
UN-Bericht zu Menschenrechten in Österreich - Zivilgesellschaft zieht Bilanz: Es braucht mehr als nur Worte
14. Juli 2025Am 14.07.2025 präsentierten die Österreichische Liga für Menschenrechte, Amnesty International Österreich und der Österreichische Behindertenrat ihre Berichte zum Auftakt des neuen und vierten Zyklus des sogenannten UPR-Prozesses, der Universellen periodischen Überprüfung, mit dem regelmäßig die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte in ihrem Land überprüft werden.
Dabei handelt es sich um den umfassendsten Berichtsprozess überhaupt, der alle Menschenrechtsbereiche umfasst und quasi als „Olympiade der Menschenrechte“ alle 5 Jahre wiederholt wird.
Der Österreichischen Liga für Menschenrechte, vertreten durch RA MMag. Florian Horn, war die Einbindung möglichst vieler Organisationen der Zivilgesellschaft ein besonderes Anliegen. Gerade weil der UPR-Prozess so umfassend ist, gibt es eine große Chance, das Bewusstsein für Menschenrechte in der Gesellschaft zu schärfen. In dieser Periode von besonderer Wichtigkeit war das Thema der Generationengerechtigkeit, aber auch die hohen gesellschaftlichen Kosten des mangelnden Schutzes individueller Rechte.
Die Zivilgesellschaft ist sich einig, dass trotz einzelner positiver Signale viel zu tun bleibt. Viele der Zusagen der letzten fünf Jahre wurden leider nicht umgesetzt. Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich, begrüßte, dass Menschenrechte in Österreich grundsätzlich einen hohen Stellenwert genießen; kritisierte aber gleichzeitig, dass diese anscheinend nicht für alle und jeden Bereich gelten:
Gerade vulnerable Personengruppen erleben zum Teil Rückschritte; und auch bei den sozialen Menschenrechten herrscht mehr oder weniger Stillstand.
Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
„Dazu zählen etwa Migrant*innen und Asylsuchende, auf deren Rücken eine Politik gemacht wird, die Menschenrechte missachtet, aushöhlt und verletzt.“ Als Beispiele nennt Hashemi etwa den Stopp des Familiennachzugs oder die immer noch fehlende Obsorgeregelung für unbegleitete geflüchtete Kinder.
Auch die Situation von Frauen hebt Amnesty International in dem Bericht explizit hervor: „Frauen erleben hierzulande nach wie vor eine Einschränkung oder Missachtung ihrer Rechte“, so Hashemi, etwa im Zusammenhang mit fehlenden systemischen Maßnahmen gegen Gewalt. Das zeigen etwa die 27 Femizide des vergangenen Jahres. „Zwar arbeitet die Bundesregierung an einem Aktionsplan, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen – doch dieser Plan muss endlich umgesetzt werden und den Worten müssen Taten folgen. Auch die immer noch kriminalisierende Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafrecht muss endlich abgeschafft werden“, mahnt Amnesty ein.
Der Österreichische Behindertenrat bringt dabei die Perspektive von Menschen mit Behinderungen ein. Als gesetzlich verankerte Interessenvertretung setzt sich der Österreichische Behindertenrat für die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich ein.
Der Präsident des Österreichischen Behindertenrats, Klaus Widl, betont: „Trotz der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor 17 Jahren sind Menschen mit Behinderungen in Österreich weiterhin strukturell benachteiligt. Der aktuelle Menschenrechtsbericht zeigt, dass Österreich bei der Umsetzung seiner Verpflichtungen hinter dem Zeitplan liegt und ein klarer Umsetzungsplan fehlt. Wie bereits unter der letzten Bundesregierung durch Demonstrationen und andere Protestkundgebungen eingefordert, braucht es nun endlich einen strukturierten Prozess zur Umsetzung der UN-Handlungsempfehlungen.“
Darüber hinaus bleiben gleichberechtigte Zugänge, wie etwa im Bereich Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und Justiz trotz völkerrechtlicher Verpflichtungen für viele Menschen mit Behinderungen weiterhin eingeschränkt. Besorgniserregend ist zudem, dass es in einzelnen Bereichen nicht nur zu einem Stillstand kommt, sondern auch Rückschritte zu beobachten sind - insbesondere im Bildungsbereich, in dem die Segregation von Kindern mit Behinderungen weiter besteht und zunimmt, sowie im Bereich der Barrierefreiheit.
Besonders betroffen sind außerdem Frauen mit Behinderungen: Sie sind doppelt so häufig von sexuellen Übergriffen betroffen wie Frauen ohne Behinderungen. Generell erleben Frauen mit Behinderungen Mehrfachdiskriminierungen in allen Lebensbereichen.
