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Katar: Arbeiter*innen beim Bau von WM-Stadien ausgebeutet

26. September 2018

Zusammenfassung

Das Unternehmen Mercury MENA, das am Bau der Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 beteiligt war, schuldet zahlreichen ehemaligen Arbeiternehmer*innen Tausende US-Dollar.

Amnesty International fordert Entschädigung und eine Reform der Arbeitsverhältnisse.

Zahlreiche Arbeiter*innen wurden beim Bau des Vorzeigeprojekts Future City Lusail der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ausgebeutet. Die Baufirma Mercury MENA hat das berüchtigte Sponsorensystem Kafala ausgenutzt, zeigen aktuelle Amnesty-Recherchen: Seit 2016 kam es immer wieder zu Verzögerungen der Lohnauszahlungen, bis diese 2017 schließlich ganz ausblieben.

„Im Jahr 2017 steckte die katarische Regierung großes Lob für die Ankündigung einer Reihe von Arbeitsreformen ein. Doch selbst zu dem Zeitpunkt, als die entsprechenden Vereinbarungen unterzeichnet wurden, befanden sich zahlreiche Arbeiter*innen von Mercury MENA ohne Lohn in unzulänglichen Unterkünften und fragten sich, wovon sie ihr Essen bezahlen sollten und ob sie wohl jemals zu ihren Familien zurückkehren würden“, sagte Steve Cockburn, Leiter der Abteilung Globale Themen bei Amnesty International.

Viele Mitarbeiter*innen von Mercury MENA hatten große Opfer gebracht und ruinöse Kredite aufgenommen, um eine Arbeit in Katar annehmen zu können. Letztlich arbeiteten sie monatelang ohne Bezahlung in einem System, das ihnen keinerlei Schutz bot.

Steve Cockburn, Leiter der Abteilung Globale Themen bei Amnesty International

„Katar kann nun dafür sorgen, dass diesen Menschen ihr Lohn ausbezahlt wird, auf den sie ein Anrecht haben. Damit würde ihnen die Regierung helfen, sich wieder eine Existenz aufbauen zu können, und sie würde zeigen, dass sie es mit der Verbesserung von Arbeitnehmerrechten ernst meint.“

Amnesty International appelliert an die katarische Regierung, dafür zu sorgen, dass ehemalige Arbeiter*innen von Mercury MENA den Lohn für die von ihnen geleistete Arbeit erhalten. Zudem fordert Amnesty eine grundlegende Reform des Sponsorensystems Kafala, unter dem Arbeiter*innen regelmäßig von Firmen ausgebeutet werden, wie es von Amnesty International und anderen Organisationen bereits seit 2013 dokumentiert wird.

Über die Recherchen

Von Oktober 2017 bis April 2018 führte Amnesty International Gespräche mit 78 ehemaligen Arbeitnehmer*innen von Mercury MENA, die aus Indien, Nepal und den Philippinen stammen und denen das Unternehmen große Summen Geld schuldet. In Nepal, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag lebt, sprach Amnesty International mit 34 Personen, denen das Unternehmen im Durchschnitt je 2.035 US-Dollar schuldet.

Löhne systematisch vorenthalten

Den meisten der ehemaligen Arbeitnehmer*innen von Mercury MENA, mit denen Amnesty International gesprochen hat, schuldete die Firma zwischen 1.370 und 2.470 US-Dollar (zwischen 5.000 und 9.000 Katar-Riyal) in Löhnen und sonstigen Leistungen.

Laut Amnesty-Recherchen begannen sich die Lohnauszahlungen von Mercury MENA etwa ab Februar 2016 zu verzögern, und im Jahr 2017 kam es dann zu immer größeren Verzögerungen und ungelösten Disputen. Das Unternehmen enthielt seinen Arbeiter*innen zudem die gesetzlich erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen vor, was dazu führte, dass Arbeiter*innen Geldstrafen bezahlen mussten, was wiederum ihre Aussichten auf einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder die Heimkehr noch stärker schwinden ließ. In mindestens einem Fall weigerte sich die Firma, einem Arbeiter, der nach Hause zurückkehren wollte, eine sogenannte Ausreiseerlaubnis auszustellen.

Im Rahmen des katarischen Sponsorensystems waren Arbeitgeber häufig in der Lage, Arbeiter*innen an der Ausreise oder an einem Wechsel des Arbeitsplatzes zu hindern. Dadurch hatten die Betroffenen noch weniger Möglichkeiten, ausbeuterischen Bedingungen zu entfliehen oder sich gegen schlechte Behandlung zu wehren. Die Notwendigkeit einer „Ausreiseerlaubnis“ wurde im September 2018 für die meisten Arbeiter*innen abgeschafft.

