffen, die venezolanische Flüchtlinge in Gefahr bringen. Im Jahr 2020 startete Amnesty International eine Urgent Action, da venezolanische Staatsangehörige und andere Personen während der Coronapandemie von Zwangsräumungen bedroht waren, und das zu einer Zeit, als viele venezolanische Flüchtlinge sich ohnehin bereits in einer schwierigen Situation befanden. Im November 2021 gab Amnesty International eine weitere Urgent Action heraus, in der die peruanischen Behörden aufgefordert wurden, venezolanischen Minderjährigen in Peru den Einwanderungsstatus aus humanitären Gründen (Calidad Migratoria Humanitaria) zu gewähren, nachdem ihnen dieser zu Unrecht verweigert worden war. Beide Eilaktionen waren erfolgreich. Im Jahr 2023 wandte sich Amnesty International in einem Offenen Brief an die Präsidenten von Peru und Chile, um tiefe Besorgnis über die Situation von Menschen zum Ausdruck zu bringen, die an der chilenisch-peruanischen Grenze Schutz gesucht hatten. Beide Regierungen hatten Maßnahmen verabschiedet, die Amnesty kritisierte, so z. B. den Einsatz von Militärkräften an der Grenze und das Ausrufen des Ausnahmezustands.
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