"Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Schuldsprüche und Strafen aufgehoben werden. Außerdem sollten sie ein offizielles Hinrichtungsmoratorium verhängen mit dem Ziel, die Todesstrafe ganz abzuschaffen“, fordert Heba Morayef.
Menschenrechtsverstöße in jeder Verfahrensphase
Der Bericht von Amnesty International dokumentiert die Fälle von 95 Menschen – die meisten von ihnen Männer –, die sich von 2011 bis 2019 vor dem SCC verantworten mussten, von dem Sonderstrafgericht verurteilt wurden oder noch auf ihren Verfahrensausgang warten. Gegen mindestens elf Personen, die aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihrer Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit festgenommen wurden, laufen derzeit Verfahren vor dem SCC. Etwa 52 Personen verbüßen inzwischen Haftstrafen von zwischen fünf und 30 Jahren.
Von den Verfahren des SCC sind Menschenrechtsverteidiger*innen, Schriftsteller*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen, Journalist*innen, Geistliche, Reformbefürworter*innen, politische Aktivist*innen und Angehörige der schiitischen Minderheit betroffen. Häufig entsprechen diese Verfahren, die wegen vager Terrorismus- oder Cyberkriminalitätsvorwürfen eingeleitet werden, nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Oft enden sie in strengen Urteilssprüchen oder gar einem Todesurteil.
Besonders schwerwiegend ist laut den Recherchen von Amnesty International die Praxis des Sonderstrafgerichts, seine Urteile auf durch Folter erzwungene „Geständnisse“ zu stützen.
Todesstrafe und mit Folter erzwungene „Geständnisse“
Mehrere Angehörige der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien sind unmittelbar in Gefahr, hingerichtet zu werden, nachdem sie in unfairen Verfahren vor dem SCC zum Tode verurteilt wurden. Seit 2016 sind mindestens 28 Angehörige der schiitischen Minderheit hingerichtet worden. Viele von ihnen waren auf der Grundlage erzwungener „Geständnisse“ vor dem SCC zum Tode verurteilt worden.
Das SCC hat in der Vergangenheit auch junge Männer für Straftaten zum Tode verurteilt, die sie als Minderjährige begangen haben sollen. Die Todesurteile stützten sich auf durch Folter oder Zwang erlangte „Geständnisse“ und wurden später auch vollstreckt. Im Jahr 2012 wurden drei Jugendliche – Ali al-Nimr (17 Jahre), Abdullah al-Zaher (16 Jahre) und Dawood al-Marhoon (17 Jahre) – wegen ihrer Beteiligung an regierungskritischen Demonstrationen separat festgenommen. Die drei jungen Männer sind in einem SCC-Verfahren, das bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Verfahren entsprach, zum Tode verurteilt worden und ihnen droht nun unmittelbar die Hinrichtung.
Menschenrechtliche Reformen wurden nicht umgesetzt
Die reformfreundliche Rhetorik der Regierung, die seit der Ernennung des Kronprinzen Mohammed bin Salman an Fahrt aufgenommen hat, deckt sich nicht mit der tatsächlichen Menschenrechtslage im Land. Zur gleichen Zeit, als die Regierung eine Reihe positiver Reformen bezüglich der Rechte von Frauen umsetzte, begannen die Behörden damit, scharf gegen einige der prominentesten Menschenrechtsverteidigerinnen vorzugehen, die sich seit Jahren für eben diese Reformen eingesetzt hatten. In einem weltweiten Appell fordern Amnesty-Unterstützer*innen ihre Freilassung. Auch andere Menschen, die sich für gesellschaftliche Veränderungen einsetzen, wurden ins Visier genommen.
Im März und September 2019 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat in einer beispiellosen Geste gemeinsame Stellungnahmen zu Saudi-Arabien, in denen eine Reihe von Punkten für wichtige menschenrechtliche Reformen angeführt werden. Von diesen sind bisher jedoch noch keine umgesetzt worden und die Mitglieder des Menschenrechtsrats müssen dafür sorgen, dass die Lage weiterhin überwacht wird, u. a. durch einen Überwachungs- und Berichterstattungsmechanismus zur Menschenrechtslage.
Hintergrund
Das SCC wurde im Oktober 2008 eingerichtet, um Personen den Prozess zu machen, denen terrorismusbezogene Straftaten vorgeworfen werden. Seit 2011 wird das Sonderstrafgericht systematisch dazu genutzt, Menschen auf der Grundlage vager Anklagen vor Gericht zu stellen, wobei friedliche politische Aktivitäten oftmals mit terrorismusbezogenen Straftaten gleichgesetzt werden. Das Antiterrorgesetz beinhaltet unangemessen weit gefasste und vage Definitionen der Begriffe „Terrorismus“ und „terroristische Straftat“ und enthält Bestimmungen, mit denen die friedliche Meinungsäußerung kriminalisiert wird.
Mitarbeiter*innen von Amnesty International haben für diesen Bericht Gerichtsdokumente, Regierungserklärungen und nationale Rechtsvorschriften analysiert und Interviews mit Aktivist*innen, Anwält*innen und Angehörigen der Betroffenen geführt. Amnesty International schrieb am 12. Dezember 2019 an die saudischen Behörden und erhielt eine Antwort von der offiziellen Menschenrechtskommission, in der die einschlägigen Gesetze und Verfahren zusammengefasst wurden, ohne jedoch direkt auf die in dem Bericht angesprochenen Fälle einzugehen.