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Nehammer-Besuch in der Türkei: Nachhaltige Sicherheitspolitik erfordert klare Haltung zu Menschenrechten

9. Oktober 2023

Amnesty International Österreich und die asylkoordination österreich fordern Bundeskanzler Karl Nehammer auf, die alarmierenden Menschenrechtsverletzungen in der Türkei bei seinem Besuch beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am 10. Oktober in Ankara zu thematisieren.

Die Menschenrechtslage in der Türkei wird immer dramatischer und die österreichische Politik kann das nicht einfach ignorieren. Bundeskanzler Nehammer muss das harte Vorgehen der türkischen Behörden gegen Menschenrechtsverteidiger*innen verurteilen und unmissverständlich klarstellen, dass die sich verschlechternde Menschenrechtslage in der Türkei die Beziehungen von Österreich bzw. den EU-Mitgliedsstaaten zur Türkei beeinträchtigen wird.

Das Engagement Österreichs mit der türkischen Regierung kann nicht wie gewohnt weitergehen, während in der Türkei die Rechte der Bevölkerung mit Füßen getreten werden.

Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

"Die anhaltende Unterdrückung der Meinungsfreiheit, unrechtmäßige Verhaftungen und Gewalt gegen friedliche Demonstrierende und Angriffe auf Minderheiten sind inakzeptabel. Es ist höchste Zeit, dass Nehammer Mut zeigt und klar Stellung zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei bezieht!”, sagt Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

„Die massive Steigerung der Schutzansuchen türkischer Staatsangehöriger in Österreich in diesem Jahr ist ein Alarmzeichen: Während die Gesamtzahl der Anträge zurückgegangen ist haben dieses Jahr schon über 4.500 Menschen aus der Türkei einen Asylantrag gestellt. Im September waren das 20% aller Anträge in Österreich. Diese Fakten sind ein klarer Auftrag für den Bundeskanzler, die sich verschlimmernde Menschenrechtssituation in der Türkei klar und proaktiv anzusprechen,“ sagt Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher von asylkoordination österreich.

Verfolgung von kritischen Stimmen in der Türkei an der Tagesordnung

Im September bestätigte das höchste Gericht der Türkei eine lebenslange Haftstrafe gegen den prominenten Menschenrechtsaktivisten und Philanthropen Osman Kavala sowie 18-jährige Haftstrafen für vier weitere Aktivist*innen, die an den Massenprotesten gegen die Regierung im Jahr 2013 beteiligt waren. Amnesty International verurteilt dieses Urteil als einen politisch motivierten Angriff auf Menschenrechte.

Die türkischen Präsidentschaftswahlen im Mai fanden vor dem Hintergrund anhaltender Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit in der Türkei statt, sowie ungerechtfertigter Ermittlungen, Verfolgungen und Verurteilungen von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, Oppositionspolitiker*innen und anderen kritischen Stimmen. Im vergangenen Jahr hat das türkische Parlament drakonische Gesetzesänderungen vorgenommen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet weiter einschränken.

LGBTQIA+-Personen in der Türkei sehen sich einem zunehmend feindlichen und bedrohlichen Klima ausgesetzt. Diskriminierende Äußerungen von Regierungsmitgliedern, einschließlich Präsident Erdogan, die sich gegen LGBTQIA+-Personen richten, werden von Einschränkungen und Verhaftungen begleitet. Dieses Jahr griff die Polizei in mehreren Provinzen zu rechtswidriger Gewalt, um Hunderte von Teilnehmer*innen an verbotenen Pride-Märschen festzunehmen.

Migration: menschenrechtswidrige Praxis und rassistisch geprägte Rhetorik in Politik und Medien

Die Türkei beherbergt zwar immer noch die größte Zahl von Geflüchteten weltweit, doch hat die flüchtlingsfeindliche und rassistisch geprägte Rhetorik in Politik und Medien beunruhigend zugenommen. Die türkische Praxis von Abschiebungen afghanischer und syrischer Staatsangehöriger untergräbt den internationalen Flüchtlingsschutz und ist eine Verletzung des absolut geltenden Non-Refoulement-Gebots. Darüber hinaus gibt es zahlreiche ernsthafte und glaubwürdige Anschuldigungen über Folter und andere Formen der Misshandlung in der Türkei selbst.

Trotz der gut dokumentierten Verletzungen der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen im Land sucht die EU weiterhin die Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden in dem Versuch, Migrant*innen und Geflüchtete im Land zu halten, unter anderem durch das gescheiterte Abkommen zwischen der EU und der Türkei.

„Angesichts dieser Fakten kann keine Rede davon sein, dass die Türkei derzeit ein sicheres Drittland ist. Im Gegenteil: Der Umgang der Türkei mit Geflüchteten löst weitere Fluchtbewegungen aus. Der Anstieg von Schutzansuchen türkischer Staatsangehöriger um 60% im Vergleich zum Vorjahr und die Ankunft vieler syrischer Staatsangehöriger, die aus der Türkei weitergeflüchtet sind, zeigt den Handlungsbedarf auf: Die Achtung der Menschenrechte sind die Grundlage jeder ernstzunehmender Sicherheitspolitik,“ so Hashemi und Gahleitner-Gertz abschließend.