Die von der Liga koordinierte gemeinsame Stellungnahme von mehr als 300 Organisationen, in der neben dem Österreichischen Behindertenrat zB. auch der Österreichische Frauenring, die Arbeitsgemeinschaft Globale Verantwortung, das Netzwerk Kinderrechte und viele andere teilnahmen, enthält insgesamt 159 Forderungen (genannt „Points of Action“), darunter zB.:
- Bundesweite einheitliche Qualitätsstandards in der Kinder- und Jugendhilfe
- Einheitlicher Diskriminierungsschutz auch aus den Gründen das Alters, der Religion und der Weltanschauung
- Maßnahmen gegen häusliche und sexualisierte Gewaltausübung an Frauen und Mädchen
- Moderner Strafvollzug und dringender Abschluss der Reform des Maßnahmenvollzugs
- Sofortige Aufgabe des Versuchs der Messengerüberwachung
- Verbesserung der Teilhabe im demokratischen Prozess
- Recht auf Wohnen in der Verfassung
- Stärkung der kulturellen Bildung in allen Schulformen
- Aufwertung des zweisprachigen Schulunterrichts auch in den anerkannten Minderheitensprachen
- Eine Sicherstellung der gesetzlichen Obsorge über unbegleitete minderjährige Geflüchtete ab dem allerersten Tag
- Generationengerechte Umsetzung von Klimaschutz und Maßnahmen gegen den Grünflächenverbrauch
- Unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte auch in den Lieferketten
Anlässlich der Präsentation der Berichte schlagen die Liga für Menschenrechte gemeinsam mit dem Österreichischen Behindertenrat und Amnesty International für die kommende 5-Jahres-Periode einen nationalen Aktionsplan für Menschenrechte vor, so wie er auch im aktuellen Regierungsprogramm versprochen, aber noch nicht begonnen wurde. Darin sollen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft Ziele für den Ausbau der Menschenrechte definiert werden. „Menschenrechte sollten in jedem Gesetzgebungsprojekt an erster Stelle berücksichtigt werden, noch bevor das erste Wort eines Gesetzesentwurfes geschrieben oder politisch verhandelt wird“, beschreibt Florian Horn den sogenannten Human-Rights-First-Ansatz, „Menschenrechte nur im Nachhinein als Pflichtübung einzubauen ist zu wenig.“
Amnesty-Geschäftsführerin Shoura Hashemi ergänzt: „Die Regierung wäre gut beraten, in einen kontinuierlichen Dialog mit der Zivilgesellschaft zu treten, um die Einhaltung und Verbesserung der Grund- und Menschenrechte langfristig zu gewährleisten.“ Amnesty betont in diesem Zusammenhang, dass die Einbeziehung der Menschen, um deren Rechte es geht – sei es Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Armutserfahrung, Menschen mit Behinderung oder die Zivilgesellschaft im Allgemeinen – wesentlich sei.
Hintergrundinformationen zum UPR-Prozess:
- Österreichische Liga für Menschenrechte über UPR-Prozess
- Offizielle Informationsseite der UNO
- Länderinformationen Österreich
- Außenministerium über UPR-Prozess
- UPR-Info (internationale auf den UPR spezialisierte NGO)
2006 schuf der Menschenrechtsrat das Instrument des „Universal Periodic Review (UPR)“ oder auf Deutsch „Universellen periodischen Überprüfung“ zur Überprüfung aller Staaten, die den Vereinten Nationen angehören. Gegenstand ist im Unterschied zu anderen Instrumenten eine umfassende Überprüfung der Menschenrechtslage über alle Lebensbereiche hinweg. Sie erfolgt alle vier bis fünf Jahre in sogenannten Zyklen. Die erste Überprüfung Österreichs fand im Jahr 2011 statt, weitere in den Jahren 2015 und 2020. Nun im Jahr 2025 beginnt der 4. Zyklus für Österreich.
Das UPR-Verfahren sieht vor, die Zivilgesellschaft in den Erstellungsprozess des Staatenberichts einzubinden, aber ermöglicht auch direkte Berichte der Zivilgesellschaft an den Menschenrechtsrat. Der „Peer Review“-Prozess des UPR, also die Zusammenarbeit aus Regierung und Zivilgesellschaft, gewährt den ganzheitlichen Schutz und die Förderung der Menschenrechte, da nicht nur die Regierung eines Staates, sondern auch NGOs und andere wesentliche Organisationen unabhängige Berichte erstellen. Die Österreichische Liga für Menschenrechte hat sich zum Ziel gesetzt, in ihrem gemeinsamen Bericht einer möglichst großen Zahl an Organisationen die Chance zu geben, im Bereich ihrer Spezialgebiete Verbesserungen anzuregen, Forderungen zu stellen, aber auch Fortschritte aufzuzeigen.
Der weitere zeitliche Ablauf ist, dass nun im Sommer 2025 die zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Berichte einbringen, im Herbst 2025 folgt der Staatenbericht Österreichs und im Frühjahr 2025 gipfelt der Prozess in einer Sitzung des Menschenrechtsrats, in der basierend auf den Berichten alle Mitgliedstaaten der UNO Empfehlungen an Österreich gerichtet werden.