Straflosigkeit für das Militär dauert an
23. August 2019Zwei Jahre nach Beginn der großen Militäroffensive im Bundesstaat Rakhine bleibt die Situation in Myanmar angespannt: Angehörige der Rohingya, die vor zwei Jahren nach Bangladesch geflohen sind, droht die Rückführung nach Myanmar – obwohl der Bundesstaat Rakhine weiterhin für sie unsicher ist. Die Verantwortlichen für Mord, Vergewaltigung und niedergebrannte Dörfer entziehen sich bis heute der Strafverfolgung, kritisiert Amnesty International.
„Die jüngsten Pläne einer beschleunigten Rückführung Tausender Rohingya aus Bangladesch nach Myanmar hat in den Flüchtlingslagern Angst und Schrecken ausgelöst. Die Erinnerungen an Mord, Vergewaltigung und niedergebrannte Dörfer sind in den Köpfen der geflohenen Rohingya noch frisch. Das myanmarische Militär ist so mächtig und unbarmherzig wie eh und eh. Somit bleibt eine Rückkehr nach Rakhine unsicher für alle“, sagte Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ost- und Südostasien bei Amnesty International.
Ein deutliches Zeichen setzten die Geflüchteten nun selbst: Am 22. August scheiterte die Rückführung von Hunderten Rohingya nach Myanmar. Niemand auf der Rückführungsliste – die zwischen Myanmar und Bangladesch vereinbart wurde –, war bereit, freiwillig ins Land zurückzukehren.
Die internationale Gemeinschaft muss mit den Behörden in Bangladesch zusammenarbeiten, um den geflohenen Rohingya einen würdevollen Neuanfang zu ermöglichen. Ohne eine angemessene Einbindung der Rohingya sollten keine Entscheidungen über ihre Zukunft getroffen werden.
Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ost- und Südostasien bei Amnesty International
Vor zwei Jahren begann die große Militäroperation im Bundesstaat Rakhine. Die Angriffe zwangen mehr als 740.000 Frauen, Männer und Kinder der ethnischen Gruppe der Rohingya, über die Grenze nach Bangladesch zu fliehen. Dort leben sie noch heute. Eine UN-Untersuchungskommission stufte die grausame Militäroperation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.
Die Generäle, die die Angriffe auf die Rohingya koordinierten haben, sind nach wie vor auf ihren Posten. „Dieser traurige Jahrestag erinnert uns deutlich daran, dass es dem UN-Sicherheitsrat nicht gelungen ist, sich an die Seite der Überlebenden zu stellen und die Verantwortlichen für die Verbrechen vor Gericht zu stellen. Die Lage in Myanmar muss dringend dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben und ein wirksames Waffenembargo verhängt werden“, sagt Nicholas Bequelin.
Der Amnesty-Bericht ‘We Will Destroy Everything‘: Military Responsibility for Crimes against Humanity in Rakhine State, Myanmar vom Juni 2018 dokumentiert das Vorgehen der Militäreinheiten in Rakhine. Der Bericht zeigt, dass die Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen bis in die obersten Befehlsstrukturen reicht. Neben Myanmars Armeechef Min Aung Hlaing hat Amnesty International zwölf weitere Personen identifiziert, die bei diesen Menschenrechtsverletzungen eine Schlüsselrolle spielten. Gegen sie müssen Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet werden, fordert Amnesty.
Im Mai 2019 zeigte der Amnesty-Bericht mit dem Titel No one can protect us: War crimes and abuses in Myanmar’s Rakhine State weitere Kriegsverbrechen durch myanmarische Militärangehörige auf, die diese im Rahmen einer späteren Offensive gegen die bewaffnete Rohingya-Gruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) begangen hatte.
Der UN-Menschenrechtsrat verabschiedete 2018 eine Resolution für die Rechenschaftspflicht in Myanmar – es sollen Beweise für Völkerrechtsverbrechen gesammelt und gesichert werden. Das begrüßt Amnesty International, fordert aber weiterhin, dass sich der Internationale Strafgerichtshof mit der Situation in Myanmar befassen muss.
Albtraum auf beiden Seiten der Grenze
Den Rohingya werden auf beiden Seiten der Grenze zwischen Myanmar und Bangladesch ihre Rechte verweigert: In Myanmar leben Hunderttausende Rohingya seit Jahrzehnten unter systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung. Das zeigt der Amnesty-Bericht ‘Caged without a roof’: Apartheid in Myanmar’s Rakhine State: Rohingya dürfen sich nicht frei bewegen, der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung wird ihnen verwehrt.
In Bangladesch leben mehr als 910.000 Rohingya in Flüchtlingslagern, wo ihnen häufig die elementarsten Grundrechte verweigert werden. Darunter sind auch Menschen, die bereits vor früheren Angriffen geflohen sind. Die Regierung in Bangladesch schränkt ihr Leben stark ein: Auch sie können sich nicht frei bewegen, dürfen keine Arbeit annehmen und ihre Kinder dürfen nicht zur Schule gehen.
Am 15. August 2019 gaben die Regierungen von Bangladesch und Myanmar bekannt, dass sie eine beschleunigte Rückführung der Flüchtlinge aus Bangladesch nach Myanmar planen. In einem ersten Schritt sollen 3.450 Rohingya zurückgeführt werden. Die Behörden in Bangladesch gaben zwar an, dass die Rückführungen nur durchgeführt werden sollten, wenn sie sicher, freiwillig und in Würde vonstattengehen könnten. Eine angemessene Einbeziehung der Rohingya im Vorfeld fand jedoch nicht statt. Außerdem haben es die Behörden in Myanmar versäumt, die Rechenschaftspflicht für die begangenen Verbrechen umzusetzen und das bestehende Apartheitssystem abzuschaffen – was einer sicheren und würdevollen Rückführung klar entgegensteht.