Katar hinkt mit Reformen im Arbeitsrecht nach

Trotz der Zusagen, 2017 umfangreiche Reformen einzuführen, und der Abschaffung des Systems der „Ausreiseerlaubnis“ Anfang September 2018 entsprechen die Arbeitsgesetze in Katar immer noch nicht internationalen Standards. Nach wie vor können Arbeitgeber*innen in Katar Arbeiter*innen untersagen, ihren Arbeitsplatz zu wechseln – manchmal über einen Zeitraum von fünf Jahren. Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz ohne Genehmigung wechseln, können wegen „unerlaubter Abwesenheit“ belangt werden – ein Straftatbestand, der zur Inhaftierung oder Abschiebung führen könnte. Die versprochenen Reformen, darunter die Schaffung eines Fonds für Arbeiter*innen in Notsituationen und die Vereinbarung eines Mindestlohns, stehen noch aus.

Sowohl die Regierungen von Nepal als auch von Katar haben eine Verantwortung bei der Wiedergutmachung des Leids, dem Arbeiter*innen ausgesetzt waren. Zudem müssen sie sicherstellen, dass diese Ausbeutung nicht fortgesetzt wird. Nepal und Katar sind auf der Grundlage zahlreicher internationaler Verträge, die sie ratifiziert haben (darunter die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation gegen Zwangsarbeit), dazu verpflichtet, Arbeitsmigrant*innen vor Menschenrechtsverstößen zu schützen und Abhilfe zu schaffen, wenn z. B. keine Löhne gezahlt wurden.

Amnesty International fordert die Regierungen von Nepal und Katar auf, ehemalige Mitarbeiter*innen von Mercury MENA auf dem Rechtsweg zu unterstützen, damit sie die ausstehenden Löhne erhalten, und sicherzustellen, dass derartige Verstöße in der Zukunft nicht erneut verübt werden.

„Die Regierung von Katar hat nun die Möglichkeit, ihr Ansehen im Hinblick auf Arbeitsrechte vor der Fußballweltmeisterschaft entscheidend zu verbessern. Die Zahlung einer umfassenden Entschädigung an die Arbeiter*innen von Mercury MENA wäre ein wichtiges Zeichen, um deutlich zu machen, dass die Behörden gewillt sind, diese Möglichkeit zu ergreifen. Da viele ehemalige Arbeiter*innen erneut über eine Migration nachdenken, um ihre Schulden abzubezahlen, gilt es hier, keine Zeit zu verlieren“, sagte Steve Cockburn, und weiter:

„Die Ausbeutung von Arbeiter*innen durch Mercury MENA ist leider kein Einzelfall. Wir werden die Behörden von Katar weiterhin auffordern, ihr Versprechen wahrzumachen, das Sponsorensystem abzuschaffen und die Rechte von Arbeiter*innen sowohl per Gesetz als auch in der Praxis zu schützen.“

Reaktion von Mercury MENA

Im November 2017 hat Amnesty International mit dem Geschäftsführer von Mercury MENA gesprochen. Dieser hat zwar eingeräumt, dass Lohnzahlungen seit langem ausstehen, aber abgestritten, dass Arbeiter*innen ausgebeutet werden. Der Geschäftsführer hat erläutert, dass skrupellose Geschäftspartner für Liquiditätsprobleme verantwortlich seien und es mehrere Auseinandersetzungen über Zahlungen mit Auftragnehmer*innen und Kund*innen gäbe.

Unterlagen über mehrere Schriftwechsel zwischen Mercury MENA und deren Arbeiter*innen belegen, dass die Unternehmensleitung in vollem Umfang Kenntnis über die Probleme bei den Lohnzahlungen hatte und weiterhin Zusagen machte, die Löhne zu zahlen, was dann letztendlich nicht geschah.

Amnesty International hat im Dezember 2017 und im Januar 2018 erneut per E-Mail bei der Geschäftsführung von Mercury MENA Informationen angefordert und gefragt, welche Maßnahmen das Unternehmen ergreifen werde. Zudem hat Amnesty im Juli 2018 in einem Brief seine Rechercheergebnisse zusammengefasst und an Mercury MENA geschickt. Eine Antwort steht allerdings bis heute aus.

Hintergrund

Mercury MENA hieß früher Mercury Middle East und war maßgeblich am Bau eines Stadions beteiligt, das den Ausschlag dafür gab, dass Katar im Dezember 2010 von der FIFA den Zuschlag für die Weltmeisterschaft erhielt. Seither arbeiteten die für das Unternehmen tätigen Arbeiter*innen an einigen der prestigeträchtigsten Projekte in Katar mit, wie zum Beispiel an der Zukunftsstadt Lusail, wo die Eröffnungs- und Abschlussspiele der Weltmeisterschaft stattfinden sollen. Andere waren an der Errichtung der Arbeitersiedlung Barwa al Baraha beteiligt, die ironischerweise von Katar als Zeichen für verbesserte Arbeitsbedingungen beworben wurde.