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© Javier Bernardo/AP/Alamy

Presse © Javier Bernardo/AP/Alamy

Marokko/Spanien: 37 Tote und zahlreiche Vermisste an der Grenze zu Melilla – Schleppende Ermittlungen deuten auf Vertuschung hin

13. Dezember 2022

Zusammenfassung

  • Neuer Amnesty-Bericht: Die spanischen und marokkanischen Behörden haben bei der Aufarbeitung der tödlichen Vorfälle an der Grenze der spanischen Enklave Melilla im Juni dieses Jahres versagt.
  • Bei Zusammenstößen an der Grenze wurden mindestens 37 Menschen getötet, 77 weitere gelten noch als vermisst.
  • Amnesty International: Das klägliche Versagen der spanischen und marokkanischen Behörden deutet auch Vertuschung hin. Sie tragen kaum etwas dazu bei, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. 
  • Heute, 13.12., um 11 Uhr findet zu dem Bericht eine Pressekonferenz mit der Internationalen Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callamard, statt. Details siehe unten.

Sechs Monate nach der Tragödie veröffentlicht Amnesty International ihre Untersuchung der Ereignisse vom 24. Juni 2022, als Migrant*innen und Geflüchtete aus Subsahara-Afrika versuchten, von Marokko nach Spanien zu gelangen.

Anhand von Augenzeugenberichten, Videomaterial und Satellitenbildern zeichnet der Bericht They hit him in the head to see if he was dead”: Evidence of crimes under international law at the Melilla border ein detailliertes und erschütterndes Bild der Ereignisse, als 2.000 Migrant*innen und Geflüchtete versuchten, über einen als „Barrio Chino“ bekannten Grenzübergang nach Melilla zu gelangen.

Die Behörden auf beiden Seiten haben keine wirksamen und transparenten Ermittlungen eingeleitet, um die Wahrheit über die Geschehnisse dieses Tages ans Licht zu bringen. Vielmehr wurden sowohl Angehörige als auch Sachverständigenorganisationen in ihrer Suche nach den Vermissten von den marokkanischen Behörden wiederholt behindert.

Angesichts der mangelnden Transparenz beider Regierungen hat Amnesty International sowohl die marokkanische als auch die spanische Regierung schriftlich aufgefordert, Informationen über den Stand der Ermittlungen weiterzugeben. Außerdem ließ die Menschenrechtsorganisation beiden Regierungen im November eine Zusammenfassung ihrer eigenen Untersuchungsergebnisse zukommen. Eine Antwort steht noch aus.

Brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte

Der Bericht zeigt, dass die Ereignisse dieses Tages vorhersehbar und der Verlust von Menschenleben vermeidbar waren. Bereits in den Monaten und Tagen vor dem 24. Juni waren Geflüchtete und Migrant*innen in der Umgebung von Melilla verstärkt Angriffen der marokkanischen Sicherheitskräfte ausgesetzt. Vielen war ihr gesamtes Hab und Gut verbrannt und zerstört worden, was Tausende dazu veranlasste, zur Grenze zu laufen. Dort wurden sie von den marokkanischen und spanischen Sicherheitskräften mit unrechtmäßiger und tödlicher Gewalt empfangen.

Die Polizeikräfte bewarfen die Migrant*innen mit Steinen und feuerten in geschlossenen Räumen Tränengas auf sie ab. Viele der Verletzten wurden auch noch geschlagen und getreten, als sie schon auf dem Boden lagen, halb bewusstlos waren, nicht reagierten oder nach Atem rangen.

Sowohl die marokkanischen als auch die spanischen Behörden versäumten es, den Verletzten sofortige und angemessene medizinische Hilfe zukommen zu lassen. So wurde einem Ambulanzteam des Roten Kreuzes der Zugang zu dem Gebiet verwehrt, während Dutzende Verletzte mindestens acht Stunden lang unversorgt in der prallen Sonne lagen.

Ein Augenzeuge berichtete Amnesty International, dass spanische Sicherheitsbeamte verletzte Personen über die Grenze nach Marokko zurückdrängten, obwohl sie „bluteten und offene Wunden hatten“. Viele der nach Marokko zurückgeführten Personen wurden inhaftiert und waren im Gefängnis weiteren Misshandlungen und Gewalt ausgesetzt.

Ein 17-jähriger Sudanese berichtete Amnesty International, dass er zusammen mit „allen anderen von der Polizei gefangen genommenen Personen von der marokkanischen Polizei ins Gefängnis gebracht“ worden sei. Dort sei den anderen „mit Hämmern so lange auf den Kopf geschlagen worden, bis sie starben“. Auch andere Häftlinge seien dort zu Tode geprügelt worden.

Schätzungsweise 500 Menschen wurden mit Bussen in entlegene Teile des Landes gebracht, wo man sie beraubte und ohne medizinische Versorgung am Straßenrand zurückließ. Einige Personen berichteten Amnesty International, dass sie mehr als 1000 Kilometer weit weg verschleppt wurden.

Weder die marokkanische noch die spanische Regierung haben Untersuchungsergebnisse über die Zahl der Todesopfer und die Todesursachen veröffentlicht. Auch haben sie zu keinem Zeitpunkt angekündigt, dass sie die Gewaltanwendung durch die Grenzbeamt*innen untersuchen würden. Keine der beiden Regierungen hat das gesamte Videomaterial der zahlreichen Kameras entlang der Grenze freigegeben. Die spanischen Behörden verweigern eine unabhängige Untersuchung.

Was geschah am 24. Juni an der Grenze von Melilla?
3D-Rekonstruktion des Citizen Evidence Lab (Auf Englisch)

Das Amnesty International Citizen Evidence Lab zeigt in einer interaktiven 3D-Rekonstruktion auf, was am 24. Juni am Grenzzaun passiert ist. Im 3D-Modell werden Zeugenaussagen mit einer Visualisierung der Grenze verknüpft.

3D-Rekonstruktion öffnen

 

Pressekonferenz (auf Englisch)

 13. Dezember 2022, 11:00 Uhr MEZ,
Büro von Amnesty International in Madrid

Sprecher*innen:
Agnès Callamard (Internationale Generalsekretärin von Amnesty International)
Amna Guellali (Stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International)
Esteban Beltran (Direktor von Amnesty International in Spanien)

Die Pressekonferenz kann über Facebook Live verfolgt werden.