„Größer, mutiger und integrativer“
16. August 2018Kumi Naidoo ist neuer Generalsekretär von Amnesty International
Der erste südafrikanische Generalsekretär von Amnesty International präsentiert bei seinem Antrittsbesuch in Johannesburg seine Vision für die weltgrößte Menschenrechtsorganisation.
Die Menschenrechtsbewegung muss größer, mutiger und integrativer werden, um die Herausforderungen zu meistern, vor denen die Welt heute steht.
Kumi Naidoo bei seinem Antritt als internationaler Generalsekretär von Amnesty International.
„Unsere Welt steht vor komplexen Problemen, die nur in Angriff genommen werden können, wenn wir uns von der Vorstellung lösen, dass es sich bei Menschenrechten um Unrecht handelt, das einige wenige Menschen betrifft. Die Formen der Unterdrückung sind heute alle miteinander verknüpft“, so Kumi Naidoo.
„Man kann nicht über die Klimakrise sprechen, ohne anzuerkennen, dass es dabei auch um Ungleichheit in der Gesellschaft und ethnische Zugehörigkeit geht; sexuelle Diskriminierung ist untrennbar mit der wirtschaftlichen Ausgrenzung von Frauen verbunden; und die bürgerlichen und politischen Rechte vieler Menschen werden genau dann am stärksten unterdrückt, wenn diese Menschen ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Gerechtigkeit für sich einfordern.“
Amnesty International hat bereits mehrfach betont, dass wir uns in einer polarisierten Phase der Geschichte befinden, in der einflussreiche Staats- und Regierungschefs ein beängstigendes Bild einer Gesellschaft zeichnen, die von Hass und Angst zersetzt wird. „Wir können diese Widrigkeiten nur überwinden, wenn wir uns geschlossen hinter die Werte stellen, die uns alle einen – wie zum Beispiel Menschenrechte“, so Kumi Naidoo.
„In meiner ersten Botschaft als Generalsekretär möchte ich betonen, dass Amnesty International sich nun stärker als jemals zuvor öffnen wird, um eine wirklich globale Bewegung aufzubauen, die in jeden Winkel der Welt reicht, insbesondere in den Globalen Süden“, sagt Naidoo.
„Ich möchte eine Bewegung erschaffen, die integrativer ist. Wir müssen neu überdenken, was die Verteidigung der Menschenrechte im Jahr 2018 bedeutet. Aktivistinnen und Aktivisten können aus allen möglichen Gesellschaftsschichten stammen – man findet sie in Gewerkschaften, Schulen, Glaubensgemeinschaften, Regierungsbehörden und auch in der Privatwirtschaft“, so Kumi Naidoo.
Ganz besonders möchte ich, dass junge Menschen wissen, dass sie hier einen Platz haben. Ich appeliere an sie, uns immer wieder den Spiegel vorzuhalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie nicht die Führungskräfte von morgen sind, sondern die des Hier und Jetzt.
Kumi Naidoo
„Wir brauchen mehr mutige Vorbilder wie Ahed Tamimi, Elin Ersson und Sibongile Ndashe. Was wir brauchen, sind genau solche mutigen Vorreiter*innen, die nicht vor zivilem Ungehorsam zurückschrecken oder Angst davor haben, als naiv oder idealistisch bezeichnet zu werden.“
„Amnesty International basiert auf dem Gedanken, dass Menschen, egal wer sie sind oder wo sie sich befinden, durch andere Menschen erlittenes Unrecht persönlich nehmen. Und es hat sich immer wieder gezeigt, dass große Veränderungen möglich sind, wenn Fremde sich zusammentun und für Menschen auf der anderen Seite der Welt kämpfen, die sie noch nie zuvor getroffen haben", sagt Nidoo und meint weiter: "Mehr denn je zuvor brauchen wir jetzt Menschen, die sich zusammentun und sich gegen die Unterdrückung wehren."
