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Ukraine: Folter und Entführungen

11. Juli 2014

Amnesty International dokumentiert massive Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten

Gefangene aller am bewaffneten Konflikt beteiligten müssen sofort freigelassen werden/Genaue Dokumentation und Aufarbeitung gefordert

Entführt, brutal geschlagen und gefoltert: Die Schilderungen von Aktivist*innen, Demonstrierenden und Journalist*innen, die in der Ostukraine in die Hände bewaffneter Separatisten, aber auch Kiew-treuer Truppen gerieten, sind erschütternd. Im aktuellen Bericht „Abductions and Torture in Eastern Ukraine“ beruht auf aktuellen Recherchen, die ein Amnesty-Team in den vergangenen Wochen in der Ostukraine durchführte.

Hunderte von Entführungen haben in den vergangenen Monaten das Kriegsgeschehen in der Ostukraine mit geprägt. Genaue Zahlen kennt niemand: Während das ukrainische Innenministerium von nahezu 500 Fällen zwischen April und Juni 2014 ausgeht, hat die UNO-Menschenrechtsbeobachtungsmission in den letzten drei Monaten deren 222 registriert.

„Die meisten Entführungen gehen auf das Konto von bewaffneten Separatisten“, sagt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. „Die Opfer wurden oft aufs Brutalste geschlagen und gefoltert. Aber auch seitens der Kiew-treuen Kräfte sind einige Fälle von solchen Übergriffen belegt.“

Entführungen gab es in der ganzen Ostukraine, in den Regionen Donezk und Luhansk. Im Visier waren nicht nur Polizist*innen, Soldat*innen und örtliche Beamt*innen, sondern auch Journalist*innen, Politiker*innen, Aktivist*innen, Mitglieder von Wahlkommissionen und Geschäftsleute.

„Jetzt, da Kiew die Kontrolle über Slawjansk, Kramatorsk und andere Teile der Ostukraine zurückgewonnen hat, werden fast jeden Tag aufs Neue Gefangene freigelassen und die Zahl der Entführungs- und Folterfälle nimmt laufend zu. Diese müssen nun unbedingt ordentlich dokumentiert werden, die Täter müssen zur Verantwortung gezogen und die Opfer entschädigt werden“, sagt Patzelt

Pro-ukrainische Aktivisten im Visier

Hanna, eine pro-ukrainische Aktivistin, wurde von bewaffneten Männern am 27. Mai 2014 im östlichen Stadtteil von Donezk entführt und sechs Tage lang festgehalten, bevor sie durch einen Gefangenenaustausch frei kam. Sie schilderte Amnesty International, wie sie befragt wurde.

„Er schlug mir die Faust ins Gesicht, versuchte mich am ganzen Körper zu schlagen, ich schützte mich mit den Händen… Ich wurde in eine Ecke gestoßen, zu einem Bündel zusammengeschnürt, mit den Händen um die Knie. Er war wütend, dass ich mich zu schützen versuchte. Er ging raus und kam mit einem Messer zurück“.

Hanna zeigte Amnesty International die Narben, die die Klinge an ihrem Nacken, ihren Armen und Beinen hinterließ. Die Stichwunde im Knie ist noch nicht verheilt, und ihr rechter Zeigefinger ist noch immer dick verbunden. Sie wurde außerdem gezwungen, mit ihrem eigenen Blut einen separatistischen Slogan an die Wand zu schreiben.

Entführung gegen Lösegeld

Nicht nur politische Gründe motivieren die Gewalt der bewaffneten Separatisten, oft geht es auch darum, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und zu kontrollieren. Die Erpressung von Lösegeld ist ebenfalls ein Motiv.

Sascha, ein 19-jähriger pro-ukrainischer Aktivist, floh nach Kiew, nachdem er von Separatisten in Luhansk entführt worden war. Er wurde 24 Stunden lang immer wieder geschlagen.

„Sie schlugen mich mit den Fäusten, mit einem Stuhl, mit allem, was ihnen grad in die Hände kam. Sie drückten Zigaretten auf meinen Beinen aus und versetzten mir Elektroschocks. Es ging immer weiter, ich fühlte schon nichts mehr, ich verlor das Bewusstsein.“

Sascha wurde schliesslich freigelassen, nachdem sein Vater 60‘000 Dollar Lösegeld für ihn bezahlte hatte.

Übergriffe durch Kiew-treue Kräfte

Während die Mehrzahl der Entführungs- und Foltervorwürfe gegenüber pro-russischen Separatisten erhoben werden, sind auch Kiew-treue Kräfte, einschließlich Selbstverteidigungsgruppen, in Misshandlungen von Gefangenen involviert.

In Mariupol erzählte ein lokaler Regierungsbeamter, der anonym bleiben wollte, wie er einen gefangenen Separatisten in den Händen von pro-ukrainischen Soldaten schreien hörte, die offenbar Informationen über die Separatisten aus ihm herauspressen wollten.

Ein weiterer Fall ist der des 16-jährigen Vladislav. Er wurde entführt, nachdem er ein Video über den ukrainischen Polizeieinsatz in Mariupol am 25. Juni 2014 ins Netz gestellt hatte. In einem zwei Tage nach seiner Freilassung veröffentlichten Video ist zu sehen, wie ein maskierter Mann in Tarnuniform die  Hand auf den Kopf des Jungen legt ihm und ‚allen anderen‘, die die Einheit der Ukraine in Gefahr bringen, mit Repressalien droht.

Zentrales Register und sorgfältige Untersuchung von Foltervorwürfen gefordert

Amnesty International appelliert an die ukrainische Regierung, ein zentrales, aktuell gehaltenes Register über alle Vorfälle von Entführungen zu führen und jeden Vorwurf von Machtmissbrauch, Misshandlung und Folter sorgfältig zu untersuchen. Amnesty International fordert, dass alle Beteiligten am bewaffneten Konflikt in der Ukraine sofort und bedingungslos alle Gefangenen freilassen.

„Wir warnen dringend davor zu glauben, dass man die Aufarbeitung dieser Verbrechen einem einfachen, schnellen Schlussstrich opfern kann“, sagt Patzelt abschließend.

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