Die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise, aber auch der Anschlag am 2. November 2020 in Wien stellen die Regierung in Österreich aktuell und in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. „Menschenrechte sind der Kompass, der uns durch Krisen führt. Angesichts der aktuellen Herausforderungen ist es umso wichtiger, dass sich die Menschen in Österreich darauf verlassen können, dass ihre Rechte geschützt sind”, sagt Annemarie Schlack.
Ermittlungsstelle für Polizeigewalt längst überfällig
Amnesty kritisiert in ihrer Stellungnahme die mangelnde Umsetzung zahlreicher Empfehlungen seit der letzten universellen Menschenrechtsprüfung Österreichs im Jahr 2015 – darunter das anhaltende Versäumnis, Vorwürfe von Polizeigewalt unabhängig und effektiv zu untersuchen.
„Die Ankündigung einer unabhängigen Ermittlungsstelle für Polizeigewalt im Regierungsprogramm ist positiv. Doch nach wie vor lässt die Umsetzung dieses wichtigen Schritts, um die Polizei in Österreich zu modernisieren und menschenrechtsfreundlicher zu gestalten, auf sich warten. Wir fordern die Regierung mit Nachdruck auf, diese Stelle unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Expertise zu konzipieren und menschenrechtskonform umzusetzen“, sagt Annemarie Schlack.
Soziale Menschenrechte: Verbesserte rechtliche Absicherung gefordert
Die COVID-19-Pandemie zeigt, dass die sozialen Rechte von besonders schutzwürdigen Menschen nicht ausreichend abgesichert sind. In ihrem Bericht zur dritten UPR Österreichs kritisiert Amnesty die Einführung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes als Rückschritt für die sozialen Rechte der Menschen in Österreich. Ebenso hat Österreich bis heute das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht ratifiziert. Dies wäre ein wichtiger Schritt, damit Menschen in Österreich auch die Möglichkeit haben, bei einer Verletzung ihrer sozialen Menschenrechte eine Individualbeschwerde vor den Vereinten Nationen einzureichen und so ihre Rechte durchzusetzen.
„Obwohl Österreich ohne Zweifel zu den höchstentwickelten Sozialstaaten weltweit gehört, gibt es nach wie vor keinen Rechtsanspruch auf soziale Menschenrechte. Ein wichtiger Schritt wäre, soziale Menschenrechte in Österreich verfassungsrechtlich zu verankern, damit die Menschen ihre Rechte auch durchsetzen können. Ein menschenwürdiges Leben für alle ist keine Wohltätigkeit des Staates oder parteipolitisches Programm, sondern ein Menschenrecht”, sagt Annemarie Schlack.
Amnesty International Österreich fordert die Erweiterung des Grundrechtskatalogs und dadurch die verfassungsrechtliche Verankerung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie eine klare Strategie, wie soziale Rechte besser umgesetzt werden. Dazu müssen zivilgesellschaftliche Organisationen einbezogen werden, damit die Stimmen von Betroffenen Teil dieser Strategie sind.
Rechte von Geflüchteten: Ständige Rückschritte
„Immer wieder wurden in den letzten Jahren rückschrittliche Asylgesetze verabschiedet und die Rechte von Geflüchteten verletzt. Es werden etwa nach wie vor Menschen nach Afghanistan abgeschoben, ein Land, das alles andere als sicher ist. Die Behörden weigern sich bis heute, diesen Fakt anzuerkennen und ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, nämlich die Rechte von Asylsuchenden zu schützen. Es ist an der Zeit, dass die Regierung eine Kehrtwende einschlägt”, sagt Annemarie Schlack.
Österreich hat eine völkerrechtliche Verpflichtung, Menschen nicht in Länder abzuschieben, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen („Non-Refoulement-Prinzip”). Amnesty International fordert die österreichische Regierung auf, alle Abschiebungen nach Afghanistan umgehend zu stoppen.
Ein Rückschritt bedeutete auch die Schaffung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU): Durch die Nähe der BBU zum Innenministerium sind die Qualität und die Unabhängigkeit der Rechtsberatung gefährdet, rechtsstaatliche Prinzipien werden aufgeweicht. Daher fordert Amnesty eine gesetzlich garantierte institutionelle Unabhängigkeit der Leitung der BBU-Rechtsberatung und eine Veröffentlichung der Rahmenvereinbarung zwischen der BBU und den zuständigen Ministerien.
Hintergrund
UPR steht für Universal Periodic Review, auf Deutsch auch „universelle Menschenrechtsprüfung“ genannt. Sie ist ein Instrument des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen und wurde 2006 ins Leben gerufen. Das Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Amnesty International ist als Teil der Zivilgesellschaft seit Beginn bei UPRs involviert und hat bereits zahlreiche Berichte dafür verfasst. Darin dokumentiert Amnesty die menschenrechtliche Situation in den jeweiligen Ländern, ob es zu Verbesserungen gekommen ist oder nicht, und gibt Empfehlungen an den Staat ab, wie die Menschenrechte im Land gestärkt werden können.
Am 22. Jänner 2021 findet zum dritten Mal die universelle Menschenrechtsprüfung Österreichs statt. Das Hearing wird per Live-Stream übertragen.