Loading...
© Mostafa Alkharouf Anadolu Via Getty Images

Presse © Mostafa Alkharouf Anadolu Via Getty Images

Rechtswidrige Angriffe des israelischen Militärs im Gazastreifen führen zu massiven zivilen Opfern

12. Februar 2024

Recherchen von Amnesty International haben neue Beweise für tödliche, rechtswidrige Angriffe im besetzten Gazastreifen ergeben. Die Untersuchung von vier Fällen zeigt, wie die israelischen Streitkräfte das humanitäre Völkerrecht missachten und ganze Familien ungestraft auslöschen.

Amnesty International hat vier Angriffe des israelischen Militärs auf Rafah im Süden des Gazastreifens untersucht. Davon wurden drei im Dezember 2023 nach Ende der humanitären Feuerpause und einer im Januar 2024 verübt. Bei diesen Angriffen im damals angeblich «sichersten» Gebiet des Gazastreifens wurden mindestens 95 Zivilist*innen getötet, fast die Hälfte von ihnen Kinder. Alle vier Angriffe sind wahrscheinlich direkte Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Objekte und müssen als Kriegsverbrechen untersucht werden.

Wahllose Angriffe auf Zivilpersonen sind Kriegsverbrechen

Bei allen vier Angriffen fand Amnesty keinen Hinweis darauf, dass die angegriffenen Wohngebäude als legitime militärische Ziele betrachtet werden könnten oder dass die Menschen in den Gebäuden militärische Ziele waren. Selbst wenn die israelischen Streitkräfte die Absicht gehabt hätten, legitime militärische Ziele in der Umgebung anzugreifen, wäre bei diesen Angriffen versäumt worden, zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten zu unterschieden und sie wären daher wahllos erfolgt.

Wahllose Angriffe, bei denen Zivilist*innen getötet und verletzt werden, sind Kriegsverbrechen. Die von Amnesty International gesammelten Beweise deuten auch darauf hin, dass das israelische Militär es versäumt hat, vor dem Beginn der Angriffe eine wirksame oder überhaupt eine Warnung auszusprechen – zumindest für die Bewohner*innen der angegriffenen Orte. Drei der Angriffe wurden nachts verübt; also zu einem Zeitpunkt bei dem davon auszugehen war, dass sich die Zivilbevölkerung, darunter auch aus anderen Gebieten vertriebene Familien, in ihren Häusern und Betten aufhielt, was tatsächlich auch so war.

Erika Guevara-Rosas, leitende Direktorin für Forschung, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International, sagt: „Ganze Familien wurden bei israelischen Angriffen ausgelöscht, obwohl sie in als sicher eingestuften Gebieten Zuflucht gesucht hatten und von den israelischen Behörden nicht vorgewarnt worden waren. Diese Angriffe zeigen ein anhaltendes Muster, nämlich, dass die israelischen Streitkräfte immer wieder gegen das Völkerrecht verstoßen. Sie stehen im Widerspruch zu den Behauptungen der israelischen Behörden, dass ihre Streitkräfte erhöhte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung zu minimieren.”

Nach der Feststellung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 26. Jänner, dass ein unmittelbares und reales Risiko eines Völkermords besteht, unterstreichen die schrecklichen Erkenntnisse unserer Recherchen die Dringlichkeit für einen sofortigen Waffenstillstand aller Konfliktparteien. Dies ist der effektivste Weg, die vom IGH angeordneten vorläufigen Maßnahmen umzusetzen.

Amnesty International fordert alle Staaten auf, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen, um weitere Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verhindern und den Zugang zu lebensrettenden Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen sicherzustellen. Außerdem müssen alle Staaten dringend Maßnahmen ergreifen, um anhaltende Völkerrechtsverbrechen zu verhindern, unter anderem durch ein umfassendes Waffenembargo gegen Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen.

Erika Guevara-Rosas sagt: „Mehrere Familien der Opfer sagten uns, dass der Kampf um ein gewisses Maß an Gerechtigkeit alles ist, was sie trotz ihres Verlustes weiter machen lässt. Sie betonten, wie wichtig es ist, gegen die seit Langem bestehende Straflosigkeit für Kriegsverbrechen und andere Verbrechen nach internationalem Recht durch israelische Streitkräfte vorzugehen. Dazu gehört auch die dringende Notwendigkeit, dass die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofs ihre Ermittlungen zu Beweisen für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten aller Parteien beschleunigt.”

Hintergrund

Amnesty International besuchte die Schauplätze aller vier Angriffe, machte Fotos und Videos von den Zerstörungen und befragte insgesamt 18 Personen, darunter 14 Überlebende und vier Angehörige, die an den Rettungsmaßnahmen beteiligt waren. Das Crisis Evidence Lab analysierte Satellitenbilder, Fotos und Videos, um die Angriffe und die daraus resultierenden Zerstörungen zu lokalisieren und zu verifizieren.

Amnesty überprüfte auch das Kriegstagebuch, das auf der offiziellen Seite des israelischen Militärs veröffentlicht wurde, und fand keinen Hinweis auf einen der vier Angriffe. Amnesty International hat am 19. und 30. Januar 2024 Fragen zu den Angriffen an die israelischen Behörden geschickt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag keine Antwort vor.

Rafah ist im Zuge des Konflikts zwischen Hamas und anderen bewaffneten palästinensischen Gruppen einerseits und dem israelischen Militär andererseits zum am stärksten überfüllten Gebiet des Gazastreifens geworden. Hier leben mehr als eine Million Menschen, die überwiegende Mehrheit von ihnen Vertriebene, unter katastrophalen Bedingungen; unter anderem in behelfsmäßigen Zelten und Schulen. Die Bevölkerung des Gouvernements hat sich im Vergleich zur Vorkriegszeit verfünffacht. Sollten die israelischen Streitkräfte eine Bodenoperation in Rafah starten, hätte dies höchstwahrscheinlich katastrophale Folgen für die Vertriebenen, die nirgendwohin fliehen können, und für das gesamte Hilfssystem, das bereits jetzt an seine Grenzen stößt.

Zusätzlich zu diesen vier Angriffen hat Amnesty International mehrere weitere Fälle dokumentiert, in denen israelische Streitkräfte seit dem 7. Oktober 2023 rechtswidrige Angriffe durchgeführt haben, bei denen Zivilist*innen getötet und verletzt wurden. Amnesty kritisiert auch die verschärfte Abriegelung des Gazastreifens, die Verweigerung des Zugangs zu Wasser und Nahrungsmitteln, die zu schwerem Hunger und der steigenden Gefahr einer Hungersnot beigetragen hat, sowie der Zerstörung von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen und anderer wichtiger Infrastruktur.

Nahostkonflikt: Menschenrechte in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten

Mehr dazu