Ein Plädoyer für Fluchtwaisen
30. September 2022Egal, woher sie kommen. Egal, welche Sprache sie sprechen: Kindern hilft man. Das ist unsere Pflicht als Erwachsene. Kinder stehen unter einem besonderen Schutz.
Wieso trennt der Staat dann zwischen Kindern aus Österreich und Kinderflüchtlingen?
Für die Betreuung von Kinderflüchtlingen stellt die Republik weit weniger Ressourcen zur Verfügung als für andere Kinder, die nicht bei ihren Eltern sein können.
Damit lässt der Staat sie im Stich: Denn Fluchtwaisen brauchen in den Einrichtungen, in denen sie betreut werden all das, was österreichische Kinder auch brauchen: Sie müssen auf das Erwachsenenleben vorbereitet werden. Sie müssen begleitet werden. Fluchtwaisen brauchen, nach all dem, was sie erlebt haben, manchmal noch mehr: Jemanden zum Anlehnen. Eine Schulter zum Ausweinen.
Wenn wir den Fluchtwaisen, wenn wir diesen Kindern das Kindsein nehmen – nehmen wir ihnen Chancen im Erwachsenenleben.
Wer keine Chance auf die bestmögliche Bildung bekommt, kann die eigenen Potenziale nicht ausschöpfen.
In der Amtssprache werden sie „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“, abgekürzt auch UMF, genannt. Das nimmt dem Begriff die emotionale Wahrnehmung und Wärme. Deshalb hat die asylkoordination österreich für die Kampagne Kind ist Kind - gemeinsam mit 40 anderen NGOs - die Bezeichnung „Fluchtwaisen“ gewählt.
In Österreich wurden im Vorjahr ca 38.000 Asylanträge gestellt, davon etwa 5.700 von Minderjährigen. Beängstigend dabei: Mehr als 5.000 von ihnen sind seither nicht mehr auffindbar - spurlos aus der Grundversorgung verschwunden. Weitergezogen – sagt das Innenministerium, möglicherweise erleichtert, weil Österreich nun nicht mehr für diese jungen Menschen zuständig ist. Die meisten sind wahrscheinlich wirklich weitergezogen, etwa weil sie zu Verwandten in anderen Ländern wollen, sich in anderen Staaten bessere Chancen versprechen oder weil sie nach monatelangem Aufenthalt in Traiskirchen oder anderen Einrichtungen keine Chance auf eine bessere Zukunft mehr sahen. Zu befürchten ist freilich, dass auch einige Opfer von verbrecherischen Schleppern und Menschenhandel wurden. Deshalb lautet eine wesentliches Anliegen der Kampagne: Obsorge ab dem ersten Tag.
Eindringlich forderten die Referent*innen bei der Podiumsdiskussion, dass Fluchtwaisen ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend denselben Schutz und dieselbe Hilfe bekommen wie alle anderen Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben können.
Fast alle Fluchtwaisen haben gefährliche Situationen erlebt. Wir müssen ihnen Sicherheit geben, um gesund zu werden.
Barbara Preitler, Hemayat
Podiumsdiskussion am 29. September zum Langen Tag der Flucht
Es informierten und diskutierten:
Barbara Preitler, Gründungsmitglied und Psychotherapeutin bei Hemayat: Was Kinder nach Krieg und Flucht brauchen. Psycho-soziale Begleitung ermöglicht Begegnung.
Lisa Wolfsegger, asylkoordination österreich, Expertin für Kinderflüchtlinge: Bericht über die Kampagne „Kind ist Kind“.
Stephan Handl, Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich: Menschenrechtliche Problematik der fehlenden Obsorge für Fluchtwaisen, Forderungen an die Politik.
Moderation: Michelle Proyer - lehrt und forscht zum Thema Inklusion