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Rüstungsindustrie ignoriert ihre Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen

9. September 2019

Zusammenfassung

  • Neuer Amnesty-Bericht zeigt, dass Unternehmen wie Airbus, BAE Systems und Raytheon ihre Sorgfaltspflicht in Bezug auf Menschenrechte verletzen
  • Große Industrieunternehmen tun nicht genug, um zu verhindern, dass ihre Produkte bei Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen eingesetzt werden

Diese Woche findet in London mit der Defence & Security Equipment International (DSEI) eine der weltweit größten Waffenmessen statt. Ein neuer Bericht von Amnesty International zeigt, dass große Industrieunternehmen wie Airbus, BAE Systems und Raytheon in Bezug auf Menschenrechte keine angemessene Sorgfaltspflicht anwenden, um zu verhindern, dass ihre Produkte bei möglichen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen eingesetzt werden.

Für den Bericht Outsourcing Responsibility hat Amnesty International 22 Rüstungsunternehmen dazu befragt, wie sie ihrer Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte nach international anerkannten Standards nachkommen. Viele der befragten Unternehmen liefern Waffen an Länder, die Kriegsverbrechen und schwerer Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, darunter Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Keines der antwortenden Unternehmen konnte hinreichend erklären, wie es seiner Verantwortung für die Menschenrechte nachkommt oder eine angemessene Sorgfaltspflicht nachweisen; 14 Unternehmen reagierten überhaupt nicht.

Die Rolle von Rüstungsunternehmen bei tödlichen, von schweren Menschenrechtsverletzungen gekennzeichneten Konflikten wird schon viel zu lange totgeschwiegen.

Patrick Wilcken, Experte für Waffenhandelskontrolle bei Amnesty International

Staaten wie Großbritannien werden zu Recht wegen ihrer rücksichtslosen Waffengeschäfte vor Gericht gestellt. Doch Unternehmen, die von der Waffenlieferung an Länder profitieren, die in diese Konflikte verwickelt sind, ist es weitgehend gelungen, sich der Kontrolle zu entziehen“, sagt Patrick Wilcken, Experte für Waffenhandelskontrolle bei Amnesty International und sagt weiter:

„Nicht eines der von uns angesprochenen Unternehmen konnte belegen, seiner Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Menschenrechte angemessen nachgekommen zu sein. Dies zeugt nicht nur von einer alarmierenden Gleichgültigkeit gegenüber den menschlichen Kosten ihres Gewerbes. Es könnte auch dazu führen, dass diese Unternehmen und ihre Chef*innen wegen der Mittäterschaft an Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgt werden.“

Über Rolle von Unternehmen wird oft hinweggesehen

Amnesty befragte 22 Rüstungsunternehmen aus elf Ländern, darunter Airbus (Niederlande), Arquus (Frankreich), Boeing (USA), BAE Systems (Großbritannien), Leonardo (Italien), Lockheed Martin (Großbritannien), Raytheon (USA), Rosoboronexport (Russland), Thales (Frankreich) und Zastava (Serbien). Eine vollständige Liste der Antworten finden Sie hier.

Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten zur Regulierung des internationalen Waffenhandels sind in Waffenhandelsabkommen und regionalen und nationalen Gesetzen klar definiert. Über die entscheidende Rolle der Unternehmen bei der Lieferung militärischer Güter und Dienstleistungen wird jedoch oft hinweggesehen – und das obwohl die Art ihres Gewerbes und ihrer Produkte bereits Risiken in sich birgt.

Waffen für den Einsatz im Jemen

Die Defence & Security Equipment International (DSEI) ist eine der weltweit größten Waffenmessen, sie findet dieses Jahr vom 10.-13. September statt. Zu den Ausstellern gehören Unternehmen, die mit der Lieferung von Waffen und Dienstleistungen für die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) angeführte Militärkampagne im Jemen Millionenbeträge verdient haben.

