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Traurige Bilanz zu Putins „ausländischen Agenten Gesetz“

18. November 2016

Über 100 Organisationen sind betroffen: ihr Ansehen ist beschädigt und ihre Mitarbeiter*innen sind eingeschüchtert

Kritische Nichtregierungsorganisationen werden gezwungen, ihre Arbeit einzustellen, wertvolle Hilfs-und Dienstleistungen werden eingeschränkt und Kritik an der Regierung wird so weitreichend zum Schweigen gebracht, dass man von einem vorsätzlichen Angriff auf die Meinungsfreiheit sprechen kann. Zu diesem Schluss kommt Amnesty in einem neuen Bericht anlässlich des 4. Jahrestags des Gesetzes, das am 21. November 2012 in Kraft trat.

Das Gesetz über ‚ausländische Agenten‘ wurde erarbeitet, um kritischen NGOs Ketten anzulegen, sie zu stigmatisieren und sie letztendlich zum Schweigen zu bringen. Viele unterschiedliche NGOs sind betroffen.

Sergei Nikitin, Direktor von Amnesty International in Russland

„Aber auch individuelle Rechte und die Qualität der zivilgesellschaftlichen Diskussion sind auf der Strecke geblieben. Die Verlierer sind letztendlich nicht nur NGOs, sondern auch die russische Gesellschaft“, sagt Sergei Nikitin.

148 Organisationen sind „ausländischen Agenten“

In den vergangenen vier Jahren sind 148 Organisationen auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt worden, 27 von ihnen mussten ihre Arbeit vollständig einstellen. Diese NGOs spielten eine wichtige Rolle beim Schutz der Rechte von in Russland lebenden Menschen. Vielfach leisteten sie Unterstützung auf Gebieten, die von den staatlichen Stellen vollkommen vernachlässigt werden. Dazu zählen der Umweltschutz und  rechtlicher Beistand oder psychologische Unterstützung für Opfer von Diskriminierung und Gewalt. Diese wichtigen Beiträge zum Sozialleben in Russland sind nun entweder untersagt oder gefährdet, weil die betreffenden NGOs entweder jetzt schon oder kurz davor stehen, auf der Grundlage des Gesetzes von 2012 wegen ihrer „politische Aktivitäten“ als „ausländische Agenten” betrachtet zu werden.

Finanzierung für NGOs schwierig

Die Möglichkeiten der Finanzierung waren für NGOs in Russland immer begrenzt. Doch angesichts der Dämonisierung von NGOs in den russischen Medien ist die Beschaffung von finanziellen Mitteln jetzt noch schwieriger geworden. Das Gesetz über „ausländische Agenten“ hat dafür gesorgt, dass die Finanzierung aus dem Ausland – und damit die einzige Alternative für NGOs – eine sehr unsichere Finanzquelle geworden ist, die sowohl erhebliche Risiken für das Ansehen der Organisation als auch strafrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann.

"Es ist mehr als deutlich, dass es das Hauptziel der russischen Behörden war und ist, das Anwachsen einer kritisch eingestellten Zivilgesellschaft zu unterbinden und sie durch unterwürfige, abhängige Unterstützer der Regierungspolitik zu ersetzen. Diese Taktik der ‚verbrannten Erde‘ gegenüber der Zivilgesellschaft kann nicht im langfristigen Interesse Russlands sein", sagt Sergei Nikitin.

Organisationen werden verfolgt

Der Angriff auf die Organisation Women of the Don Union (Vereinigung der Frauen vom Don) steht beispielhaft für die anhaltende Verfolgung einer NGO. Die Vereinigung der Frauen vom Don war eine der ersten Organisationen, die 2014 unter das Gesetz über “ausländische Agenten” fiel.Das russische Justizministerium erhielt die Befugnis, Organisationen zwangsweise auf seine Liste „ausländischer Agenten“ zu setzen. Daraufhin gründeten die Aktivist*innen eine neue Organisation, Foundation of the Don Women (Stiftung der Frauen vom Don), um ihre Arbeit fortsetzen zu können. Im Oktober 2015 kam aber auch diese Organisation auf die Liste „ausländischer Agenten”. Am 24. Juni wurde Valentina Cherevatenko, die Gründerin und Vorsitzende der NGO, informiert, dass sie jetzt offiziell zur Verdächtigen gemäß Paragraf 330.1 des Strafgesetzbuchs erklärt worden sei. Nach Paragraf 330.1 ist die "systematische Unterlassung von Verpflichtungen, die das Gesetz über Non-Profit-Organisationen mit der Funktion ausländischer Agenten vorschreibt" eine Straftat. Wenn sie schuldig gesprochen wird, drohen Valentina Cherevatenko bis zu zwei Jahre Haft.

Amnesty International fordert die russischen Behörden auf, das Gesetz über “ausländische Agenten” zurückzuziehen und alle willkürlichen Einschränkungen der Arbeit von NGOs aufzuheben.

„Die russischen Behörden sollen souverän genug sein, konstruktive Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen zu akzeptieren und zu lernen, mit ihnen und nicht gegen sie zu arbeiten. Der erste Schritt in diese Richtung ist die Aufhebung des Gesetzes über ‚ausländische Agenten“ und aller anderen willkürlichen Einschränkungen der Arbeit von NGOs”, betont Sergei Nikitin.

Seit 2012 zahlreiche Durchsuchungen und Bußgelder

Das russische Agentengesetz wurde im Juni 2012 verabschiedet und trat im November 2012 in Kraft. Es zwingt NGOs, die sich "politisch" betätigen und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren und auf diesen Status in ihren offiziellen Publikationen hinzuweisen, um sie öffentlich zu diffamieren. Seitdem gab es bei hunderten NGOs unangekündigte Durchsuchungen durch russische Behörden. Mehrere NGOs wurden mit Bußgeldern belegt und mussten schließen. Die Verfahren behindern die Organisationen stark in ihrer zivilgesellschaftlichen Arbeit. Seit einer Gesetzesänderung in diesem Jahr darf das Justizministerium Organisationen auch ohne deren Einverständnis als ausländische Agenten eintragen.