© JC/Amnesty International
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Militär behindert die Grundversorgung der Bevölkerung

3. Jänner 2022

Zehntausende vertriebene Menschen kämpfen in Myanmar ums Leben. Neueste Recherchen von Amnesty International zeigen, dass das Militär den Zugang zu Lebensmitteln und Medikamenten in zahlreichen Gebieten erschwert. Zudem kommt es wiederholt zu Angriffen auf lokale Hilfskräfte und humanitäres Personal, die Hilfsgüter bereitstellen und die medizinische Notversorgung sicherstellen sollten.

Das Militär in Myanmar verübt seit seiner Machtübernahme am 1. Februar 2021 wahllose Angriffe auf die Zivilbevölkerung und behindert den Zugang zu lebensnotwendigen Gütern.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten wendet das Militär in den Grenzregionen des Landes eine sogenannte Strategie der "vier Schnitte" an, bei der die Ressourcen bewaffneter ethnischer Organisationen, die für ihre Unabhängigkeit kämpfen, durch großflächige Angriffe gegen die Zivilbevölkerung abgeschnitten werden. Nun hat das Militär diese Strategie auf Regionen ausgedehnt, in denen sich verschiedene Gruppen und die ehemalige Regierung mittels der sogenannten neuen Volksverteidigungskräfte formiert haben. Das Militär geht weiterhin gewaltsam gegen jede Form des Widerstands vor.

Dabei fliegt das Militär nicht nur wahllose Luftangriffe und brennt Hunderte von Häusern nieder, sondern schneidet auch die Zivilbevölkerung verschiedener ethnischer Zugehörigkeiten in mehreren Gebieten von lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen ab.

Die Vereinten Nationen haben dokumentiert, dass 284.700 Menschen aufgrund bewaffneter Auseinandersetzungen seit dem Militärputsch innerhalb des Landes vertrieben wurden, und dass nun mindestens zwei Millionen weitere Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

"Seit der Machtergreifung des Militärs befindet sich die Bevölkerung Myanmars in einer extremen Notlage. Hunderttausende waren gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Viele hungern und müssen versuchen inmitten der Pandemie ohne medizinische Versorgung zu überleben", sagte Emerlynne Gil, stellvertretende Direktorin für Research in der Region bei Amnesty International.

Wenn das Militär weiterhin so brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, werden noch mehr Menschen sterben. Das Militär muss den Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen in den betroffenen Regionen uneingeschränkten Zugang gewähren.

Emerlynne Gil, stellvertretende Direktorin für Research in der Region bei Amnesty International

Flucht in den Wald

Katherine (Name geändert) war gerade im vierten Monat schwanger, als im Mai im gesamten Bundesstaat Kayah Kämpfe zwischen dem Militär einerseits und gemeinsam operierenden zivilen Widerstandsgruppen und bewaffneten ethnischer Organisationen andererseits ausbrachen. Als die Kämpfe ihr Dorf in dem Township Demoso erreichten, floh sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in den Wald. Die Familie wechselte mehrmals den Aufenthaltsort, um sich in Sicherheit zu bringen, und hatte während der Regenzeit nur eine Plane zur Verfügung, um im Trocknen zu schlafen. Nach Angaben ihres Mannes erhielten sie zwar einige Lebensmittel von humanitären Organisationen und anderen Dorfbewohner_innen, aber das reichte nicht aus. Etwa im siebten Monat ihrer Schwangerschaft hatte Katherine mehrere Beschwerden, unter anderem musste sie erbrechen und litt unter Schwindelanfällen, Müdigkeit und Kurzatmigkeit. Im achten Monat schwollen ihre Gliedmaßen an und sie konnte nicht mehr gehen. Als im Oktober bei ihr die Wehen einsetzten war zwar eine Hebamme anwesend, dennoch überlebten weder Katherine noch ihr Baby.

Unterbrochene Versorgung

Sechs Mitarbeitende lokaler Hilfsorganisationen beschrieben, wie das Militär ihre Arbeit sehr erschwerte, indem es unter anderem Helfer_innen festnahm und Nahrungsmittel, Medikamente und Hilfsgüter beschlagnahmte, zerstörte oder deren Transport behinderte.

Im Township Moebye im südlichen Bundesstaat Shan, wo Ende Mai Kämpfe ausbrachen, versuchte ein humanitäres Hilfsteam aus einheimischen Jugendlichen am Morgen des 8. Juni Hilfsgüter an Vertriebene zu schicken, die sich in den Bergen versteckt hielten, erzählte ein Mitglied des Teams. Er habe in einer Schule, die als Lager diente, mit anderen aus dem Team einen Lieferwagen mit Reissäcken beladen. Als der Lieferwagen losfuhr, eröffneten Soldat*innen das Feuer auf ihn. "Wir mussten sofort fliehen und konnten die Vorräte nicht retten", sagte der Jugendliche. In der Nacht beobachtete er aus der Ferne, wie Soldat*innen das Lager ausräumten und den Inhalt verbrannten. Sie zerstörten mehr als 80 Säcke Reis sowie andere Lebensmittel, medizinisches Zubehör, Fässer mit Benzin und sogar einen Krankenwagen und ein weiteres Fahrzeug.

© Sicherheitskräfte verbrennen Lebensmittel für Vertriebene / Amnesty International
© Sicherheitskräfte verbrennen Lebensmittel für Vertriebene / Amnesty International

Allgegenwärtige Angst

Die Mitarbeiterin einer zivilgesellschaftlichen Organisation erzählte, dass das Militär im Township Kalay in der Sagaing-Region "alle Hauptstraßen blockiert" habe und Fahrzeuge kontrolliere. "Sie verbieten alles, was den Binnenvertriebenen helfen könnte, und nehmen Menschen fest. Es gibt Zeiten, in denen wir uns nicht trauen zu helfen und einfach abwarten", sagte sie. Ihre Organisation verzichtet ganz auf die Lieferung von Medikamenten, weil sie gehört haben, dass das Militär am Ortseingang alle Medikamente beschlagnahmt.

Das Militär hat seit September in 24 Townships im zentralen und nordwestlichen Myanmar, einschließlich Yinmarbin, das Internet abgeschaltet. Ein ehrenamtlicher Arzt sagte, dass er und seine Kolleg*innen nur mit Verzögerung Informationen über die Lage vor Ort erhielten, was ihre Arbeit stark behindere, insbesondere in Gebieten, in denen das Militär zeitweise das Telefonnetz blockiert habe.

Auch er und seine Teamkolleg*innen sind einem Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Er erzählte Amnesty International, dass im Juli eine provisorische medizinische Einrichtung unter Beschuss des Militärs geriet, woraufhin die Ehrenamtlichen und die Patientinnen fliehen mussten. Mindestens drei Ehrenamtliche aus seinem Team seien festgenommen worden.

"Wenn das Militär weiterhin so brutal gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, werden noch mehr Menschen sterben. Das Militär muss den Mitarbeitenden von Hilfsorganisationen in den betroffenen Regionen uneingeschränkten Zugang gewähren", so Emerlynne Gil.