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Wohnungs- und Obdachlosigkeit: Wohnen ist Menschenrecht © Britta Pedersen / Dpa / Picturedesk.com

Mehr als 1,8 Milliarden Menschen weltweit leben in prekären Wohnverhältnissen oder haben gar keinen Wohnraum. Auch in Österreich sind Menschen von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen oder haben keinen Zugang zu leistbarem und sicherem Wohnraum. Wohnen wird häufig als Ware gesehen und nicht als ein Recht, auf das wir alle einen Anspruch haben. Um diesen Anspruch für alle Menschen durchzusetzen, müssen wir alle – und vor allem politische Entscheidungsträger*innen – das Thema Wohnen als Menschenrecht verstehen und behandeln. Denn es ist eine Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Leben für alle und eng mit weiteren Menschenrechten verbunden. Wohnen gibt uns Stabilität und Sicherheit.

> Warum stellen Obdachlosigkeit und prekäres Wohnen Menschenrechtsverletzungen dar?

> Wie ist das Recht auf Wohnen menschenrechtlich verankert?

> Definitionen: Was ist der Unterschied zwischen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit?

> Welche staatlichen Verpflichtungen umfasst das Recht auf Wohnen? Muss mir der Staat eine Wohnung zur Verfügung stellen?

> Frauen in Wohnungs- und Obdachlosigkeit

> Das Recht auf Wohnen in Österreich

> Das Recht auf Wohnen in der COVID-19-Pandemie

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), Artikel 11(1)

Jeder Mensch hat das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen.

Warum stellen Obdachlosigkeit und prekäres Wohnen Menschenrechtsverletzungen dar?

Jeder Mensch hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Dazu gehört leistbarer und sicherer Wohnraum. Wohnungs- und Obdachlosigkeit verletzt dieses Grundprinzip eines Lebens in Würde und stellt somit eine Verletzung des Rechts auf angemessenes Wohnen dar.

Gleichzeitig sind viele weitere unserer Menschenrechte an das Recht auf Wohnen geknüpft: Wir alle brauchen angemessenen Wohnraum, um am öffentlichen Leben teilzuhaben, unserer Arbeit nachzugehen und möglichst gesund leben zu können. Das zeigt bereits: Beim Wohnen geht es um mehr, als nur „ein Dach über dem Kopf“ zu haben.

Ein angemessener Wohnraum ist das Recht eines jeden Menschen, in Sicherheit, Frieden und Würde leben zu können und beinhaltet daher sowohl Freiheiten als auch Ansprüche. Dazu zählt etwa, dass Bewohner*innen vor willkürlichen Eingriffen geschützt werden müssen – auch in informellen Siedlungen oder Notunterkünften.

Wohnraum muss nutzbar sein. Das heißt, die Bewohner*innen müssen über sicheres Trinkwasser, angemessene Sanitäreinrichtungen und Energie verfügen. Wohnen muss außerdem bezahlbar sein: Die Kosten für Wohnraum dürfen die Erfüllung unserer anderen Menschenrechte und Grundbedürfnisse nicht gefährden. Gleichzeitig muss auch die Wohnqualität angemessen sein. Bewohner*innen müssen vor Umwelteinflüssen, wie Kälte, Feuchtigkeit, Hitze, Regen, Wind und anderen Gefahren für die Gesundheit geschützt sein. Prekäre Wohnsituationen können direkte Gesundheitsrisiken darstellen oder indirekt die Gesundheit gefährden, zum Beispiel aufgrund ihrer Lage oder durch erschwerten Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen oder Gesundheitsinfrastruktur.

Auch die Bedürfnisse von marginalisierten Gruppen müssen beim Zugang zu Wohnraum berücksichtigt werden. Der Zugang zu Wohnraum muss barriere- und diskriminierungsfrei sein.

Wie ist das Recht auf Wohnen menschenrechtlich verankert?

Das Recht auf Wohnen ist bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) im Artikel 25 (1) verankert. Zwar ist das Recht auf Wohnen nicht als ein eigenständiger Artikel angeführt, es ist aber ein integraler Bestandteil für einen angemessenen Lebensstandard. Ein angemessener Lebensstandard, das Wohl und Gesundheit garantieren soll, ist wiederum eine Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben. 

Auch im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, UN-Sozialpakt) ist das Recht auf Wohnen verankert. Gemäß Artikel 11(1) hat jeder Mensch das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard „einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen.“

Zudem findet sich das Recht auf Wohnen auch in anderen Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen wieder. Zum Beispiel die Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen beinhaltet das Recht auf angemessenes Wohnen. Österreich hat sowohl den IPwskR als auch die Frauenrechtskonvention ratifiziert.

Auch regionale Menschenrechtsinstrumente verankern dieses Recht. Die revidierte Europäische Sozialcharta legt im Artikel 31 fest, dass Vertragsstaaten sich dazu verpflichten, die wirksame Ausübung des Rechts auf Wohnung zu gewährleisten. Österreich hat die Europäische Sozialcharta 1969 und die revidierte Fassung 2011 ratifiziert, jedoch nicht alle darin enthaltenen Rechte. So wurde Artikel 31, der das Recht auf Wohnen umfasst, von Österreich nicht ratifiziert.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Damit wir alle ein menschenwürdiges Leben führen können, sind unsere wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte unverzichtbar. Das sind jene Menschenrechte, die sich auf Arbeit, soziale Sicherheit, das Familienleben, die Teilhabe am kulturellen Leben oder auch den Zugang zu Wohnraum, Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Bild beziehen. Wenn wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht ausreichend gesichert sind, kann das weitreichende Auswirkungen für die Menschen und die Ausübung ihrer weiteren Menschenrechte haben.