Ich möchte euch gerne einladen, euch uns anzuschließen – wenn euch die Gegenwart und die Zukunft am Herzen liegen; wenn ihr das Beste für eure Kinder und Enkelkinder wollt; wenn ihr Ungerechtigkeit persönlich nehmt. Amnesty International braucht eure Stimme, euren Einsatz und euer Mitwirken in unserer Bewegung, um für die Rechte aller Menschen zu kämpfen.
Kumi Naidoo
Kumi Naidoo ehrte auch seinen Amtsvorgänger: „Ich möchte Salil Shetty für den Beitrag danken, den er in den letzten acht Jahren für Amnesty International geleistet hat, und für seine Bemühungen, unsere Präsenz in der Welt zu stärken. Ich hoffe, auf seinem Erbe aufbauen zu können, um dafür zu sorgen, dass wir eine geeinte und globale Bewegung werden.“
Regelbrecher und Weltveränderer
Kumi Naidoo (geb. 1965) kommt aus Südafrika und setzt sich bereits seit Jahrzehnten für soziale Gerechtigkeit ein. In Durban geboren, trat er bereits mit 15 Jahren als Aktivist in Erscheinung, als er eine Protestveranstaltung gegen Apartheid organisierte, wegen der er von der Schule ausgeschlossen wurde.
Daraufhin wurde er stark in seiner örtlichen Gemeinschaft aktiv und organisierte Massenveranstaltungen gegen das Apartheidregime. Mit 21 Jahren musste sich Kumi Naidoo vor Gericht verantworten – man warf ihm vor, die Regeln des Ausnahmezustands verletzt zu haben. Er sah sich gezwungen, unterzutauchen, und ging dann ins britische Exil. Dort blieb er, bis Nelson Mandela freikam und die Befreiungsbewegungen wieder erlaubt wurden.
Mit dem Niedergang des Apartheidregimes kehrte er 1990 nach Südafrika zurück, um mit dem African National Congress zusammenzuarbeiten. Dort wandte er sich einem Herzensprojekt zu: Bildung, genau genommen Alphabetisierungskampagnen für Erwachsene und Wählerschulungen, um Menschen zu stärken, die historisch und systematisch entrechtet wurden.
Kumi Naidoo bewies sich in vielerlei Hinsicht als starke Führungsperson, doch es war seine Rolle als Geschäftsführer von Greenpeace International, die ihm einen Ruf als unerschrockener Aktivist einbrachte, der auch vor zivilem Ungehorsam nicht zurückschreckt. 2011 wurde er festgenommen, weil er aus Protest gegen Ölbohrungen in der Arktis auf eine Ölplattform in Grönland geklettert war, um eine Petition zu übergeben. Ein Jahr später besetzte er eine Ölplattform in der Barentssee in der russischen Arktis.
Zuletzt widmete er sich als Mitbegründer und vorläufiger Vorsitzender der Organisation Africans Rising for Justice, Peace, & Dignity. Die Gruppe hat sich mit Gewerkschaften, Glaubensgemeinschaften und der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen und möchte etwas an der Tatsache ändern, dass die Menschen in Afrika trotz des Wirtschaftswachstums auf dem gesamten Kontinent keinen Anteil an diesem größeren Wohlstand und Einfluss spüren.
Ein Brief, den Nelson Mandela 1962 an Amnesty International schrieb und in dem er der Organisation dafür dankte, einen Vertreter zur Beobachtung seines Gerichtsverfahrens geschickt zu haben, inspirierte Kumi Naidoo dazu, sich für die Rolle des Generalsekretärs zu bewerben.
Am Abend vor dem Antritt seiner neuen Position bei Amnesty International ging er zum ersten Mal wieder dahin zurück, wo seine Geschichte begann: die Sekundarschule Chatsworth in Durban, aus der er 1980 ausgeschlossen worden war.
Bei der morgendlichen Schulversammlung wandte sich Kumi Naidoo mit folgenden Worten an die jungen Leute: „Lasst euch nicht einreden, dass eure Stimme nichts zählt, und wartet nicht bis morgen, um für eine Sache einzustehen, denn wenn ihr wartet, wird es kein Morgen geben. Und denkt daran, dass der Einsatz für Menschen das größte Glück mit sich bringt.“