So hatten unter anderem BAE Systems, Boeing, Lockheed Martin und Raytheon wesentlichen Anteil an den Militäraktionen der Koalition, da sie eine Reihe von Kampfflugzeugen, die wiederholt zivile Objekte wie Häuser, Schulen, Krankenhäuser und Marktplätze getroffen haben, mit Waffensystemen ausgestattet haben.

Keines dieser Unternehmen erklärte, in welcher Form es seiner Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte nachgekommen war, um die Risiken der Lieferung von Waffen und Dienstleistungen an die von Saudi-Arabien und den VAE geführte Koalition zu bewerten und zu verhindern.

In einem Fall konnte Amnesty International den Splitter einer Bombe vom Schauplatz eines Luftangriffs in Sana'a, bei dem 2017 sechs Kinder und ihre Eltern getötet wurden, zum Raytheon-Werk in Arizona zurückverfolgen.

Auf die Frage von Amnesty International, welche Schritte Raytheon unternommen habe, um diesen Vorfall zu untersuchen und darauf zu reagieren, gab das Unternehmen folgende Antwort: „Aufgrund von rechtlichen Beschränkungen, Kundenbelangen ... gibt Raytheon keine Informationen zu seinen Produkten, Kunden oder betrieblichen Fragen weiter.“

Außerdem hieß es, dass der Export von militärischem und sicherheitstechnischem Gerät „einer umfassenden Überprüfung durch US-Außenministerium, Verteidigungsministerium und Kongress unterliegt“.

Auslagerung der Verantwortung

„Die meisten Unternehmen wiesen in ihrer Antwort an Amnesty International darauf hin, dass ihre Heimatstaaten im Rahmen der Waffengenehmigungsverfahren für die Bewertung der Risiken für die Menschenrechte zuständig seien“, sagt Patrick Wilcken und sagt weiter:

„Doch die staatliche Regulierung befreit Unternehmen – unabhängig davon, in welchem Sektor sie tätig sind – nicht von der Einhaltung ihrer eigenen Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte. Sich hinter den Regierungen zu verstecken, reicht nicht. Vor allem dann nicht, wenn sich gezeigt hat, dass bei der Erteilung von Genehmigungen Fehler begangen wurden, und Regierungen, die diese Genehmigungen erteilen, selbst wegen ihrer Beteiligung an Kriegsverbrechen und anderen Verletzungen der Menschenrechte in der Kritik stehen.“

Unternehmen weisen Verantwortung von sich

BAE Systems beschrieb die Schlussfolgerungen von Amnesty International als „falsch und irreführend“ und fügte hinzu, dass BAE Systems im Rahmen seiner Handelspolitik „eigene angemessene Richtlinien und Prozesse unter Wahrung von Gesetzen und Vorschriften“ anwende. Auf die Frage nach der Einhaltung der Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Menschenrechte im Zusammenhang mit Handelsgeschäften des Unternehmens mit Saudi-Arabien antwortete das Unternehmen jedoch Folgendes: „Unsere Aktivitäten in Saudi-Arabien unterliegen der Genehmigung und Aufsicht durch die britische Regierung.“

Das Unternehmen Leonardo gab an, dass die Schlussfolgerungen von Amnesty International „nicht ganz fair“ seien und das Unternehmen seiner Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte in einem Maße nachkomme, das über die Einhaltung nationaler Gesetze und Vorschriften über die Genehmigung von Waffenexporten hinausgehe. Allerdings erläuterte das Unternehmen nicht näher, wie dies konkret in der Praxis aussieht – beispielsweise beim Export von Rüstungsgütern an die Koalition aus Saudi-Arabien und den VAE für den Einsatz im Jemen-Konflikt.

Keine Rückmeldung von 14 Unternehmen

14 Unternehmen haben auf die Anfrage von Amnesty gar nicht reagiert. Dazu gehört der russische Waffenexporteur Rosoboronexport. Das Unternehmen beliefert die syrische Armee, der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, mit militärischem Gerät. Keine Antwort gab es auch von Zastava, einem serbischen Unternehmen, dessen Gewehre Amnesty mit einer grausamen Massenhinrichtung in Kamerun in Zusammenhang bringen konnte; oder von Arquus (ehemals Renault Trucks Défense), einem französischen Unternehmen, das gepanzerte Fahrzeuge nach Ägypten geliefert hat, wo sie dazu benutzt wurden, brutal gegen Menschen vorzugehen, die kritische Meinungen äußerten.

