Das 2019 eingeführte Sozialhilfe-Grundsatzgesetz hat Stigmatisierung und Schamgefühle verstärkt. Im Bericht „Als würdest du zum Feind gehen“ identifizierte Amnesty International Österreich in diesem Zusammenhang zwei wichtige Aspekte: den Sachleistungszwang und den disziplinierenden Ton des Gesetzes. Interviewpartner*innen teilten Amnesty mit, dass diese – im Vergleich zum früheren System – das Schamgefühl der Bezieher*innen von Sozialhilfe verstärken. Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sieht sowohl Geld- als auch Sachleistungen vor, wobei die Behörden für die Deckung der Wohnkosten Sachleistungen vorzuziehen haben, weshalb sie die Kosten für den Wohnbedarf direkt an die Vermieter*innen überweisen. Das bedeutet nicht nur, dass Vermieter*innen wissen, ob ihre Mieter*innen Sozialhilfe beziehen oder nicht. Es könnte auch die Chancen vermindern, überhaupt eine Mietwohnung zu finden. Zudem kann der Sachleistungsvorrang zu weiterer Stigmatisierung und Scham führen, da er die Annahme bekräftigen kann, dass Menschen, die Sozialhilfe beziehen, selbst nicht die Fähigkeit haben, ihre Einnahmen und Ausgaben zu verwalten.
Die Stigmatisierung durch Politiker*innen, Amtsträger*innen und die Gesellschaft erhöht das Risiko, dass sich Menschen gegen einen Antrag auf Sozialhilfe entscheiden, obwohl sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Nichtinanspruchnahme ist ein weit verbreitetes Phänomen und betrifft das Sozialhilfesysteme in Österreich und in vielen weiteren Ländern.
Bürokratische Hürden und Sprachbarrieren
Zu den Hürden bei der Beantragung von Sozialhilfe in Österreich zählen außerdem der komplexe Antragsprozess, die formelle Sprache der Dokumente, die teilweise fehlende Unterstützung am Amt, sowie die Anzahl der Dokumente, die auszufüllen sind. Wie sehr die Menschen in der Beantragung der Sozialhilfe von diesen praktischen Hürden betroffen sind, hängt stark von den jeweils zuständigen Behörden ab und unterscheidet sich daher von Bundesland zu Bundesland oder gar von Gemeinde zu Gemeinde.
Besondere Hürden für Frauen und Menschen mit Behinderungen
Bestimmte schutzbedürftige Gruppen, etwa Menschen mit Behinderungen, Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben oder Frauen mit Kinderbetreuungspflichten, erleben weitere Hürden im Zugang zur Sozialhilfe.
Die Sozialhilfe ist eine subsidiäre staatliche Leistung, kann also erst beantragt und bezogen werden, wenn alle anderen Unterstützungsleistungen ausgeschöpft sind. Das führt dazu, dass Frauen, die sich in Trennung bzw. Scheidung befinden, Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Ex-Partner verfolgen müssen. Das kann insbesondere für Frauen, die aus gewaltvollen Beziehungen aussteigen, eine große Hürde darstellen.
Auch Erwachsene mit Behinderungen, die als nicht selbsterhaltungsfähig eingestuft wurden, erleben in diesem Zusammenhang besondere und mitunter sehr beschämende Hürden. Auch sie können gezwungen werden, Unterhaltsansprüche gegenüber ihren Eltern oder Kindern zu verfolgen. Das schafft Abhängigkeiten und bedeutet Stress in den Familienbeziehungen.
Auch die Mitwirkungspflichten stellen für manche Menschen große Hürden dar. So wird etwa verlangt, dass Menschen, die Sozialhilfe beantragen, ihre Arbeitswilligkeit nachweisen. Das kann etwa für Frauen mit Kinderbetreuungspflichten aufgrund der fehlenden Möglichkeit, neben den Kindern arbeiten zu gehen, eine Herausforderung darstellen.