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Türkei: Menschenrechtsverteidiger*innen drohen 15 Jahre Haft

2. Juli 2020

Zusammenfassung

  • Morgen, am Freitag, wird das Urteil erwartet – es gibt keinen einzigen Beweis für ein Fehlverhalten
  • Unter den Angeklagten sind die ehemalige Direktorin und der Ehrenpräsident von Amnesty International Türkei
  • Sprecher*innen von Amnesty stehen für Interviews zur Verfügung

Diesen Freitag wird in Istanbul ein Urteil gegen elf Menschenrechtsverteidiger*innen erwartet, darunter die ehemalige Direktorin und der Ehrenpräsident von Amnesty International Türkei. Sie kämpfen seit fast drei Jahren gegen konstruierte Anklagen wegen „Terrorismus“. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft. Die elf stehen aufgrund haltloser Terrorismusvorwürfe vor Gericht, es liegen keinerlei Beweise gegen sie vor.

Das war von Anfang an ein politisch motivierter Prozess, genau wie so viele weitere gegen andere Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Anwält*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen.

Idil Eser, ehemalige Direktorin von Amnesty Türkei und eine der Angeklagten

„Diese Anklagen haben zum Ziel, Aktivist*innen zum Schweigen zu bringen. Sie senden gleichzeitig eine Botschaft an den Rest der Gesellschaft: Wer sich für die Menschenrechte einsetzt, tut das auf eigene Gefahr. Für den Prozess morgen hoffen wir auf das Beste, sind aber auf das Schlimmste gefasst.“

Im Laufe von elf Gerichtsanhörungen wurden die erhobenen „Terrorismus“-Beschuldigungen wiederholt und widerlegt. Der Versuch der Staatsanwaltschaft, legitime Menschenrechtsaktivitäten als ungesetzliche Handlungen darzustellen, ist gescheitert.

Bedeutendes Urteil für Menschenrechte in der Türkei

Nach mehr als 14 Monaten wurde der ehemalige Präsident und jetzige Ehrenpräsident von Amnesty Türkei, Taner Kılıç, im August 2018 gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Acht der anderen Angeklagten verbrachten ihrerseits fast vier Monate hinter Gittern, bevor sie im Oktober 2017 freigelassen wurden. Bei der zehnten Anhörung im November 2019 beantragte der Staatsanwalt Freispruch für fünf der elf und Verurteilungen von bis zu 15 Jahren für die übrigen sechs Angeklagten.

Dieses Urteil ist nicht nur für diese elf Frauen und Männer und ihre Familien wichtig. Es ist wichtig für alle, denen die Menschenrechte in der Türkei, ja in allen Ländern am Herzen liegen.

Nils Muižnieks, Europa-Direktor von Amnesty International

„Denn unabhängig davon, wo und unter welcher Regierung wir leben, eines Tages müssen vielleicht unsere eigenen Rechte verteidigt werden“, sagt Nils Muižnieks, Europa-Direktor von Amnesty International, und sagt weiter:

„Morgen werden die Augen der Welt auf den Gerichtssaal in Istanbul gerichtet sein. Es liegen keine Beweise vor. Wir erwarten einen Freispruch. Jedes andere Urteil gegen die elf wäre haarsträubend. Eins jedoch steht fest: Was auch immer mit den Angeklagten in diesem Fall geschieht, wir setzen uns weiterhin für Menschenrechte und Gerechtigkeit in der Türkei ein.“

Die Gerichtsverhandlung beginnt am 3. Juli um 10:00 Uhr Ortszeit (09:00 Uhr MESZ) im Istanbuler Strafgericht für schwere Straftaten, Nummer 35.

Aufgrund der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kann Amnesty International keine internationale Beobachtungsdelegation in den Gerichtssaal entsenden. Kolleg*innen von der türkischen Sektion werden vor Ort sein.

Für Live-Updates folgen Sie @MilenaBuyum @andrewegardner @stefsimanowitz @amnestypress auf Twitter

Hintergrund
Im Schlussplädoyer forderte der Staatsanwalt im November 2019 Verurteilungen gegen Taner Kılıç wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“, gegen Idil Eser, Özlem Dalkıran, Günal Kurşun, Veli Acu und Nejat Taştan wegen „Unterstützung einer terroristischen Organisation“.

Er beantragte Freisprüche für Nalan Erkem, İlknur Üstün, Şeyhmus Özbekli, Ali Gharavi und Peter Steudtner. Bei der letzten Anhörung im Februar 2020 verlasen sieben der elf Menschenrechtsverteidiger*innen und ihre Anwält*innen ihre Schlussplädoyers.

Die vier verbleibenden Schlussplädoyers werden am Gericht am 3. Juli vortragen. Für weitere Informationen über den Fall: https://www.amnesty.org/en/latest/campaigns/2020/01/turkey-istanbul-human-rights-activists-justice/

Für eine Analyse des Falles gegen Taner Kılıç: https://www.amnesty.org/en/documents/eur44/7331/2017/en/

In den vergangenen drei Jahren forderten mehr als zwei Millionen Menschen auf der ganzen Welt Gerechtigkeit für die elf Menschenrechtsverteidiger*innen. Unter den Unterzeichner*innen des offenen Briefes aus dem Jahr 2017 sind Edward Snowden, Catherine Deneuve, Ai Weiwei, Angélique Kidjo, Anish Kapoor, Peter Gabriel, Zoë Kravitz, Nazanin Boniadi, Don Cheadle, Marisa Tomei, Adam McKay, Paul Haggis, Joshua Malina, Fisher Stevens, Claire Danes, Ben Stiller, Whoopi Goldberg, Mike Farrell, Eva Orner, Peter Sarsgaard, Tim Roth, Kathy Najimy, Mark Ruffalo, Zach Galifianakis, Bruce Cohen, Shira Piven, Mike White, Tim Kring, James McAvoy, Francois Morel, Elif Shafak, Bianca Jagger, Juliet Stevenson, Juliette Binoche, Jane Birkin, Isabelle Huppert und Tanita Tikaram.

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