Amnesty International fordert Rüstungsunternehmen auf

  • das bisherige Verhalten ihrer Kunden anhand von Menschenrechtsstandards zu überprüfen,

  • hohe Erwartungen hinsichtlich der Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen vertraglich festzuhalten, deren Einhaltung durch ihre Kunden kontinuierlich zu überwachen und

  • regelmäßig zu überprüfen und Möglichkeiten zur Beeinflussung des Kundenverhaltens zu nutzen.

Rüstungskonzerne waschen ihre Hände in Unschuld, indem sie behaupten, dass sie nach dem Versand ihrer Waren keine Kontrolle mehr über deren Verwendung hätten. Dieses Argument ist jedoch weder rechtlich noch ethisch haltbar.

Patrick Wilcken

"Es wird höchste Zeit, dass die Unternehmen Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen.  Wenn sich das Risiko, dass Waffen für Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden, nicht verhindern lässt, sollten Unternehmen die Lieferung von Waffen vermeiden oder einstellen", sagt Patrick Wilcken. 

Hintergrund

Laut den UN-Leitsätzen für Wirtschaft und Menschenrechte, wie sie im Juni 2011 einstimmig vom UN-Menschenrechtsrat gebilligt wurden, tragen alle Unternehmen eine Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte. Im Rahmen dieser Verantwortung unterliegen sie einer Sorgfaltspflicht, die potenziellen wie auch tatsächlichen negativen Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte zu ermitteln, diese zu verhindern, abzumildern und Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie dies tun.

Für den Verteidigungssektor bedeutet das, dass Unternehmen mögliche Menschenrechtsrisiken und -verstöße in allen Bereichen ihrer Geschäftstätigkeit bewerten und bekämpfen müssen. Das betrifft auch die Art und Weise, wie ihre Kunden – darunter auch Armeen und Polizeikräfte – ihre Waffen und dazugehörige Dienstleistungen einsetzen.

Der Hauptzweck der Sorgfaltspflicht besteht darin, die Verursachung von oder Mitwirkung an Menschenrechtsverletzungen zu unterlassen. Wenn ein Unternehmen nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte nicht verhindern oder angemessen mildern kann, sollte es daher die Lieferung der betreffenden Waffen und dazugehörigen Dienstleistungen vermeiden oder einstellen. Diese Verantwortlichkeiten gehen über die Einhaltung nationaler Gesetze und Vorschriften – wie zum Beispiel staatliche Genehmigungsverfahren – zum Schutz der Menschenrechte hinaus.

Die Nichteinhaltung einer angemessenen Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte erhöht sowohl das Risiko einer Rufschädigung wie auch die rechtlichen Risiken für eine Branche, die hochriskante Produkte in gefährliche Regionen liefert. Rechtliche Konzepte wie die „Mittäterschaft" und „Beihilfe“ von Unternehmen bei der Begehung von Verbrechen nach dem Völkerrecht entwickeln sich weiter und könnten in Zukunft für Rüstungsunternehmen gelten, die weiterhin Waffen liefern, obwohl sie wissen, dass diese möglicherweise zur Begehung oder Erleichterung schwerer Verletzungen internationaler Menschenrechtsnormen oder des humanitären Völkerrechts eingesetzt werden.

Amnesty International hat 22 Rüstungsunternehmen kontaktiert, von denen die folgenden acht geantwortet haben: Airbus, BAE Systems, Leonardo, Lockheed Martin, Raytheon, Rolls-Royce, Saab und Thales. Vonseiten der anderen 14 Unternehmen – Arquus, Avibras, Boeing, Dassault Aviation, Elbit Systems, Embraer, Heckler and Koch, General Dynamics, Herstal Group, Norinco, Northrop Grumman, Remington Outdoor, Rosoboronexport und Zastava – blieb eine Antwort aus.

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