Wie sieht die Situation für Whisteblower*innen in Österreich aus?
Österreich blieb bei der Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie lange säumig, obwohl die Umsetzung zentral für die Ausübung der Meinungsäußerungs-, Presse- und Informationsfreiheit ist. Sie hätte bereits bis Dezember 2021 von den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden sollen. Die EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Am 3.6.2022, mehr als fünf Monate nach Ende der von der EU-Kommission vorgegebenen Deadline, hat Arbeitsminister Kocher den österreichischen Gesetzentwurf vorgestellt.
Amnesty International fordert eine menschenrechtskonforme Implementierung der EU- Whistleblower*innen-Richtlinie. Dafür dürfen Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhaltene Informationen über Menschenrechtsverletzungen in einer verantwortungsvollen Weise offenlegen, nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Allerdings schützt die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie, wie im oberen Abschnitt erklärt, aktuell nur die Offenlegung von EU-Rechtsverstößen. Das heißt in der Praxis: Die Richtlinie schützt Whistleblower*innen nur dann, wenn diese Verstöße gegen EU-Recht melden. Für Österreich bedeutet das, dass bei der Umsetzung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie dringend auch die Aufdeckung von Informationen über Verstöße gegen andere – nationale oder völkerrechtliche – Rechtsquellen geschützt werden muss. Für einen umfassenden und menschenrechtskonformen Schutz von Whistleblower*innen muss jedenfalls die Offenlegung folgender Missstände geschützt sein:
- Straftaten,
- Menschenrechtsverletzungen und -missbrauch,
- Verletzungen des humanitären Völkerrechts,
- Korruption im privaten oder öffentlichen Sektor,
- Gefahren für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit,
- Gefahren für die Umwelt,
- Missbrauch von öffentlichen Ämtern,
- Justizirrtümer,
- unbefugte Verwendung öffentlicher Gelder oder Eigentum,
- Misswirtschaft oder Verschwendung von Ressourcen
- und jede andere Bedrohung oder Schädigung des öffentlichen Interesses
- sowie Vergeltungsmaßnahmen für die Meldung, Offenlegung und/oder die absichtliche Verschleierung von diesen.
Besonders wichtig ist es auch, dass Whistleblower*innen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Hinweise anonym weiterzugeben und dass es auch externe Beschwerdestellen gibt, wenn die Meldung an eine interne Beschwerdestelle in einem bestimmten Fall nicht zugemutet werden kann.
Das am 3.6.2022 vorgestelle Gesetz wird einerseits endlich einen besseren Schutz bei Hinweisen gegen Korruptionsstrafrecht, Umweltschutz oder öffentliches Auftragswesen bringen. Andererseits sind für einen umfassenden und menschenrechtskonformen Whistleblower*innenschutz aus Sicht von Amnesty International Österreich noch Verbesserungen nachzuholen:
- So gibt es keine generelle Ausweitung des Schutzes auf nationales Recht, was die Einschätzung eines rechtswidrigen Verhaltens für potenzielle Hinweisgeber*innen schwieriger macht: Denn häufig muss dieses eine EU-Rechtsnorm verletzen.
- Auch Hinweise über Menschenrechtsverletzungen, Straftatbestände außerhalb des Korruptionsstrafrechts, die öffentliche Sicherheit oder Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht werden nicht geschützt. Für einen umfassenden und menschenrechtskonformen Schutz wäre das aber unbedingt notwendig!
- Der Entwurf sieht vor, dass Hinweisgeber*innen bei Abgabe eines Hinweises davon ausgehen müssen, dass dieser wahr ist, und, dass er einen Rechtsbereich betrifft, der durch das neue Gesetz geregelt wird. Sonst gibt es keinen Schutz. Bei einer wissentlichen Falschmeldung drohen sogar hohe Verwaltungsstrafen bis zu 20.000, im Wiederholungsfall sogar 40.000 Euro. Die Beweislast liegt hier bei dem*der Whistleblower*in. Die Höhe dieser Strafen ist unverhältnismäßig und kann eine abschreckende Wirkung entfalten, bei Unsicherheit überhaupt einen Hinweis abzugeben.
Wir beobachten in Österreich außerdem, dass es unabhängige und kritische Journalist*innen, die zu Korruption recherchieren und Informationen über korrupte Handlungen durch Personen aus dem politischen Umfeld veröffentlichen, vermehrt mit Einschüchterung zu tun bekommen. Auch im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen ist Österreich aus diesem Grund in den letzten Jahren um viele Plätze gesunken.
Hilfe für Whistleblower*innen: Was kannst du tun, wenn du selbst für die Allgemeinheit wichtige Informationen teilen möchtest?
Wie oben dargelegt werden Whistleblower*innen in Österreich derzeit nicht ausreichend geschützt. Wenn du also selbst Informationen teilen möchtest, die für die Allgemeinheit von Bedeutung sein könnten, gehe mit Bedacht und wohlüberlegt vor.
Korruption bei Behörden melden
Wenn du den Verdacht hast, Zeug*in von offenbar korrupten Handlungen geworden zu sein, besteht in Österreich grundsätzlich die Möglichkeit, dich an behördliche Meldestellen für Korruption zu wenden, also an das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) bietet ein Hinweisgeber*innen-System in Form einer digitalen Kommunikationsplattform. Hier können anonym Hinweise auf Korruption abgegeben werden. Auch die Finanzmarktaufsicht (FMA) betreibt ein Online-Meldesystem, wo Hinweisgeber*innen Verstöße von Organisationen melden können, die der Aufsicht der FMA unterliegen.
Weitere Briefkästen und Meldestellen
Auch wenn Österreich die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie noch nicht umgesetzt hat, haben einige Unternehmen und Einrichtungen trotzdem bereits interne Meldestellen eingerichtet. Die Stadt Wien etwa bietet ein Hinweisgeber*innen-System, wo Verstöße von Mitarbeiter*innen der Stadt Wien gemeldet werden können. Auch manche Medienredaktionen bieten sogenannte anonyme Briefkästen in digitaler Form, zum Beispiel über verschlüsselte Messenger-Dienste wie Signal.