Kampagne für Fluchtwaisen: Kind ist Kind
10. April 2022Mehr als 40 Organisationen aus ganz Österreich - unter ihnen Amnesty Österreich - haben sich Ende März zusammengetan, um eine Gleichstellung von Fluchtwaisen mit anderen Kindern, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen, zu erreichen.
Egal, woher sie kommen. Egal, welche Sprache sie sprechen: Kindern hilft man. Das ist unsere Pflicht als Erwachsene.
Kinder stehen unter einem besonderen Schutz. Gerade jetzt, wo tausende Kinder aus der Ukraine flüchten müssen, ist eine kindgerechte Aufnahme (inkl. Regelung der Obsorge), Betreuung und Bildung für diese Fluchtwaisen essenziell.
Um Fluchtwaisen entsprechend ihrer individuellen Bedürfnisse zu betreuen, sollen sie nicht mehr als Flüchtlinge im Rahmen der Grundversorgung sondern entsprechend den Standards der Kinder- und Jugendhilfe als Kinder behandelt und unterstützt werden.
Das bedeutet gleiche Mittel für die Betreuung und Ausbildung aller Kinder.
Eine weitere Forderung der Kampagne ist die überfällige Umsetzung der im aktuellen Regierungsprogramm festgeschriebenen Obsorge ab dem ersten Tag.
Um auch Fluchtwaisen eine Ausbildung zu ermöglichen, die sie befähigt ihre Potentiale umzusetzen und als Erwachsene ihren Beitrag als Steuerzahler*innen zu leisten, muss die Ausbildungsgarantie auch auf geflüchtete Kinder und Jugendliche ausgeweitet werden.
tausende sind "verschwunden"
4.489 (!) Fluchtwaisen sind 2021 verschwunden – das sind 78% der Minderjährigen, die einen Asylantrag in Österreich stellten, wie eine kürzlich erschienene parlamentarische Anfragebeantwortung, eingebracht von NEOS Abgeordneter Stephanie Krisper, erbracht hat.
Im Zeitraum von Jänner bis Dezember 2021 stellten 5.768 Fluchtwaisen einen Asylantrag in Österreich. Nur 607 Kinderflüchtlinge wurden zur Betreuung in die für Fluchtwaisen spezialisierten Einrichtungen (wie Diakonie, tralalobe, SOS Menschenrechte, Integrationshaus, Kinderfreunde, etc.) in ganz Österreich verteilt. 200 Schutzsuchende wurden für volljährig erklärt, acht im Rahmen des Dublin-Systems in ein anderes EU Land gebracht und 698 befanden sich zu Jahresende 2021 noch in Bundesbetreuung.
„Es sind somit knapp 4.500 Fluchtwaisen, deren Aufenthaltsort nicht bekannt ist. Stellen Sie sich vor, dass in einem Jahr an die 180 Schulklassen einfach spurlos verschwinden“, zeigt sich Lisa Wolfsegger, Kinderflüchtlings-Expertin der asylkoordination österreich und Koordinatorin der Kampagne KIND ist KIND, bestürzt. „Wo sind all diese Kinder hin?“ Die Lage sei ernst, da Kinderhandel auch in Österreich nicht ausgeschlossen werden könne, warnt die Expertin. „Daher braucht es in dieser besonders wichtigen ersten Zeit unmittelbar verantwortliche Bezugspersonen.“
Problem - Fehlende Obsorge
Die Fluchtwaisen haben in der ersten Phase des Asylverfahrens, das oft mehrere Monate dauern kann, keine Obsorgeberechtigten. Das heißt: Niemand ist für diese Kinder verantwortlich, niemand darf Bestätigungen für die Schule oder im Krankenhaus unterschreiben – und niemand ist da also Ansprechperson für die vielen Probleme im Alltag von Fluchtwaisen. Den Kindern fehlen wichtige Information über ihre Rechte und Möglichkeiten, daher steigt der Frustrationsgrad – bis hin zum mehr oder weniger freiwilligen Abtauchen bzw. Verschwinden. Manche machen sich ganz alleine auf den Weg, andere geraten in die Hände von Kriminellen. „Wäre jemand für die Kinder verantwortlich, könnten hier die Risiken minimiert werden“, ist Lisa Wolfsegger überzeugt.
Österreich aber ist europäisches Schlusslicht bei der Bestellung von Obsorgeberechtigten. In keinem anderen EU-Land dauert es so lange wie hier.
Die Kampagne KIND ist KIND, die von über 40 NGOs getragen wird, fordert eine sofortige Verbesserung von Schutz und Rechtsstellung von geflüchteten Kindern – sprich die Obsorge ab Tag eins der Antragsstellung. Lisa Wolfsegger: „Fluchtwaisen müssen vom ersten Tag an in die volle Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe kommen – inklusive Rechtsvertretung.“
Eine lückenlose Aufklärung des Verbleibs der abgängigen Fluchtwaisen sei unbedingt erforderlich, betont Lisa Wolfsegger. „Es muss geklärt werden, ob diese Kinder in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben und sich damit in dessen Schutz begeben haben, oder ob sie sie weiter verschwunden bleiben.“ In zweitem Fall müsse dringend nach jedem einzelnen Kind gesucht werden, fordert die Expertin.
BREITES BÜNDNIS FÜR GLEICHE RECHTE
Um dies zu ändern haben sich über 40 Organisationen #zusammenHaltNÖ, AG-Kinderrechte OGR-Steiermark, Amnesty International, asylkoordination österreich, Bundesjugendvertretung, Caritas Steiermark, Diakonie Österreich, Diakonie de la Tour, Diversoviel, Don Bosco Sozialwerk, Doro Blancke Flüchtlingshilfe, ECPAT Österreich, fairness asyl, Flüchtlinge Willkommen Österreich, Fluchtpunkt, Integrationshaus, IZ, Kinderfreunde, Kindernothilfe Österreich, Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaften, LEFÖ-IBF, Liga für Menschenrechte, Menschenwürde Österreich, Netzwerk Kinderrechte, NOAH Sozialbetriebe, OMAS gegen Rechts, PatInnen für alle, Plattform Asyl f. MR, Plattform Menschenrechte Salzburg, Rotes Kreuz TIROL, Samariterbund NÖ, Samariterbund Ö, Samariterbund W, SOS-Menschenrechte, SOS-Mitmensch, tralalobe, Versöhnungsbund, VIDC, Volkshilfe OÖ, Volkshilfe Österreich, Zara, Zebra