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© Giorgos Moutafis/Amnesty International © Giorgos Moutafis/Amnesty International


Welche staatlichen Verpflichtungen umfasst das Recht auf Wohnen? Muss mir der Staat eine Wohnung zur Verfügung stellen?

Das Recht auf Wohnen bedeutet nicht, dass Staaten dazu verpflichtet sind, allen Menschen eine Wohnung zu bauen und zur Verfügung zu stellen oder privaten Wohnbau zu verbieten. Es liegt aber in der staatlichen Verantwortung sicherzustellen, dass alle menschenrechtlichen Standards erfüllt sind. Beispielsweise muss der Staat sicherstellen, dass alle Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu leistbarem Wohnraum haben. Das betrifft auch den privaten Mietsektor. Auch ist das Recht auf Wohnen nicht mit Wohnrecht, das die Nutzung eines Wohnraums regelt, zu verwechseln.

Weltweit

1,8 Mrd.

Menschen weltweit sind laut offiziellen UN-Statistiken obdachlos oder wohnen in prekären Verhältnissen.

Österreichweit

23.000

leben laut Schätzungen in Obdach- und Wohnungslosigkeit.

Wohnausgaben

25%

oder mehr ihres Einkommens geben ein Viertel der österreichischen Haushalte für Wohnen aus.

© JOE KLAMAR / AFP / Picturedesk.Com © JOE KLAMAR / AFP / Picturedesk.Com

 

Frauen in Wohnungs- und Obdachlosigkeit

Stereotype Vorstellungen über wohnungs- und obdachlose Menschen sind häufig männlich geprägt. Die Zuspitzung auf diese eine Bevölkerungsgruppe hat mit der Realität allerdings wenig zu tun. Wohnungs-und Obdachlosigkeit ist häufig direkt mit systematischen Diskriminierungsmustern verbunden, die in unverhältnismäßigem Umfang bestimmte Gruppen betreffen, neben Frauen auch besonders Jugendliche, Kinder, Menschen mit Behinderungen, Migrant*innen und Geflüchtete, Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit in Armut leben, und LGBTIQ-Personen.


Das Recht auf Wohnen in der COVID-19-Pandemie

In Folge der COVID-19-Pandemie haben viele Menschen ihre Arbeit verloren oder mussten in Kurzarbeit gehen. Dadurch ist das Armutsrisiko und der relative Wohnkostenanteil gestiegen. Diese sind in der EU-SILC Statistik noch nicht erfasst und Expert*innen gehen davon aus – auch basierend auf den Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008 – dass die tatsächlichen sozio-ökonomischen Negativfolgen der Pandemie erst einige Jahre später zu spüren sein werden. Unmittelbare Folgen der Pandemie bahnen sich aber jetzt schon an. Mietstundungen mit vier Prozent Zinsen, die nun ausgelaufen sind, stellen viele Menschen vor große finanzielle Herausforderungen. Einkommensverluste in den letzten Monaten verstärken dieses Problem weiter. Politische Entscheidungsträger*innen sind daher gefragt, einer drohende Delogierungswelle und einem Anstieg and Wohnungs- und Obdachlosigkeit entgegenzuwirken und Maßnahmen zu setzen, die direkt bei den Menschen ankommen. 

Die Wohnsituation eines Menschen ist außerdem einer der Schlüsselfaktoren, die ihre*seine Gesundheit beeinflussen, was sich auch in der COVID-19-Pandemie deutlich zeigte: Es ist fast unmöglich, sich selbst und andere vor einem Virus zu schützen, wenn man nicht über eine stabile und sichere Unterkunft verfügt. Auch für Menschen, die in prekären Unterkünften leben, ist das Risiko einer Ansteckung nicht wesentlich geringer. Viele Menschen weltweit haben keine andere Wahl, als sich in unmittelbarer Nähe zu anderen aufzuhalten und sich überfüllte Räumlichkeiten, Wasser- und Sanitäranlagen, zu teilen. Menschen, die in solchen Situationen leben und arbeiten, gehören bereits zu den am stärksten ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft, die häufig aus einem oder mehreren Gründen diskriminiert werden. Dazu zählen LGBTIQA-Personen, Kinder, die von Armut und Ausgrenzung betroffen sind, ältere Menschen, indigene Völker, Geflüchtete und Migrant*innen, Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihrer Arbeit diskriminiert werden, Menschen mit Behinderungen sowie Frauen und Mädchen innerhalb dieser Gruppen.

In einigen Staaten wurden obdachlose Menschen bestraft, weil sie sich nicht an die Lockdown-Regeln halten konnten. Im Juni 2020 wies Amnesty International in einer Stellungnahme an den UN-Sonderberichterstatter für angemessenes Wohnen auf Maßnahmen einiger Staaten zum Thema Wohnen und Obdachlosigkeit im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hin und forderte die Aussetzung von Zwangsräumungen.

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